Nachfolgend ein Beitrag vom 10.4.2017 von Schießl, jurisPR-SteuerR 15/2017 Anm. 4
Leitsatz
Die auf fünf Jahre befristete Übergangsregelung zur Verrechnung von sog. Altverlusten mit Aktiengewinnen, die der Abgeltungsteuer unterliegen, ist verfassungsgemäß.
A. Problemstellung
Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien, die bis zum 31.12.2008 entstanden und nicht bis zum 31.12.2013 verrechnet worden sind, können nach den §§ 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10; 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F des UntStRefG 2008 v. 14.08.2007, BGBl I 2007, 1912) ab dem Veranlagungszeitraum 2014 nicht mehr mit neuen Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnet werden. In dem Verfahren stellte sich die für zahlreiche Anleger bedeutsame Frage, ob die zeitliche Begrenzung verfassungsgemäß ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die klagenden Eheleute hatten vor dem 01.01.2009 Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien erzielt, die zum 31.12.1998 und in den folgenden Jahren jeweils gesondert festgestellt wurden (zum 31.12.2012 Ehemann: 10.680 Euro; Ehefrau: 1.891 Euro).
Mit Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2013 stellte das Finanzamt den verbleibenden Verlustvortrag für Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung jeweils mit 0 Euro fest. Zugleich stellte es in der zum 31.12.2012 festgestellten Höhe Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG in der ab dem 01.01.2009 anzuwendenden Fassung fest.
Gegen die Feststellung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung mit jeweils 0 Euro erhoben die Kläger erfolglos Einspruch. Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen (FG Leipzig, Urt. v. 10.11.2015 – 2 K 741/15 – EFG 2016, 196). Dagegen richtete sich die Revision der Kläger, mit der sie die Verfassungswidrigkeit von Bundesrecht (§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008) rügten.
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Er legte das Begehren der Kläger dahin aus, dass sie eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG an das BVerfG anregen wollten. Der Senat sei indes nicht davon überzeugt, dass die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Vorschriften verfassungswidrig seien. Eine Vorlage an das BVerfG komme deshalb nicht in Betracht. Es verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, dass Altverluste aus Aktienverkäufen ab dem Veranlagungszeitraum 2014 nicht mehr mit neuen Gewinnen aus Aktienverkäufen ausgeglichen werden könnten. Die zugrunde liegenden Normen verstießen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und verletzten auch nicht verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen. Der BFH führt zur Begründung aus:
I. Mit Einführung der Abgeltungsteuer durch das UntStRefG 2008 habe der Gesetzgeber die Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien ohne Berücksichtigung einer bestimmten Haltefrist den Einkünften aus Kapitalvermögen zugewiesen. Maßgeblicher Stichtag für den Systemwechsel sei der 01.01.2009 gewesen. Bei Veräußerungsvorgängen mit Aktien komme es auf das Datum der Anschaffung der Aktien an.
1. Für Aktien, die nach dem 31.12.2008 im Privatvermögen erworben worden seien, gelte: Gewinne aus der Veräußerung unterlägen der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG und der Abgeltungsteuer (§ 32d EStG). Verluste könnten weder mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen noch nach § 10d EStG abgezogen werden (§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG in der aktuellen Fassung). Sie minderten auch nicht die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erziele, sondern sie dürften nur mit zukünftigen Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstünden, ausgeglichen werden (§ 20 Abs. 6 Satz 2, Satz 4 EStG in der aktuellen Fassung).
2. Für Aktien, die vor dem 01.01.2009 erworben worden seien, unterlägen Gewinne und Verluste weiterhin der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Fassung (im Folgenden EStG a.F.). Das gelte unabhängig davon, ob die Veräußerung vor oder nach dem 01.01.2009 stattgefunden habe. Einnahmen und Ausgaben aus solchen Geschäften würden jeweils nur zur Hälfte erfasst (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG a.F.; § 3c Abs. 2 EStG a.F.). Verluste dürften nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt habe, ausgeglichen werden. Sie dürften nicht nach § 10d EStG abgezogen werden, minderten jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach Absatz 1 erzielt habe oder erziele (§ 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG a.F.). Sie könnten danach weiterhin ausgeglichen werden mit sämtlichen zukünftigen Gewinnen aus Veräußerungsgeschäften i.S.v. § 23 EStG, nicht jedoch mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien, die nach dem 31.12.2008 angeschafft worden seien.
