Nachfolgend ein Beitrag vom 8.10.2018 von Grube, jurisPR-SteuerR 40/2018 Anm. 6
Leitsätze
1. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).
2. Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
3. Sind die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, ist es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren.
A. Problemstellung
Streitig ist, ob die Klägerin Vorsteuern aus Rechnungen eines sog. missing traders abziehen kann. Es war zunächst zu klären, ob er im Hinblick auf die jüngst ergangene EuGH-Rechtsprechung zu den formellen Anforderungen an zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungen im Hinblick auf die Angaben zum Sitz des Unternehmers seine diesbezüglich anderslautende – strengere – Sichtweise aufgibt. Ferner stellte sich die Frage, ob der begehrte Vorsteuerabzug ggf. deshalb zu versagen war, weil feststand, dass es sich um Lieferungen eines sog. missing traders im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussellbetrugs handelte.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine GmbH, ist Organträgerin in einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft mit der S-GmbH. Geschäftsführer der S-GmbH waren X, Y und Z. Die S-GmbH hat ihren Sitz in A (Inland), wo sie einen Schrotthandel betreibt. Die S-GmbH bezog zwischen Februar und April des Streitjahres 2008 von der M-GmbH rund 200 Tonnen Stahlschrott, verteilt auf neun Einzellieferungen. Der Schrott wurde von einem LKW mit ungarischen Kennzeichen zur S-GmbH gebracht. Die M-GmbH war im Streitjahr eine von 168 Schrottlieferanten der S-GmbH. Die Schrottlieferungen der M-GmbH umfassten im Streitjahr etwa 0,3% der Einkaufswerte bzw. der Einkaufstonnage der S-GmbH. Nach den Angaben des verantwortlichen Einkäufers bei der S-GmbH kam der Geschäftskontakt mit der M-GmbH durch den Anruf deren Geschäftsführers L, einem ungarischen Staatsangehörigen, über eine deutsche Festnetznummer zustande. Weitere Gespräche wurden über ein Mobiltelefon geführt. Schriftliche Kaufverträge gibt es nicht. Die Verantwortlichen der beiden Gesellschaften hatten keinen persönlichen Kontakt. Die S-GmbH fertigte für jede Schrottlieferung u.a. auf die M-GmbH ausgestellte Wiegescheine.
Nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt B (Steuerfahndung), die sich das Finanzgericht zu eigen gemacht hat, war der Sitz der M-GmbH laut Eintragung im Handelsregister in A, C-Straße. Dort befanden sich auch die Räumlichkeiten der Anwaltskanzlei T und U. Die von der M-GmbH für die Korrespondenz mit der S-GmbH genutzte Festnetz- und Faxnummer gehörten zu der Kanzlei. Die Kanzlei diente als Domiziladresse für etwa 15 bis 20 andere Firmen. Ein eigener Arbeitsplatz war nicht vorhanden. Bei einer Durchsuchung im Januar 2009 wurden dort keine Papiere über eine Geschäftsverbindung der M-GmbH mit der S-GmbH aufgefunden. Geschäftsunterlagen der M-GmbH wurden vielmehr bei weiteren Durchsuchungen in Ungarn beschlagnahmt. Die M-GmbH hatte neben dem Geschäftsführer keine Angestellten. Sie besaß weder ein Lager noch eigene LKW. Laut Auskunft des T ermöglichte die Kanzlei der M-GmbH die Nutzung eines Schreibtisches mit PC sowie eines Telefonanschlusses und stellte einen Briefkasten für die Post zur Verfügung. Der Schreibtisch sei etwa einmal im Monat von Herrn L und C genutzt worden, die einen Laptop dabei gehabt hätten. Die S-GmbH bat den Steuerberater der M-GmbH mit Schreiben vom 29.02.2008 um Übersendung einer Bescheinigung, dass die M-GmbH ein umsatzsteuerpflichtiges Unternehmen sei. In der Anfrage gab die S-GmbH die ihr bekannte Anschrift der M-GmbH in A, C-Straße an. Der Steuerberater der M-GmbH bestätigte der S-GmbH mit Antwortschreiben vom 03.03.2008, dass die M-GmbH ihre Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des UStG versteuere und zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Die S-GmbH erteilte für die einzelnen Schrottlieferungen der M-GmbH Gutschriften. Darüber hinaus stellte die M-GmbH der S-GmbH für die Schrottlieferungen Rechnungen mit Ausweis der Umsatzsteuer aus. Die Rechnungen sind von L unterschrieben. Sie wurden der Klägerin per Fax von einer Faxnummer aus A mit dem Absender „M-GmbH“ übermittelt. Als Anschrift der M-GmbH ist A, C-Straße angegeben. Die M-GmbH nennt überdies die ihr vom Finanzamt B für Körperschaften erteilte Steuernummer. Die S-GmbH überwies die Rechnungsbeträge auf ein in den Rechnungen angegebenes Bankkonto der M GmbH bei einem Kreditinstitut mit Sitz in A. Die Klägerin machte mit ihrer Umsatzsteuererklärung 2008 den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der M-GmbH geltend.
