Nachfolgend ein Beitrag vom 6.2.2017 von Schießl, jurisPR-SteuerR 6/2017 Anm. 5

Leitsatz

Ein Mietverhältnis zwischen nahen Angehörigen entspricht nicht den Kriterien des Fremdvergleichs, wenn es in zahlreichen Punkten von den zwischen fremden Dritten üblichen Vertragsinhalten abweicht.

A. Problemstellung

Die Entscheidung betrifft die in der Praxis bedeutsame Frage, ob ein Mietverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und seiner Mutter aus steuerrechtlicher Sicht anzuerkennen ist, das als Vertragskombination aus Mietvertrag und widerruflichem Schenkungsversprechen ausgestaltet worden ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war in den Streitjahren 2006 und 2007 Eigentümer einer Doppelhaushälfte. Das Haus bewohnte er zunächst selbst. Im Juni 2002 schloss er mit seiner Mutter eine privatschriftliche Schenkungsvereinbarung. Danach schenkte die Mutter dem Kläger einen Betrag i.H.v. 115.000 Euro. Weiter war vereinbart, dass die Mutter des Klägers die Schenkung jährlich bis zu einem Betrag i.H.v. 10.000 Euro durch schriftliche Erklärung bis zur ersten Dezemberwoche des jeweiligen Jahres widerrufen durfte, ohne dass eine Begründung erforderlich wäre.
Der Kläger schloss mit seiner Mutter am 10.10.2002 einen schriftlichen Mietvertrag über das Haus. Darin war vereinbart, dass der Mietzins von 400 Euro zum dritten Werktag eines Monats auf das Konto des Klägers zu zahlen sei. Ferner waren Nebenkosten nach einer einmal jährlich zu erstellenden Abrechnung zu zahlen. Eine Vorauszahlung von Nebenkosten war nicht vereinbart. Die Kündigungsfrist betrug zwölf Monate. Eine Anpassung der Kaltmiete an die ortsübliche Vergleichsmiete durch den Vermieter war jederzeit mit einer Frist von einem Monat möglich. Am 06.12.2002 wurde ein Nachtrag zum Mietvertrag vereinbart. Darin war abweichend von der Zahlungsbestimmung im Mietvertrag vorgesehen, die Miete und die Nebenkosten einmal jährlich durch Widerruf der Schenkung und Aufrechnung zu leisten. Dies sollte gelten, solange noch Schenkungsbeträge vorhanden seien.
Ab Januar 2004 wurde die Miete auf 470 Euro und ab Januar 2005 auf 550 Euro erhöht. Die Mutter des Klägers erklärte dazu, dass sie die Mieterhöhung ab Januar 2005 zunächst einbehalte, bis eine Reihe von Mängeln beseitigt sei.
In den Jahren 2004 bis 2008 lagen – einschließlich der Nachentrichtung von zunächst wegen einer Mietminderung einbehaltener Beträge – folgende Mietzahlungen und Schenkungswiderrufe vor:

