Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2017 von Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 27/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Der gesonderte Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG ist bei einer Darlehensgewährung an eine Kapitalgesellschaft nicht schon deshalb nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG ausgeschlossen, weil der Gläubiger der Kapitalerträge mittelbar zu mindestens 10% an der Schuldnerin beteiligt ist (entgegen BMF-Schreiben v. 18.01.2016 – IV C 1-S 2252/08/10004:017, 2015/0468306, BStBl I 2016, 85, Tz. 137).
2. Sind Anteilseignerin und Schuldnerin der Kapitalerträge jeweils Kapitalgesellschaften, kann der Steuerpflichtige als Gläubiger der Kapitalerträge jedenfalls dann eine der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft nahe stehende Person i.S.d. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG sein, wenn er aufgrund seiner Beteiligung über die Mehrheit der Stimmrechte in deren Gesellschafterversammlung verfügt.

A. Problemstellung

Zu entscheiden war, welchen Anforderungen die mittelbare Beteiligung des Gläubigers der Kapitalerträge an der Schuldnerin (Kapitalgesellschaft) zu genügen hat, um den Abgeltungsteuersatz auszuschließen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann verkauften am 20.04.2006 ihren Eigentumsanteil an einem Grundstück mit aufstehender und vermieteter Gewerbehalle für 2.494.800 Euro an die L-GmbH. Der zum 01.06.2006 fällig gestellte Kaufpreis wurde im Kaufvertrag in ein unkündbares Darlehen mit einem Jahreszinssatz von 3% und einer jährlichen Zins- und Tilgungsrate von 100.000 Euro umgewandelt.
Hauptgesellschafterin der L-GmbH mit einem Anteil von 94% war im Streitjahr (2011) die F-GmbH. An der F-GmbH waren bis zum 09.11. des Streitjahres die Klägerin zu 1) mit 10,86% und ihr Ehemann mit 54,33% beteiligt. Nach dem 09.11. des Streitjahres waren die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann jeweils zu 22,80% an der F-GmbH beteiligt.
Im Streitjahr beliefen sich die Zinszahlungen der L-GmbH an die Klägerin zu 1) und ihren Ehemann jeweils auf 6.629 Euro (insgesamt 13.258 Euro). Die Zinszahlungen der L-GmbH ordneten die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann in der gemeinsamen Steuererklärung für das Streitjahr zunächst den Kapitalerträgen zu, die gemäß § 32d Abs. 2 und 3 EStG der tariflichen Einkommensteuer unterlagen.
Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß. Hiergegen erhoben die Klägerin zu 1) und ihr Ehemann Einspruch mit der Begründung, die Regelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG greife nicht ein, da sie an der L-GmbH nicht direkt, sondern lediglich mittelbar beteiligt seien. Der Einspruch blieb erfolglos. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Finanzgericht verstarb der Ehemann der Klägerin zu 1). Seine Erbinnen, die Klägerinnen zu 2) und 3) führten das Verfahren als Rechtsnachfolgerinnen fort. Im Verlauf des Klageverfahrens wurde die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr durch Bescheid vom 24.09.2013 aus nicht mehr streitigen Gründen geändert.
Das Finanzgericht gab der Klage teilweise statt. Es entschied, die nur mittelbare Beteiligung der Klägerin zu 1) falle nicht unter die Regelung in § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG. Die Darlehenszinsen der Klägerin zu 1) unterlägen daher dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG. Der Ehemann der Klägerin zu 1) sei hingegen als nahestehende Person zur Anteilseignerin F-GmbH gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG anzusehen und die auf ihn entfallenden Darlehenszinsen der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen (FG Münster, Urt. v. 30.06.2015 – 13 K 3126/13 E,F – EFG 2015, 1706). Die Revision des Finanzamts hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BFH ist das Finanzgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die streitigen Kapitaleinkünfte der Klägerin zu 1) dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG sind durch die mittelbare Beteiligung der Klägerin zu 1) an der L-GmbH nicht erfüllt.
Im Rahmen des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG besteht keine Veranlassung für eine Gleichstellung unmittelbarer und mittelbarer Anteilseigner. Der im Gesetzgebungsverfahren diskutierte Wortlaut (BT-Drs. 16/5377, S. 14 und 26, BT-Drs. 16/5452, S. 22) und der Umkehrschluss zu § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, in dem die mittelbare Beteiligung ausdrücklich genannt ist, schließen ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen aus. Mittelbar beteiligte Gesellschafter als Gläubiger der Kapitalerträge fallen damit nicht unter § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG (zustimmend Blümich/Werth, EStG, § 32d Rn. 76; Baumgärtel/Lange in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32d EStG Rn. 21; Koss in: Korn, EStG, § 32d Rn. 53; Pfirrmann in: Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 32d Rn. 12; Intemann/Zöller, Handbuch privater Kapitaleinkünfte, 2016, Rn. 43; Elser/Bindl, FR 2010, 360, 362; Behrens/Renner, BB 2008, 2319, 2322).
II. Auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG sind nicht erfüllt. Die Klägerin zu 1) als Darlehensgeberin ist keine der Anteilseignerin F-GmbH nahestehende Person.
Ein Näheverhältnis liegt vor, wenn wie im vorliegenden Fall der Gläubiger der Kapitalerträge (hier: Klägerin zu 1) eine Beteiligung an der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft innehat (hier: F-GmbH), die es ihm ermöglicht, seinen Willen in deren Gesellschafterversammlung durchzusetzen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Gläubiger aufgrund seiner Beteiligung über die Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft verfügt. Er beherrscht dadurch die Einflussmöglichkeit, die auf der Ebene der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft aufgrund deren zumindest 10%iger Beteiligung an der Schuldner-Kapitalgesellschaft besteht.
Auf der Grundlage dieses Maßstabs tritt ein Ausschluss der Bezüge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 7 EStG aus dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG bei Gesellschafterdarlehen und stillen Beteiligungen eines unmittelbaren Gesellschafters der Schuldner-Kapitalgesellschaft bereits bei einer Beteiligung von mindestens 10% ein, während dies beim mittelbaren Gesellschafter erst ab einer Mehrheitsbeteiligung an der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft der Fall ist. Dieser Umstand beruht jedoch auf der in der Gesetzesbegründung vorgegebenen Begriffsbestimmung der „nahe stehenden Person“ i.S.d. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b Satz 2 EStG. Letztere setzt eine Beherrschung voraus; der Ausschlusstatbestand des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG hingegen nur eine Einflussmöglichkeit eines mindestens zu 10% beteiligten Anteilseigners.
Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass die für das Näheverhältnis maßgebliche Zurechnung der Einflussnahmemöglichkeit der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft an der Schuldner-Kapitalgesellschaft beim Gläubiger der Kapitalerträge auch anzunehmen sein kann, wenn der Gläubiger zwar nicht die Mehrheit der Stimmrechte innehat, aber anderweitige besondere Umstände gegeben sind, die auf eine faktische Beherrschung der Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschafterversammlung der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft schließen lassen.
Legt man dies zugrunde, ist der Ausschlusstatbestand vorliegend nicht erfüllt. Eine Beherrschung der Gesellschafterversammlung der F-GmbH durch die Klägerin zu 1) lag nicht vor, da sie im Streitjahr lediglich zu 10,86% bzw. 22,8% beteiligt war.

