Nachfolgend ein Beitrag vom 30.5.2016 von Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 22/2016 Anm. 1

Leitsatz

Einkünfte bei einem Termingeschäft i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a, Abs. 4 Satz 5 EStG liegen bei dem Erwerb einer Option auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige die Option bei Fälligkeit verfallen lässt (entgegen BMF-Schreiben v. 09.10.2012 – BStBl I 2012, 953 Rn. 27, und v. 27.03.2013 – BStBl I 2013, 403).

A. Problemstellung

Zu entscheiden war, ob durch das Verfallenlassen von Aktienoptionen ein steuerlich zu berücksichtigender Verlust i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG erzielt wird.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger erwarb im Streitjahr (2011) 200.000 X-Call-Optionsscheine mit einem Basispreis von 120 Euro für insgesamt 24.087 Euro und 160.000 Z-Call-Optionsscheine mit einem Basispreis von 8,0138 Euro für insgesamt 13.625 Euro. Der Kläger ließ die Optionen bei Fälligkeit verfallen; sie wurden am 21.12.2011 als wertlos aus dem Depot des Klägers ausgebucht. Dem Kläger wurden zusätzlich insgesamt 60 Euro an Gebühren in Rechnung gestellt. Im Rahmen eines gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 24.09.2012 durchgeführten Einspruchsverfahrens begehrte der Kläger die Berücksichtigung eines Verlusts in Höhe von 39.658 Euro aus dem Verfall der Optionen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte u.a. aus, es sei ein Verlust i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a, Abs. 4 Satz 5 EStG in Höhe der Anschaffungskosten für die verfallenen Optionen zu berücksichtigen (FG Düsseldorf, Urt. v. 26.02.2014 – 7 K 2180/13 E – EFG 2014, 2027). Die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamts war unbegründet. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Das Finanzgericht hat zutreffend das Verfallenlassen der Optionen als nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG steuerbar behandelt und nach § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG mangels Einnahmen einen Verlust in Höhe der Anschaffungskosten für die Optionen berücksichtigt. Für den Besteuerungstatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG ist es unerheblich, ob das Basisgeschäft durchgeführt wird oder ob es – wie bei Optionen üblicherweise oder z.B. bei Optionen auf Indizes zwangsläufig – ohne Durchführung des Basisgeschäfts lediglich zu einem Barausgleich (Differenzausgleich) kommt. Soweit der Gesetzeswortlaut einen „Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil“ voraussetzt, umschreibt dies nur die Art der von der Vorschrift erfassten Termingeschäfte.
Die Anschaffung einer Option und der Ausgang des Optionsgeschäfts müssen bei der ertragsteuerrechtlich gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise – in Abweichung von der früheren Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 19.12.2007 – IX R 11/06 – BStBl II 2008, 519; BFH, Urt. v. 09.10.2008 – IX R 69/07 – BFH/NV 2009, 152) – grundsätzlich als Einheit betrachtet werden (vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG zur künftigen Besteuerung von Stillhalterprämien, BT-Drs. 16/4841, S. 54).
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG ist dahin zu interpretieren, dass einen „Vorteil“ aus einem Termingeschäft (Option) derjenige „erlangt“, der mit dem Erwerb der Option das (bedingte) Recht auf einen Barausgleich erwirbt, egal ob er den Barausgleich im Fall einer für ihn günstigen Wertentwicklung durchführt oder ob er im Fall einer für ihn ungünstigen Wertentwicklung das Recht verfallen lässt. Schließt der Steuerpflichtige mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, ein Termingeschäft ab, so ist jedweder Ausgang des Geschäfts ohne zeitliche Beschränkung in vollem Umfang steuerbar. Verluste sind nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG innerhalb der Einkünfte aus Kapitalvermögen verrechenbar. Ein vom Gesetz der Besteuerung unterworfener „Vorteil“ (Gewinn) wird mithin