… wird ausgeführt

In seiner Einkommensteuererklärung 2006 erklärte der Kläger negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Doppelhaushälfte i.H.v. 15.618 Euro. Er wurde vom Finanzamt zunächst mit geringen Abweichungen mit einem Betrag i.H.v. 15.152 Euro veranlagt. In seiner Einkommensteuererklärung 2007 erklärte der Kläger hinsichtlich des Objekts negative Einkünfte i.H.v. 7.364 Euro, die ebenfalls erklärungsgemäß berücksichtigt wurden. Nachdem das Finanzamt im Anschluss an eine Außenprüfung Änderungsbescheide für die Streitjahre zum Nachteil des Klägers erlassen hat, legte er jeweils Einspruch ein.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Gestaltung des Mietverhältnisses einem Fremdvergleich nicht standhalte. Das Finanzamt wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Zugleich verböserte es die Steuerfestsetzungen 2006 und 2007 und berücksichtigte die Verluste aus der Vermietung der Doppelhaushälfte an die Mutter nicht mehr.
Die erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht hatte entschieden, dass die erklärten Verluste aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen seien. Das Mietverhältnis halte mit Blick auf die getroffenen Vereinbarungen und in seiner Durchführung einem Fremdvergleich stand (FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 01.10.2015 – 7 K 7216/13 – EFG 2016, 1609). Der BFH hat die Revision als begründet angesehen. Sie führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das Finanzgericht habe im Rahmen einer unvollständigen und unzutreffenden Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft angenommen, dass das streitige Mietverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Mutter einem Fremdvergleich standhalte und der Besteuerung zugrunde zu legen sei. Der BFH führte im Einzelnen aus:
I. Das Finanzgericht habe die bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen gebotene Gesamtbetrachtung unvollständig durchgeführt. Im Rahmen der bei der Prüfung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen nötigen Gesamtwürdigung aller Umstände (vgl. BFH, Urt. v. 01.08.2012 – IX R 18/11) habe es die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Mietvertrag abgeschlossene Schenkungsabrede nicht ausreichend in seine Betrachtung einbezogen, sondern fehlerhaft allein auf den abgeschlossenen Mietvertrag abgestellt und dessen tatsächliche Durchführung überprüft. Das Finanzgericht habe nicht gewürdigt, dass die wirtschaftliche und rechtliche Verbindung zwischen Schenkungsvertrag und Mietvertrag, wie sie mit dem Nachtrag zum Mietvertrag vom 06.12.2002 erfolgt war, bereits nicht fremdüblich sei. Insoweit habe es den Umstand verkannt, dass ein fremder Mieter sich auf ein derartiges Vertragsgeflecht nicht eingelassen hätte. Ein fremder Mieter werde im Hinblick auf den Abschluss eines Mietverhältnisses dem Vermieter in zeitlichem Zusammenhang mit der beabsichtigten Nutzung der Immobilie gewöhnlich keinen Geldbetrag unter Widerrufsvorbehalt schenken. Eine derartige Kombination aus Mietvertrag und Schenkungsversprechen werde allenfalls zwischen Angehörigen vereinbart und umgesetzt. Sie sei Ausdruck eines den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierenden Näheverhältnisses und dokumentiere die private Veranlassung der gewählten Vertragsgestaltung.
II. Weiter habe das Finanzgericht auch den Inhalt der abgeschlossenen Schenkungsabrede nur unvollständig in seine rechtliche Würdigung einbezogen. Das Finanzgericht habe den Schenkungsvertrag weder am Inhalt fremdüblicher Schenkungsvereinbarungen noch an den einschlägigen Regelungen des BGB gemessen. Danach seien Schenkungen regelmäßig nicht widerruflich ausgestattet. Zudem werde der Widerruf nach § 530 Abs. 1 BGB grundsätzlich von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht. Der Kläger habe hingegen mit seiner Mutter einen voraussetzungslosen Widerruf vereinbart, was bereits ein erhebliches Indiz gegen die Ernsthaftigkeit und Fremdüblichkeit der getroffenen Schenkungsvereinbarung darstelle.
III. Das Finanzgericht habe auch rechtsfehlerhaft die zahlreichen Abweichungen im abgeschlossenen Mietvertrag von den zwischen fremden Dritten üblichen Vereinbarungen nicht als Indiz gegen eine ernsthafte und damit fremdübliche Vereinbarung eingeordnet. Dies gelte insbesondere für dem Umstand, dass die Mietzahlungen nur einmal jährlich im Nachhinein geleistet und auch die Nebenkosten ohne Vorauszahlungen nur einmal jährlich abgerechnet und mit erheblicher Verzögerung beglichen würden.
