Nachfolgend ein Beitrag vom 25.4.2016 von Märtens, jurisPR-SteuerR 17/2016 Anm. 3

Leitsatz

Bei der Prüfung der 10 %-Grenze, ob zur Anwendung der sog. Zinsschranke eine „schädliche“ Gesellschafter-Fremdfinanzierung i.S.d. § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 i.d.F. des UntStRefG 2008 vorliegt (Rückausnahme zum sog. Eigenkapital- und Konzernvergleich des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG 2002 i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung), sind Vergütungen für Fremdkapital der einzelnen qualifiziert beteiligten Gesellschafter nicht zusammenzurechnen (gegen BMF-Schreiben v. 04.07.2008, BStBl I 2008, 718 Rn. 82 Satz 2).

A. Problemstellung

Der BFH hatte die sich bei Anwendung der Zinsschranke auf Körperschaften stellende Frage zu entscheiden, ob bei der Bemessung der 10 %-Grenze des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG die Vergütungen für Fremdkapital an qualifiziert beteiligte Gesellschafter jeweils separat zu beurteilen oder ob sie zusammenzurechnen sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin, eine GmbH, ist nach Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der B-GmbH. An dieser waren während des Streitjahrs (2008) mehrere Gesellschafter beteiligt, darunter die I-L.P. (mit Beteiligungsquoten zwischen 33,56 % und 37,26 %) und die I-GmbH & Co. KG (mit Beteiligungsquoten zwischen 29,85 und 33,14 %). Die B-GmbH war Organträgerin in einer körperschaftsteuerlichen Organschaft mit der N-GmbH und war außerdem an drei ausländischen Gesellschaften beteiligt.
In ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2008 erklärte die B-GmbH unter Ansatz von Vergütungen für Fremdkapital in Höhe von 3.745.795 Euro einen Jahresfehlbetrag von 140.737 Euro; Zinsen für Gesellschafter-Darlehen beliefen sich auf 1.084.383 Euro, wovon 398.008 Euro auf I-L.P. und 353.918 Euro auf I-GmbH & Co. KG entfielen. Aus einem zum 31.12.2007 erstellten Teilkonzernabschluss der B-GmbH einschließlich der N-GmbH (Organkreis) ergab sich eine Eigenkapitalquote von 10,5 %. Der Konzernabschluss zum 31.12.2007 wies eine Eigenkapitalquote von 7,53 % aus. Daraus folgerte die B-GmbH, die Zinsschranke sei wegen § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c EStG nicht anzuwenden. Die Rückausnahme des § 8a Abs. 3 KStG sei nicht erfüllt: Der Gesamtzinssaldo i.S.d. § 4h EStG der Organschaft belaufe sich auf 4.043.860 Euro, und die Grenze von 10 % i.S. des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG werde bezogen auf den (höchsten) Zinsanteil aller wesentlich Beteiligten (hier: die I-L.P.: 398.008 Euro) nicht überschritten; eine Zusammenrechnung der Zinsaufwendungen an mehrere Beteiligte sei im Gesetz nicht vorgesehen.
Das Finanzamt hielt die Zinsschranke hingegen für anwendbar, weil die Voraussetzungen der Rückausnahme des § 8a Abs. 3 KStG hier erfüllt seien. Denn die Zinsaufwendungen gegenüber den wesentlich beteiligten Gesellschaftern beliefen sich in der Summe auf mehr als 10 % des negativen Zinssaldos. Es berücksichtigte deshalb bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer und der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nicht abziehbare Zinsen von 2.697.826 Euro. Die deswegen erhobene Klage blieb weitgehend erfolglos (FG Hannover, Urt. v. 11.07.2013 – 6 K 226/11 – EFG 2013, 1790).
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die hier unstreitigen Grundvoraussetzungen der Zinsschranke – negativer Zinssaldo, der die Freigrenze des § 4h Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 8a Abs. 1 KStG übersteige – lägen zwar vor. Die Rechtsfolge der sog. Zinsschranke trete aber nicht ein, weil sich die Klägerin auf § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c EStG 2002 n.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG berufen könne. Die Voraussetzungen des sog. Eigenkapital- und Konzernvergleichs seien im Streitfall – was nicht im Streit stehe – erfüllt. Deren Anwendung sei auch nicht nach § 8a Abs. 3 KStG ausgeschlossen. Die Vergütungen für Fremdkapital an die im gesamten Streitjahr wesentlich beteiligten I-L.P. und I-GmbH & Co. KG stellten zwar Gesellschafterfremdfinanzierungen i.S.d. § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG dar. Die Zinsaufwendungen im Rahmen dieser Gesellschafterfremdfinanzierungen überstiegen mit jeweils 398.008 Euro bzw. 353.918 Euro aber nicht die Grenze von 10 % des negativen Zinssaldos (404.386 Euro).