3. Davon abweichend hätten Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien i.S.d. § 23 EStG a.F. (sog. Altverluste) für eine Übergangszeit auch mit Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 (Neugewinne) ausgeglichen werden können und minderten nach Maßgabe des § 10d EStG auch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus § 20 Abs. 2 EStG i.d.F. UntStRefG 2008 erzielt habe (§ 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008). Diese Regelung sei jedoch befristet und letztmals anzuwenden gewesen für den Veranlagungszeitraum 2013 (§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008).
II. Die §§ 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10 i.V.m. 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Zwar könne die zeitliche Beschränkung des Ausgleichs von Altverlusten mit Neugewinnen aus Aktienverkäufen zu einer ungleichen Belastung mit Einkommensteuer bei Steuerpflichtigen mit Altverlusten führen. Der Ausschluss der Verrechenbarkeit sei jedoch dem zulässigen Systemwechsel geschuldet. Der Gesetzgeber sei auch befugt gewesen, den Systemwechsel in überschaubarer Zeit abzuschließen.
1. Bei der Bestimmung der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz sei zu berücksichtigen, dass das BVerfG dem Gesetzgeber gerade bei der Umstrukturierung komplexer Regelungssysteme stets einen besonders weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der Übergangsvorschriften einräume. Art. 3 Abs. 1 GG sei jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lasse (BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05 – BVerfGE 125, 1). Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und Übergangsvorschriften beschränke sich grundsätzlich darauf, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt habe, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt habe und die gefundene Lösung im Hinblick auf den Sachverhalt und das System der Gesamtregelung sachlich vertretbar erscheine (BVerfG, Beschl. v. 01.04.2014 – 2 BvL 2/09 – BVerfGE 136, 127 Rn. 50 m.w.N.).
2. Mit Einführung der Abgeltungsteuer habe der Gesetzgeber bei den Einkünften aus Kapitalvermögen einen grundlegenden Systemwechsel vollzogen. Bei dem Systemwechsel habe sich der Gesetzgeber für einen stichtagsbezogenen Übergang zum 01.01.2009 entschieden. Diese Grundentscheidung habe er konsequent und in sich stimmig umgesetzt, indem er für Altverluste die Fortgeltung der bisher anzuwendenden Vorschriften angeordnet habe. Die vom Gesetzgeber angestrebte vollständige stichtagsbezogene Trennung der Besteuerungssysteme (Halbeinkünfteverfahren/Abgeltungsteuer) schließe eine Verrechnung von Altverlusten mit Neugewinnen grundsätzlich aus. Dies zugrunde gelegt, stelle sich der Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs für Altverluste als Grundregel und die zeitlich zulässige Verrechnung mit Neugewinnen gemäß § 20 Abs. 2 EStG als Ausnahme dar (ebenso BT-Drs. 16/4841, S. 59: „obwohl diese zukünftig nicht mehr von § 23 erfasst werden“). Aus diesem Blickwinkel habe der Gesetzgeber Altverluste für eine gewisse Dauer privilegiert, indem er zusätzlich die Verrechnung mit Neugewinnen zugelassen habe. Eine belastende Wirkung entfalte die Vorschrift allenfalls im Hinblick auf ihre zeitliche Begrenzung.
III. Es verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dass Altverluste ab Veranlagungszeitraum 2014 nicht mehr mit Neugewinnen aus Aktienverkäufen ausgeglichen werden könnten.
1. Ein völliger Ausschluss der Verlustverrechnung, der nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 30.09.1998 – 2 BvR 1818/91 – BVerfGE 99, 88) nicht zulässig wäre, sei damit nicht verbunden. Die Altverluste könnten weiterhin ohne zeitliche Begrenzung mit zukünftigen steuerbaren Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnet werden.
2. Zwar würden die Altverluste durch den Wegfall der Verrechenbarkeit mit Neugewinnen in gewissem Umfang wirtschaftlich entwertet. Es verbleibe jedoch die nicht bloß theoretische Möglichkeit der Verrechnung mit steuerbaren Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften mit anderen Wirtschaftsgütern. Zu berücksichtigen sei weiter, dass es der Steuerpflichtige bei privaten Veräußerungsgeschäften durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts weitgehend in der Hand habe, ob er steuerbare oder nicht steuerbare Gewinne erzielen wolle. Die Erwägung treffe zwar auf Neugewinne aus Aktienverkäufen nicht mehr zu, weil sie bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ohne Berücksichtigung einer Haltefrist steuerbar seien. Für die (anderen) von § 23 EStG erfassten Einkünfte, die durch die Altverluste aus Aktienverkäufen weiterhin gemindert würden, gelte dies jedoch unverändert fort.