C. Kontext der Entscheidung

I. Gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG gilt der gesonderte Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG nicht, wenn Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10% an der Gesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist. Diese Ungleichbehandlung der Anteilseigner im Vergleich zu den durch den Abgeltungsteuersatz begünstigten Steuerpflichtigen verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG, da sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist (vgl. BFH, Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 23/13 – BStBl II 2014, 884; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 41/2014 Anm. 2).
Die Gleichstellung einer nur mittelbaren mit einer unmittelbaren Beteiligung bedarf nach der Rechtsprechung des BFH im Grundsatz jeweils einer ausdrücklichen gesetzlichen Einbeziehung in den Tatbestand (BFH, Urt. v. 04.04.1974 – I R 73/72 – BStBl II 1974, 645; BFH, Urt v. 15.12.1998 – VIII R 77/93 – BStBl II 1999, 168; BFH, Urt. v. 20.08.2003 – I R 61/01 – BStBl II 2004, 616). Eine Ausnahme hiervon kann in Einzelfällen vorliegen, wenn sich die Gleichstellung aus dem Sinn und Zweck einer Norm eindeutig ergibt (vgl. BFH, Urt v. 15.12.1998 – VIII R 77/93 – BStBl II 1999, 168, unter 2.a).
Bei dem Begriff „nahe stehende Person“ in § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nicht nach den Maßstäben des § 1 Abs. 2 AStG oder § 138 InsO, sondern normspezifisch für Zwecke des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG auszulegen ist (vgl. ausführlich BFH, Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 9/13 – BStBl II 2014, 986; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 48/2014 Anm. 5; BFH, Urt. v. 14.05.2014 – VIII R 31/11 – BStBl II 2014, 995; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 44/2014 Anm. 3).
Unter den Begriff „nahe stehende Person“ können alle natürlichen und juristischen Personen fallen, die zueinander in enger Beziehung stehen. Eine solche „enge Beziehung“ hat der Senat auf Grundlage der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/4841, S. 61) im Verhältnis natürlicher Personen zueinander bejaht, wenn die nahestehende Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahestehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (BFH, Urt. v. 14.05.2014 – VIII R 31/11 – BStBl II 2014, 995; BFH, Urt. v. 28.01.2015 – VIII R 8/14 – BStBl II 2015, 397; Anm. Podewils, jurisPR-SteuerR 18/2015 Anm. 4).

D. Auswirkungen für die Praxis

An diesem Maßstab hält der BFH nach Maßgabe der Besprechungsentscheidung auch fest, wenn zu bestimmen ist, ob ein Näheverhältnis des Gläubigers der Kapitalerträge zu einer Anteilseigner-Kapitalgesellschaft, die zu mindestens 10% an der Schuldner-Kapitalgesellschaft beteiligt ist, vorliegt. Wie die Gesetzesbegründung erkennen lässt, knüpft der Gesetzgeber für die Beurteilung des „Nahestehens“ in § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG maßgeblich an die Kriterien eines Beherrschungs- und Abhängigkeitsverhältnisses an.