Aus dem Regelungswortlaut des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG („… an einen … Gesellschafter …“) werde teilweise abgeleitet, dass jeder qualifiziert Beteiligte – ggf. unter zusammenfassender Betrachtung mit diesem nahestehenden Personen und auf diesen rückgriffsberechtigten Dritten – im Sinne der Vorschrift isoliert betrachtet werden müsse, d.h. die Zinssaldo-Grenze auf jeden Gesellschafter getrennt angewendet werde, was im Ergebnis den Anwendungsbereich der belastenden Rückausnahme des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG einschränke (dafür z.B. Althoff/Taron, StuB 2012, 99, 101 f.; G. Frotscher in: Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rn. 92, 164; Goebel/Eilinghoff/Kim, DStZ 2008, 630, 639; Goebel/Eilinghoff, DStZ 2010, 515, 517; Blümich/Heuermann, § 8a KStG Rn. 34 i.V.m. Rn. 28; Mattern in: Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 8a Rn. 202, 498; Streck/Schwedhelm, KStG, 8. Aufl., § 8a Rn. 41, 63; Stangl in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8a Rn. 250; Stöber in: Lademann, KStG, § 8a Rn. 159). Nach anderer Ansicht finde eine Addition der an den angeführten Personenkreis geleisteten Fremdkapital-Vergütungen nach Art einer Gesamtbetrachtung statt (dafür z.B. Dörfler in: Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8a Rn. 76; Gosch/Förster, KStG, 3. Aufl., § 8a Rn. 248; Möhlenbrock, Ubg 2008, 1, 11; Oellerich in: Mössner/Seeger, KStG, 2. Aufl., § 8a Rn. 417, 516; Prinz in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 8a KStG Rn. 23; Schenke in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4h Rn. C 51); diese Auffassung entspreche auch der Verwaltungspraxis (BMF-Schreiben v. 04.07.2008 – BStBl I 2008, 718 Rn. 82, dort Satz 2).
Der BFH folgt angesichts des aus seiner Sicht eindeutigen Wortlauts der isolierenden Betrachtung. Gesetzessystematische Gründe, die die Gegenansicht für sich haben mögen, könnten wegen des grundlegenden Erfordernisses, die Eingriffsvoraussetzungen klar und eindeutig zu formulieren, eine Belastung nicht rechtfertigen. Der Regelungswortlaut sei im Sinne einer auf den einzelnen Gesellschafter bezogenen Sicht eindeutig („an einen Gesellschafter“). Der Gesetzgeber habe den Gesichtspunkt einer Gesamtbetrachtung mehrerer Gesellschafter im Wortlaut nicht angelegt. Dazu hätte aber Anlass bestanden, was z.B. mit Blick auf die Beteiligungsquote die Vorgängerregelung des § 8a Abs. 3 Satz 2, 3 KStG 2002 i.d.F. vor dem Inkrafttreten des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 belege (s. z.B. Streck/Schwedhelm, KStG, § 8a Rn. 41). Auch in anderen Sachzusammenhängen würden vom Gesetzgeber Regelungen, die eine Gesamtbetrachtung für betriebsbezogene Merkmale anwiesen, eindeutig formuliert (zur Anteilserwerbsquote s. § 8c Satz 3 KStG).
Es sei zwar einzuräumen, dass die Zinsschrankenregelung in § 4h EStG/§ 8a KStG den Betriebsausgabenabzug der gesamten Fremdkapitalvergütungen auf der Ebene der Einkünfteermittlung des Betriebs betreffe, was auf eine Betriebsbezogenheit aller Tatbestands- und Regelungsausnahmevoraussetzungen bezogen werden könnte und damit auch die Anwendung der Rückausnahme des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 einschlösse. Und der Zweck der Regelung, Finanzierungsgestaltungen zwischen einer Körperschaft und ihrem Anteilseigner zu verhindern (BT-Drs. 16/4841, S. 74 f.), möge besser verwirklicht werden können, wenn der vom Gesetzgeber typisierend festgelegte Rahmen „unschädlicher Gestaltungseffekte“ von Gesellschaftern mit Einfluss auf die Finanzierungsverhältnisse durch eine besondere personelle Verteilung der Finanzierungsaufgabe nicht faktisch verdreifacht werden könne. Gerade angesichts der weit reichenden Belastungseffekte der Regelung, die auf der Grundlage weitgehend pauschalierender Annahmen zur „angemessenen Fremdfinanzierung“ das Grundprinzip des Betriebsausgabenabzugs beeinträchtige, seien die Eingriffsvoraussetzungen aber klar und eindeutig zu formulieren, was eine vorrangig gesetzeszweckorientierte Ausdehnung verbiete (ebenso z.B. G. Frotscher in: Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rn. 159; Stangl in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8a Rn. 250).
Die Rückausnahme des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt erfüllt, die dort angeführte Grenze beziehe sich auf eine Gesamtbetrachtung des jeweiligen qualifiziert beteiligten Gesellschafters und „eine diesem nahe stehende Person … oder einen Dritten, der auf den … Gesellschafter oder eine diesem nahe stehende Person zurückgreifen kann“ (gegenläufig – auch insoweit für eine separierende Betrachtung jeder einzeln angeführten Sachgruppe – z.B. Blümich/Heuermann, § 8a KStG Rn. 34 i.V.m. Rn. 28). Denn jedenfalls sei eine Qualifizierung der beiden qualifiziert beteiligten Gesellschaften I-L.P. und I-GmbH & Co. KG als einander „nahe stehende Personen“ für den Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Denn wenn beide Gesellschaften schon als „wesentlich Beteiligte“ zum relevanten Personenkreis des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG gehörten, schlösse dies mit Blick auf die gebotene separierende Betrachtung eine weitere Qualifizierung als tatbestandsrelevante – jeweils einander nahe stehende – Person aus.