3. Bei der gebotenen Zusammenschau dieser Gegebenheiten sei die gegenüber dem vorherigen Zustand eingetretene sachliche Beschränkung der Verlustverrechnung für Altverluste aus Aktienveräußerungen durch den vom Gesetzgeber ins Werk gesetzten Systemwechsel zur Abgeltungsteuer gerechtfertigt.
4. Die §§ 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10 i.V.m. 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 verstoßen auch nicht deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil Altverluste nur bis zum Veranlagungszeitraum 2013 mit Neugewinnen ausgeglichen werden konnten. Der Gesetzgeber sei insbesondere nicht verpflichtet gewesen, diese vorübergehende Privilegierung der Altverluste für einen längeren Zeitraum zu gewähren.
IV. Die partielle Entwertung der Altverluste infolge des Übergangs zur Abgeltungsteuer verletze auch nicht verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen.
1. Die Übergangsregel verletze schon deshalb nicht Vertrauen, weil sie zusätzliche Rechte schaffe. Beeinträchtigt werde das Vertrauen in die Werthaltigkeit der gesondert festgestellten Verluste in der zu beurteilenden Konstellation allein dadurch, dass die Einkünfte aus Aktienveräußerungen aus dem Tatbestand des § 23 EStG ausgegliedert und den Einkünften aus Kapitalvermögen zugewiesen worden seien. Im Zusammenwirken mit dem unverändert beibehaltenen Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs bei privaten Veräußerungsgeschäften seien die Altverluste dadurch – nach Auslaufen der Übergangsregelung – partiell wirtschaftlich entwertet worden.
2. Die Voraussetzungen für eine echte Rückwirkung, bei der die Rechtsfolge einer Rechtsnorm mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten solle (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), liege nicht vor. Aufgrund der Übergangsregelung gelte hinsichtlich der Besteuerung von Gewinnen und Verlusten aus der Veräußerung von Wertpapieren, die vor dem 01.01.2009 angeschafft worden seien, die alte Rechtslage auch nach der Einführung der Abgeltungsteuer fort.
3. Eine nachträgliche, belastende Änderung der Rechtsfolge eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens liege jedoch darin, dass die gesondert festgestellten Altverluste infolge des Systemwechsels ab dem Veranlagungszeitraum 2014 nicht mehr mit Neugewinnen aus Aktienveräußerungen ausgeglichen werden können. Selbst wenn darin eine grundsätzlich rechtfertigungsbedürftige sog. unechte Rückwirkung liegen sollte, begegne dies keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Der Verlustverrechnungsanspruch sei von der Entstehung positiver Einkünfte abhängig und somit aufschiebend bedingt (vgl. BFH, Beschl. v. 17.12.2007 – GrS 2/04 – BStBl II 2008, 608, unter D.II.2.; Anm. Dötsch, jurisPR-SteuerR 16/2008 Anm. 1). Danach habe mit einer vollen Verlustverrechnung ohnehin nicht sicher gerechnet werden können. Die bloße Möglichkeit, Gewinne aufgrund einer Verlustverrechnung später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründe noch keine vertrauensrechtlich geschützte Position (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2/04, 13/05 – BVerfGE 127, 1, unter C.II.2.a).
b) Die partielle Entwertung der festgestellten Altverluste sei zudem verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Sie sei zur Förderung des Gesetzeszweckes (Systemwechsel) geeignet und erforderlich. Bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe sei die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt worden.
C. Kontext der Entscheidung
I. Der Besprechungsfall betrifft einen in der Literatur kontrovers diskutierten Problemkreis. Nach einer Auffassung (Hey, FR 2014, 349; vgl. z.B. auch Oho/Lenz, DB 2007, 1322) „[verletzt] das Abschneiden der Altverluste […] das Vertrauensschutzprinzip, ist willkürlich und mit dem objektiven Nettoprinzip unvereinbar“. Die Übergangsregelung des § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG sei verfassungswidrig. Zwar lasse der eindeutige Wortlaut der Vorschrift keine Korrektur im Wege verfassungskonformer Auslegung zu, so dass es einer Entscheidung des BVerfG bedürfe. Angesichts der gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken sei indes zu hoffen, dass die Frage bereits im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß Art. 100 GG dem BVerfG vorgelegt werde (Hey, FR 2014, 349, 353).