Die Steuerfahndung kam zu dem Ergebnis, die M-GmbH sei in ein Umsatzsteuerkarussell mit ungarischem Schrott eingebunden gewesen. Sie habe in der planmäßig hintereinander geschalteten Rechnungskette als erste inländische Firma fungiert (sog. missing trader). Die M-GmbH habe den Schrott nicht nur an die S-GmbH, sondern auch an weitere deutsche Schrotthändler geliefert. Drahtzieher sei ein Herr Ü gewesen, der die Geschäfte von Ungarn und den Seychellen aus gesteuert habe. Er sei inzwischen in der Türkei festgenommen und in die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden. Die M-GmbH meldete die Umsätze aus den Schrottlieferungen an die S-GmbH nicht an und zahlte die Umsatzsteuer nicht. Sie wurde am 20.06.2011 im Handelsregister gelöscht. Die Staatsanwaltschaft D stellte die Steuerstrafverfahren gegen die drei Geschäftsführer der S-GmbH am 22.03.2012 nach § 170 Abs. 2 StPO wieder ein. Das Finanzamt erkannte die Vorsteuern aus den Schrottlieferungen, über die die M-GmbH gegenüber der Klägerin abgerechnet hatte, im geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 30.11.2012 nicht an. Das Finanzgericht hat der Klage stattgegeben (FG Stuttgart, Urt. v. 21.04.2016 – 1 K 1158/14 – EFG 2016, 1562).
Der Senat hatte das Verfahren gemäß § 155 FGO, § 251 Satz 1 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen C-374/16 und C-375/16 zum Ruhen gebracht. In diesen vorgreiflichen Verfahren hat der EuGH entschieden, dass Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a i.V.m. Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL) dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass in der Rechnung die Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (EuGH, Urt. v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 – MwStR 2017, 987 = UR 2017, 970 „Geissel und Butin“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 8/2018 Anm. 5).
Der BFH hat die Revision des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht habe zu Recht entschieden, dass die Klägerin zum Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der M-GmbH berechtigt sei. Er hat zur Begründung ausgeführt:
I. Die Klägerin habe die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG durch den Bezug der Schrottlieferungen der M-GmbH erfüllt.
1. Sie besitze auch nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnungen der M-GmbH. Zwar erfordere eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung, dass die Rechnung den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entspreche, was gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers erfordere. An der hierzu ergangenen Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 08.07.2009 – XI R 51/07 Rn. 16 – BFH/NV 2010, 256; BFH, Urt. v. 30.04.2009 – V R 15/07 Rn. 32, 39 – BStBl II 2009, 744; BFH, Urt. v. 22.07.2015 – V R 23/14 Rn. 25 – BStBl II 2015, 914; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 44/2015 Anm. 5) halte der Senat nach Ergehen des EuGH-Urteils in der Rechtssache „Geissel und Butin“ nicht mehr fest. Die §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG seien vielmehr richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetze, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt würden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben sei. Vielmehr reiche jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar sei. Diese Voraussetzungen erfüllten die von der M-GmbH ausgestellten Rechnungen, weil sie unter der von ihr angegebenen Rechnungsanschrift Post erhalten habe.
2. Es lägen auch keine für die M-GmbH gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen vor, die die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt hätte. Eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung setze gemäß § 6a Abs. 1 UStG u.a. voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet habe. Allein der Umstand, dass die Lieferung von ungarischen Staatsangehörigen mit LKW mit ungarischen Kennzeichen durchgeführt worden seien, stütze diese Annahme nicht hinreichend.