C. Kontext der Entscheidung

Obgleich der I. Senat des BFH die Zinsschranke für verfassungswidrig hält und deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz auf den Prüfstand des BVerfG gestellt hat (BFH, Beschl. v. 14.10.2015 – I R 20/15, m. Anm. Märtens, jurisPR-SteuerR 8/2016 Anm. 1), hat er den Besprechungsfall ohne Rücksicht auf verfassungsrechtliche Fragen entschieden. Er durfte dies deshalb, weil er zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Zinsschranke in diesem Fall schon aus einfach-rechtlichen Gründen nicht zur Wirkung kommt.
Die gesetzliche Regelung der Zinsschranke baut insbesondere im Bereich der Körperschaftsteuersubjekte auf komplexen Regel-Ausnahme-Grundsätzen auf. Zinsaufwendungen sind danach in Höhe des Zinsertrages unbeschränkt abziehbar, darüber hinaus nur bis zur Höhe des verrechenbaren EBITDA (dieses ist definiert in § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG). Nicht zur Anwendung kommt die Zinsschranke gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. a EStG auf Nettozinsaufwendungen bis zu einer Freigrenze von 3 Mio. Euro, bei nicht- oder nur anteilig konzernabhängigen Betrieben (§ 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b EStG) und bei konzernzugehörigen Unternehmen, deren Eigenkapitalquote diejenige des Konzerns um nicht mehr als 2 v.H. unterschreitet (§ 4 Abs. 2 Satz 1 lit. c EStG). Von den beiden letztgenannten „Escape“-Klauseln enthält § 8a Abs. 2 und 3 KStG 2002 n.F. wiederum Rückausnahmen. Die Klauseln kommen nicht zur Anwendung – d.h. die Zinsschranke greift wiederum ein –, wenn die Vergütungen an wesentlich (d.h. zu mindestens 25 %) beteiligte Anteilseigner, diesen nahestehenden Personen oder gegenüber diesen zum Rückgriff berechtigte Dritte mehr als 10 % des Zinssaldos ausmachen.
Die Rückausnahme des § 8a Abs. 3 KStG ist Gegenstand des Besprechungsurteils. Der BFH hat gegen die Verwaltungspraxis (BMF-Schreiben v. 04.07.2008 – BStBl I 2008, 718 Rn. 82 Satz 2) entschieden, dass die Regelung im Wortsinne zu verstehen ist und deshalb eine schädliche Gesellschafter-Fremdfinanzierung nur vorliegt, wenn die Fremdkapitalvergütungen „an einen“ wesentlich beteiligten Gesellschafter nicht mehr als 10 % des negativen Zinssaldos ausmachen. Sind mehrere wesentlich beteiligte Gesellschafter vorhanden, kommt es danach nicht zu einer Addition der Vergütungen. Ausschlaggebend für diese enge, am Wortlaut orientierte Interpretation der Rückausnahmeklausel ist nicht zuletzt die hohe Belastungswirkung der Zinsschranke, die den Gesetzgeber dazu anhalten muss, die Reichweite des Betriebsausgabenabzugsverbots klar und eindeutig zu bestimmen. Dass den Beteiligten auf diese Weise größere Gestaltungsspielräume eröffnet sind, hindert dieses Normverständnis nicht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Besprechungsurteil befasst sich mit den Vergütungen, die an (unmittelbar oder mittelbar) wesentlich beteiligte Gesellschafter geleistet werden. In Bezug auf die jenen Gesellschaftern nahe stehende Personen, die im Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG zusätzlich aufgeführt werden, enthält das BFH-Urteil die Aussage, dass diese jedenfalls dann, wenn sie selbst wesentlich beteiligt sind, in gleicher Weise separat zu betrachten sind. Formal nicht Gegenstand des Urteils sind hingegen Vergütungen an eine einem wesentlich Beteiligten nahe stehende Person (und an einen Dritten, der auf den wesentlich beteiligten Gesellschafter oder eine diesem nahe stehende Person Rückgriff nehmen kann), wenn dieser nicht selbst wesentlich beteiligt ist. Da der Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG auch insoweit im Singular formuliert ist („eine diesem nahe stehende Person“; „oder einen Dritten“), dürfte auch insoweit die separierende Betrachtung anzuwenden sein (vgl. Blümich/Heuermann, § 8a KStG Rn. 34 i.V.m. Rn. 28).