Eine andere Meinung (z.B. Musil in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 276. Lfg. September 2016, § 23 EStG Anm. 13) sieht demgegenüber den fünfjährigen Übergangszeitraum als hinreichend lang an.
Im Besprechungsurteil hat sich der IX. Senat des BFH mit ausführlicher Begründung (vgl. B.II.) im Ergebnis der letztgenannten Auffassung angeschlossen. Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Umstrukturierung komplexer Regelungssysteme einen besonders weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Übergangsvorschriften ein (BVerfG, Beschl. v. 08.02.1977 – 1 BvR 79/70, 1 BvR 278/70, 1 BvR 282/70 – BVerfGE 43, 242, 288 f.; BVerfG, Beschl. v. 01.07.1981 – 1 BvR 874/77, 1 BvR 322/78, 1 BvR 324/78, 1 BvR 472/78, 1 BvR 543/78, 1 BvR 694/78, 1 BvR 752/78, 1 BvR 753/78, 1 BvR 754/78, 1 BvL 33/80, 1 BvL 10/81, 1 BvL 11/81 – BVerfGE 58, 81, 121; BVerfG, Beschl. v. 28.04.1999 – 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 – BVerfGE 100, 1, 39 ff.; BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05 – BVerfGE 125, 1, 18). Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und Übergangsvorschriften beschränkt sich grundsätzlich darauf, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung im Hinblick auf den Sachverhalt und das System der Gesamtregelung sachlich vertretbar erscheint. Diese Voraussetzungen hat der Gesetzgeber nach der Auffassung des BFH eingehalten.
II. Auch das BVerfG hat eine generelle zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags auf fünf Jahre gebilligt (BVerfG, Beschl. v. 22.07.1991 – 1 BvR 313/88 – NJW 1992, 168; ebenso z.B. Kube, DStR 2011, 1781, 1887: fünf bis sieben Jahre als angemessener Zeitraum; im Erg. auch Büchter-Hole, EFG 2016, 197). Nach diesem Maßstab konnte daher die zeitliche Befristung einer Übergangsregelung auf fünf Jahre keinen durchgreifenden Bedenken unterliegen. Im Übrigen folgte der BFH schon nicht die Grundannahme der Kläger, dass der Gesetzgeber sachliche Gründe für die zeitliche Befristung der Übergangsregel anführen müsse. Der Gesetzgeber sei zum Systemwechsel befugt. Zwar habe das BVerfG im Zusammenhang mit dem Übergang vom Vollanrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren bei der Überleitung von Körperschaftsteuerminderungspotential in einem Sonderfall eine Übergangsregelung für verfassungswidrig erklärt, weil der Gesetzgeber seine (legitimen) Ziele vollständig erreichen und die Ungleichheit hätte vermeiden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05 – BVerfGE 125, 1). Eine solche Situation liege hier jedoch nicht vor. Die Verrechnung von Altverlusten aus Aktienverkäufen mit entsprechenden Neugewinnen durchbreche den generellen Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs bei § 23 EStG. Sie stelle mithin einen Fremdkörper dar in dem auf eine strikte, stichtagsbezogene Trennung der Besteuerungssysteme angelegten Systemwechsel. In diesem Fall sei dem Interesse des Gesetzgebers an der zeitnahen Vollendung des Systemwechsels ein höheres Gewicht beizumessen als der Besteuerungsgleichheit. Eine Übergangszeit von fünf Jahren, in denen der Gesetzgeber eine systemfremde Verrechnung im Interesse der betroffenen Steuerpflichtigen zulässt, erscheint dem BFH danach ausreichend und angemessen.
III. Der VIII. Senat des BFH (Urt. v. 03.11.2015 – VIII R 37/13 – BStBl II 2016, 273, Anm. Brandt, jurisPR-SteuerR 39/2016 Anm. 4) hält die Übergangsregelung zur Verrechnung von Altverlusten mit Aktiengewinnen, die der Abgeltungsteuer unterliegen, ebenfalls für verfassungsgemäß.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der BFH stellt klar, dass die auf fünf Jahre befristete Übergangsregelung zur Verrechnung von sog. Altverlusten mit Aktiengewinnen, die der Abgeltungsteuer unterliegen, verfassungsgemäß ist.