IV. Das Finanzgericht habe ebenfalls nicht berücksichtigt, dass das Mietverhältnis auch nicht wie zwischen fremden Dritten durchgeführt worden sei. Dies zeige sich daran, dass die Mutter Teilbeträge der Miete ab 2005 wegen Mängeln der Wohnung einbehalten habe und der Kläger zunächst keine Anstalten gemacht habe, die Mängel zu beseitigen und wieder die volle Mietzahlung zu erhalten. Vielmehr sei seitens der Mutter im Nachhinein die Miete ohne Erläuterung und ohne rechtliche Verpflichtung nachentrichtet worden. Unter fremden Dritten hätte sich der Mieter auf Minderansprüche berufen und wegen Mängeln der Mietsache von einer Nachentrichtung der offenen Beträge abgesehen.
V. Schließlich habe das Finanzgericht auch nicht hinreichend gewürdigt, dass die abgeschlossenen Vereinbarungen nicht wie vereinbart tatsächlich durchgeführt worden seien. So sei die jährliche Widerrufsmöglichkeit im Schenkungsvertrag auf einen Betrag i.H.v. 10.000 Euro jährlich begrenzt gewesen. Sowohl in den Jahren 2007 als auch in 2008 seien jedoch deutlich höhere Widerrufe erklärt worden, ohne dass dies von den Vertragsparteien beanstandet worden sei.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die steuerliche Anerkennung von Vertragsverhältnissen zwischen nahestehenden Personen ist u.a. davon abhängig, dass die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind und sowohl die Gestaltung als auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (st. Rspr., vgl. z.B. zuletzt BFH, Urt. v. 16.02.2016 – IX R 28/15 – BFH/NV 2016, 1006 m.w.N.).
Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Anerkennung von Verträgen zwischen nahestehenden Personen gründen auf der Überlegung, dass es innerhalb eines Familienverbundes typischerweise an einem Interessengegensatz mangelt. Es ist daher geboten, an den Beweis des Abschlusses und an den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahestehenden Personen strenge Anforderungen zu stellen. Rechtsgrundlage des Fremdvergleichs sind die §§ 85, 88 AO und § 76 Abs. 1 FGO. Er ermöglicht aufgrund einer Würdigung von Beweisanzeichen den Schluss, aus welchen Gründen ein Leistungsaustausch – wie im Streitfall – unter Angehörigen stattgefunden hat, ob aufgrund eines den Tatbestand einer Einkunftsart erfüllenden Vertrags oder aus privaten, familiären Gründen. Erst das Ergebnis dieser der Tatsachenfeststellung zuzuordnenden Indizienwürdigung ermöglicht die nachfolgende rechtliche Subsumtion, ob es sich bei den Aufwendungen des Steuerpflichtigen um nicht abziehbare Privatausgaben oder aber um Werbungskosten oder Betriebsausgaben handelt.
Die revisionsrechtliche Überprüfung der notwendigen Gesamtwürdigung des Finanzgerichts durch den BFH beschränkt sich darauf, ob das Finanzgericht von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen (Indizien) einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BFH, Urt. v. 01.08.2012 – IX R 18/11, unter II.1.; BFH, Urt. v. 16.02.2016 – IX R 28/15 – BFH/NV 2016, 1006, jeweils m.w.N.). Maßgebliche Beweisanzeichen bei der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu treffenden Entscheidung, ob die streitigen Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften stehen oder dem nicht steuerbaren privaten Bereich (§ 12 EStG) zugehörig sind, bilden insbesondere die Kriterien des Fremdvergleichs. Jedenfalls die Hauptpflichten der Vertragsparteien müssen klar und eindeutig vereinbart worden sein und entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden.
II. Was unter „nahestehenden Personen“ zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht definiert. Maßgebend ist, ob unter Berücksichtigung der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis angenommen werden kann (vgl. auch BFH, Urt. v. 19.11.2014 – VIII R 23/11 m. Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 7/2016 Anm. 2). An den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahestehenden Personen sind strenge Anforderungen zu stellen (so zuletzt BFH, Urt. v. 16.02.2016 – IX R 28/15 – BFH/NV 2016, 1006).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Besonderheit im Besprechungsfall lag in der atypischen wirtschaftlichen Verknüpfung von Mietvertrag und voraussetzungslos widerruflichem Schenkungsversprechen. Der BFH stellt klar, dass an die steuerliche Anerkennung eines solches Vertragsmodells strenge Anforderungen zu stellen sind, und es regelmäßig nicht den Kriterien des erforderlichen Fremdvergleichs standhalten wird. Im Besprechungsfall wich es in zahlreichen Punkten von den zwischen fremden Dritten üblichen Vertragsinhalten ab. Der vom Steuerpflichtigen zu führende Nachweis der Ernstlichkeit dieser Vertragsgestaltung zwischen nahestehenden Personen ist in solchen Fällen ausgeschlossen.