II. Der Vorsteuerabzug könne der Klägerin auch nicht unter Hinweis darauf versagt werden, dass die Lieferungen der M-GmbH an die S-GmbH in eine Steuerhinterziehung einbezogen gewesen seien.
1. Denn seien wie im vorliegenden Fall die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, sei es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen gewesen seien oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren (EuGH, Urt. v. 13.02.2014 – C-18/13 Rn. 26 ff. – UR 2014, 861 = MwStR 2014, 197 „Maks Pen“; EuGH, Urt. v. 22.10.2015 – C-277/14 Rn. 49 – UR 2015, 917 = MwStR 2015, 964 „PPUH Stehcemp“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 10/2016 Anm. 7). Dem habe sich der BFH bereits angeschlossen (z.B. BFH, Beschl. v. 06.04.2016 – V R 25/15 Rn. 57 – BFHE 254, 139 = BFH/NV 2016, 1401).
2. Das Finanzgericht habe in seiner auf eine Vielzahl von Kriterien gestützten Würdigung, die weder gegen Erfahrungssätze noch gegen die Denkgesetze verstoße, für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass weder die Klägerin, noch die S-GmbH von der Einbeziehung ihrer Leistungsbezüge in eine Steuerhinterziehung wusste oder wissen konnte.
III. Der XI. Senat des BFH habe auf Anfrage mitgeteilt, dass er einer Abweichung von seiner Rechtsprechung zustimme (BFH, Urt. v. 08.07.2009 – XI R 51/07 – BFH/NV 2010, 256; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 12/2010 Anm. 6).
C. Kontext der Entscheidung
I. Das Besprechungsurteil ist eine von zwei wichtigen Nachfolgeentscheidungen (vgl. außerdem BFH, Urt. v. 21.06.2018 – V R 25/15 – BFH/NV 2018, 1053 = DStR 2018, 1661 mit Anm. Heuermann), mit denen der V. Senat des BFH neuere EuGH-Urteile (EuGH, Urteil in der Rechtssache „Geissel und Butin“) umgesetzt und seine bisher anders lautende – strengere – Rechtsprechung aufgegeben hat. Danach setzt eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht mehr voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenadresse, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist (vgl. auch BFH, Urt. v. 13.06.2018 – XI R 20/14).
II. Beim Besprechungsurteil hatte der BFH erneut Gelegenheit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Versagung des Vorsteuerabzugs deshalb erfolgen musste, weil die entsprechenden Lieferungen von einem sog. missing trader im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells ausgeführt worden waren. Als „missing trader“ wird ein Unternehmer bezeichnet, der in einer Rechnung gesondert Umsatzsteuer ausweist, aber die von einem anderen Unternehmer entsprechend vereinnahmte Umsatzsteuer entsprechend seiner vorgefassten Absicht nicht an das Finanzamt abführt und nach Ablauf eines gewissen Zeitraums – vor Entdeckung der Steuerhinterziehung – sein Gewerbe abmeldet und anschließend nicht mehr auffindbar ist (vgl. dazu z.B. Grube, MwStR 2013, 8). Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Steuerpflichtige entweder selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen musste, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Hinterziehung der Mehrwertsteuer einbezogen war (vgl. z.B. EuGH, Urt. v. 12.01.2006 – C-354/03, C-355/03 und C-484/03, C-354/03, C-355/03, C-484/03 Rn. 52, 55 – Slg. 2006, I-483 „Optigen u.a.“; EuGH, Urteil in der Rechtssache „PPUH Stehcemp“). Diese Rechtsprechung haben beide Umsatzsteuersenate des BFH bereits umgesetzt (BFH, Urt. v. 19.04.2007 – V R 48/04 – BStBl II 2009, 315; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 40/2007 Anm. 5; BFH, Urt. v. 19.05.2010 – XI R 78/07 – BFH/NV 2010, 2132). Im Besprechungsurteil hat der BFH diese Rechtsprechung nun insofern weiterentwickelt, als er explizit jetzt auch den umgekehrten Fall formuliert: Eine Versagung des Vorsteuerabzugs kommt nicht in Betracht, wenn der Erwerber in Bezug auf die vom Leistenden begangene Steuerhinterziehung gutgläubig war, d.h. dass er die entsprechenden Umstände nicht kannte und auch nichts darüber hätte wissen müssen. Dies bedeutet zumindest