auch dann erzielt („erlangt“), wenn der Inhaber, wie im Streitfall, eine Option verfallen lässt (so auch von Beckerath in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 20 Rn. 130; Helios/Philipp, BB 2010, 95, 97; Heuermann, DB 2013, 718; Meinert/Helios, DStR 2013, 508, 510; Moritz/Strohm, DB 2013, 603, 607; Reislhuber/Bacmeister, DStR 2010, 684, 685; a.A. Schreiben des BMF v. 09.10.2012 – BStBl I 2012, 953 Rn. 27; BMF-Schreiben v. 27.03.2013 – BStBl I 2013, 403). Denn das Gesetz erfasst in § 20 Abs. 2 EStG nicht nur eine positive Differenz, sondern folgerichtig auch eine negative Differenz als Verlust (vgl. BFH, Urt. v. 26.09.2012 – IX R 50/09 – BStBl II 2013, 231, unter II.2.c; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 51/2012 Anm. 2).
Entgegen der Auffassung des Finanzamts lässt sich ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers aus der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Die Gesetzesbegründung zum UntStRefG 2008 schweigt zur Behandlung des Verfalls von Optionen (BT-Drs. 16/4841, S. 55). Zudem waren im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zum UntStRefG 2008 weder die Entscheidungen in BStBl II 2008, 519 und in BFH/NV 2009, 152 noch die Entscheidung in BStBl II 2012, 231 bekannt. Der Gesetzgeber hat die steuerliche Behandlung des Verfalls von Optionen daher der Auslegung und Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG durch die Fachgerichte überlassen.
Es entspricht auch dem verfassungsrechtlichen Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit in Art. 3 Abs. 1 GG (hierzu BVerfG, Beschl. v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07 – BVerfGE 127, 224 = BGBl I 2010, 1766 = DStR 2010, 2393, unter D.III.1.a und 2.), den Verfall einer Option als steuerbaren Vorgang nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG einzuordnen. Mit der Einführung der Abgeltungsteuer wollte der Gesetzgeber den „Gewinn“ und mithin alle Wertzuwächse bei Termingeschäften der Besteuerung unterwerfen (vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 55). Die Leistungsfähigkeit des Optionskäufers ist um die aufgewandten Optionsprämien gemindert, unabhängig davon, ob er die Option ausübt oder verfallen lässt (so im Ergebnis auch von Beckerath in: Kirchhof, EStG, § 20 Rn. 130; Helios/Philipp, BB 2010, 95, 97 f.; Knoblauch, DStR 2013, 798, 801; Meinert/Helios, DStR 2013, 508, 510; Reislhuber/Bacmeister, DStR 2010, 684, 685; ablehnend BMF-Schreiben in BStBl I 2012, 953, und in BStBl I 2013, 403). Der Gefahr einer ausufernden Verlustnutzung wird dabei schon durch die nach § 20 Abs. 6 EStG beschränkte Verrechenbarkeit von Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Grenzen gesetzt.
II. Danach sind die Anschaffungskosten für verfallene Optionen bei der Ermittlung der Einkünfte aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG zu berücksichtigen.
Das Werbungskostenabzugsverbot nach § 20 Abs. 9 EStG steht dem Abzug der beim Erwerb der Option gezahlten Optionsprämien nicht entgegen. Denn § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG enthält in Bezug auf die bei einem Termingeschäft angefallenen Aufwendungen eine der Regelung des § 20 Abs. 9 EStG vorgehende Sondervorschrift (vgl. Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rn. 680; Heuermann, DB 2013, 718, 719 f.; Meinert/Helios, DStR 2013, 508, 511). Danach können die Aufwendungen abgezogen werden, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Termingeschäft stehen. Dazu gehören auch die vom Erwerber einer Option an den Stillhalter geleisteten Optionsprämien (so auch von Beckerath in: Kirchhof, EStG, § 20 Rn. 130; Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rn. 476; Helios/Philipp, BB 2010, 95, 98; vgl. auch zum Abzug als Werbungskosten bei Anschaffung und Veräußerung des Basiswerts BFH, Urt. v. 20.08.2013 – IX R 38/11 – BFHE 242, 386 = BStBl II 2013, 1021, unter II.4.b; BT-Drs. 16/4841, S. 57; ablehnend im neuen Recht BMF-Schreiben in BStBl I 2012, 953 Rn. 27).