für diese Fallgruppe, dass ein entsprechender „Gutglaubensschutz“ des den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempfängers an die Redlichkeit des Leistenden schon im Festsetzungsverfahren in Betracht kommt, während in allen anderen Fällen, bei denen schon die formellen oder materiellen Voraussetzungen für die Gewährung des Vorsteuerabzugs teilweise nicht erfüllt sind, nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH ausschließlich nur die getrennt vorzunehmende Anwendung eines Billigkeitsverfahrens i.S.d. §§ 163, 227 AO möglich ist (vgl. BFH, Beschl. v. 06.04.2016 – V R 25/15 Rn. 44, 45 – MwStR 2016, 663; BFH, Beschl. v. 06.04.2016 – XI R 20/14 Rn. 56 ff. – BFH/NV 2016, 1405). Der EuGH konnte in seinem Urteil in der Rechtssache „Geissel und Butin“ die entsprechend an ihn gestellten Fragen in den Vorabentscheidungsersuchen der beiden Umsatzsteuersenate unbeantwortet lassen, weil er schon zu dem Ergebnis kam, dass die Angabe der „Briefkastenadresse“ bezogen auf die erforderliche Anschrift des Steuerpflichtigen den formellen Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung genügt, so dass alle Voraussetzungen für die Gewährung des Vorsteuerabzugs ohnehin erfüllt waren. Die Frage nach einem etwa zu gewährenden „Vertrauensschutz“ des Leistungsempfängers stellte sich insoweit – jedenfalls bezogen auf die Anschrift des Leistenden in der Rechnung – nicht mehr.
III. Nicht ganz geklärt ist nach dem Besprechungsurteil, ob der BFH weiterhin an seiner Rechtsauffassung festhält, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast auch hinsichtlich seiner fehlenden Kenntnis einer Beteiligung seines Erwerbs an einem Umsatz trägt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (BFH, Urt. v. 19.04.2007 – V R 48/04 – BStBl II 2009, 315, 4. Leitsatz, Rz 62, 65; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 40/2007 Anm. 5). Der EuGH vertritt in ständiger Rechtsprechung demgegenüber die Meinung, dass die entsprechende Darlegungs- und Feststellungslast zur etwaigen Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers der Finanzverwaltung obliegt (vgl. z.B. EuGH, Urteil in der Rechtssache „PPUH Stehcemp“). Der BFH musste im Besprechungsurteil dazu keine Aussage treffen, weil die entsprechenden Tatsachen zugunsten der Klägerin bereits abschließend geklärt waren, so dass sich diese Rechtsfrage nicht mehr stellte. Da sich der BFH im Besprechungsurteil nun auch im Übrigen weitestgehend der neueren EuGH-Rechtsprechung zu diesem Themenkreis angeschlossen hat, die er zudem ausdrücklich zitiert hat, dürfte m.E. auch im Hinblick auf das Gebot der Unionstreue zu erwarten sein, dass dies zukünftig gleichfalls die noch offene Rechtsfrage der Beweislast umfasst. Dabei dürfte außerdem zu berücksichtigen sein, dass der Nachweis einer fehlenden Kenntnis einer etwaigen Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell als eine „negative“ Tatsache regelmäßig nur schwer oder auch gar nicht zu führen ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Mit dem Besprechungsurteil hat der BFH die Vorgaben des EuGH umgesetzt und seine Rechtsprechung nun auch entsprechend geändert. Die Finanzverwaltung hatte das Unionsrecht bereits dahingehend verstanden, dass anstelle der Anschrift des Leistungsempfängers auch die Daten eines Postfachs oder eine Großkundenadresse angegeben werden konnten (UStAE Abschn. 14.5. Abs. 2 Satz 3). Daher dürfte auch damit zu rechnen sein, dass die Finanzverwaltung das Besprechungsurteil für über den Einzelfall hinaus anwendbar erklärt und dementsprechend im Bundessteuerblatt veröffentlichen lässt. Gutgläubige Leistungsempfänger, denen überraschend die festgestellte Beteiligung ihres Lieferers an einem Umsatzsteuerkarussell vorgehalten wird, können sich nach Maßgabe des Besprechungsurteils und der darin zitierten EuGH-Rechtsprechung gegen eine sich ggf. anschließende Versagung des Vorsteuerabzugs wehren.
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