C. Kontext der Entscheidung

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen der Gewinn bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt. Nach § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG ist Gewinn bei einem Termingeschäft der Differenzausgleich oder der durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmte Geldbetrag oder Vorteil abzüglich der Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Termingeschäft stehen. § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG setzt voraus, dass ein Ergebnis einer nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a oder b EStG steuerbaren Tätigkeit zu ermitteln ist.
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG regelt die Besteuerung von Gewinnen „bei Termingeschäften“, zu denen nach herrschender Auffassung auch Optionsgeschäfte gehören (vgl. u.a. BFH, Urt. v. 26.09.2012 – IX R 50/09 – BStBl II 2013, 231, unter II.2.b, m.w.N.; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 51/2012 Anm. 2; BT-Drs. 16/4841, S. 55; von Beckerath in: Kirchhof, EStG, § 20 Rn. 130; Weber-Grellet in: Schmidt, EStG, 34. Aufl., § 20 Rn. 131 f.). Tatbestandliche Voraussetzung für die Annahme eines steuerbaren Termingeschäfts ist, dass der Steuerpflichtige „einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt“. Demgegenüber verlangt der Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG – anders als § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F. – nicht mehr, dass die entsprechenden Gewinne aus Termingeschäften durch die (bzw. bei der) „Beendigung des Rechts“ erzielt werden (vgl. zur alten Rechtslage BFH, Urt. v. 19.12.2007 – IX R 11/06 – BStBl II 2008, 519; BFH, Urt. v. 09.10.2008 – IX R 69/07 – BFH/NV 2009, 152). Vor diesem Hintergrund führt eine wortlautgetreue Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG zu dem Schluss, dass das besteuerungsauslösende Moment nicht mehr, wie dies die Rechtsprechung zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F. noch angenommen hat (vgl. BFH, Urt. v. 19.12.2007 – IX R 11/06), die Durchführung des Basisgeschäfts oder des Differenzausgleichs (als „Beendigung des Rechts“) ist.
Mit dem durch das UntStRefG 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) gegenüber der Vorgängervorschrift geänderten Gesetzeswortlaut wollte der Gesetzgeber „Wertzuwächse zukünftig unabhängig von dem Zeitpunkt der Beendigung des Rechts“ als steuerbar behandelt wissen (so ausdrücklich BT-Drs. 16/4841, S. 55) und damit alle Vor- und Nachteile des Steuerpflichtigen „bei Termingeschäften“ erfassen. Weggefallen ist insoweit der Zeitbezug; aus einem vormals „gestreckten Tatbestand“ in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F. wurde durch die Formulierungen in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG ein Tatbestand, der nur noch auf den Abschluss eines Termingeschäfts und dessen wirtschaftliches Ergebnis („… Gewinn bei Termingeschäften …“) abstellt. Damit unterscheidet § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG auch nicht mehr zwischen Eröffnungs- und Basisgeschäft, was angesichts der vom Gesetzgeber erwünschten erweiterten Erfassung solcher Geschäfte konsequent ist.
Soweit der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Besteuerung von Optionsgeschäften das Eröffnungs- und das Basisgeschäft mit Blick auf die zivilrechtliche Rechtslage ertragsteuerrechtlich nicht als einheitliches Rechtsgeschäft verstanden hat, kann diese Trennung vor dem Hintergrund der veränderten Gesetzeslage nicht länger aufrechterhalten werden.
Die vorliegende Entscheidung ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH, Urt. v. 12.01.2016 – IX R 48/14.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BFH stellt für den neuen Rechtszustand der Abgeltungsteuer klar: Das Verfallenlassen von Optionen erfüllt den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a EStG. Die vergeblich für den Erwerb der Optionen aufgewandten Anschaffungskosten sind Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Termingeschäft stehen und deshalb bei der Ermittlung des Gewinns (oder Verlusts) i.S.v. § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG abzuziehen sind.