Nachfolgend ein Beitrag vom 23.10.2017 von Steinhauff, jurisPR-SteuerR 43/2017 Anm. 5
Leitsatz
Die Änderung eines Bescheides über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG ist ausgeschlossen, wenn der (nacherklärte) Verlust bei der Ermittlung der der Abgeltungsteuer unterliegenden Einkünfte in der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung nicht berücksichtigt worden ist, eine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach Maßgabe der Änderungsvorschriften der AO ausgeschlossen ist und auch die Voraussetzungen des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG nicht vorliegen.
A. Problemstellung
Der BFH bestätigt mit der Besprechungsentscheidung die in gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung zu § 10d Abs. 4 EStG entwickelten Grundsätze auch für den Fall der nach § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG nur sinngemäßen Anwendung im Rahmen der für die Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Besonderheiten der Abgeltungsteuer.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Steuerberater. Er erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 neben Einkünften aus selbstständiger Arbeit Kapitalerträge i.H.v. 36 Euro. Zudem beantragte er die Günstigerprüfung (§ 32d Abs. 6 EStG) und eine Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge (§ 32d Abs. 4 EStG, sog. Antragsveranlagung).
Das beklagte Finanzamt veranlagte den Kläger mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Einkommensteuerbescheid 2013 vom 22.08.2014 erklärungsgemäß. Dabei lagen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens allein die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit zu Grunde. Die „Berechnung der Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden (Abgeltungsteuer)“, weist aus, dass die erklärten Kapitalerträge i.H.v. 36 Euro mit Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen verrechnet wurden und sich ein nach § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernder Betrag von 0 Euro ergab. Der Bescheid enthält den Hinweis, die Günstigerprüfung habe ergeben, die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif sei nicht günstiger.
In dem am gleichen Tag ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer zum 31.12.2013 minderte das Finanzamt den Verlustvortrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen zum 31.12.2012 um 36 Euro und stellte den verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2013 entsprechend niedriger fest.
Mit Bescheiden vom 08.09.2014 hob das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung sowohl in Bezug auf die Einkommensteuerfestsetzung als auch die Verlustfeststellung auf.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Er machte erstmals geltend, im Streitjahr durch insgesamt drei Wertpapierkäufe (DAX Puts) einen Verlust von 7.060 Euro erlitten zu haben, der weder in den Erträgnisaufstellungen der Bank noch in dem bei der Bank geführten „Verlusttopf“ berücksichtigt worden sei, da sich die Bank nicht für berechtigt gehalten habe, die Verluste zu berücksichtigen. Hierzu legte er Wertpapierabrechnungen und Ausbuchungsmitteilungen der Bank aus dem Jahr 2013 sowie ein Schreiben der Bank vom 25.09.2014 vor. Der Kläger beantragte, die Verluste im Rahmen der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer zum 31.12.2013 gemäß § 20 Abs. 6 Sätze 3 und 4 EStG zu berücksichtigen. Zugleich nahm er seinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2013 zurück. Das Finanzgericht (FG Hannover, Urt. v. 28.10.2015 – 3 K 420/14 – EFG 2016, 190) gab der Klage statt. Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies die Klage ab.
I. Der BFH ließ dahingestellt, ob der Kläger im Streitjahr steuerlich beachtliche Veräußerungsverluste i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. Abs. 4 Satz 5 EStG i.H.v. 7.060 Euro erlitten hat. Denn die nachträglich erklärten (etwaigen) Veräußerungsverluste könnten entgegen der Auffassung des Finanzgerichts nicht unmittelbar in dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer zum 31.12.2013 berücksichtigt werden. Eine entsprechende Änderung des Feststellungsbescheides vom 08.09.2014 sei infolge der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr, der die streitigen Verluste nicht zu Grunde lägen, ausgeschlossen (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG, § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG), da weder die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach Maßgabe der Änderungsvorschriften der AO noch die des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG vorlägen.
Verluste aus Kapitalvermögen könnten gemäß § 20 Abs. 6 EStG nur beschränkt verrechnet werden. Neben materiell-rechtlichen Beschränkungen der Verlustverrechnung enthalte § 20 Abs. 6 EStG auch verfahrensrechtliche Bestimmungen zur Verlustverrechnung und zum Verlustvortrag. So ordne § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG die sinngemäße Anwendung des § 10d Abs. 4 EStG an.
II. Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG seien bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt werde, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden könne, zu Grunde gelegt worden seien; § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO sowie § 42 FGO gälten entsprechend. Die Besteuerungsgrundlagen dürften bei der Feststellung des gesonderten Verlustvortrages nur insoweit abweichend von der Einkommensteuerfestsetzung berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibe (§ 10d Abs. 4 Satz 5 EStG).
III. Für die der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte werde mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid sei. Daraus folge, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrages die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen seien. Dementsprechend müsse der Steuerpflichtige seine Einwendungen gegen aus seiner Sicht unzutreffende Besteuerungsgrundlagen im Rahmen eines Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid geltend machen. Wegen der inhaltlichen Bindungswirkung in Bezug auf die Verlustfeststellung sei er durch einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid auch dann beschwert, wenn es sich um einen sog. Nullbescheid handele (vgl. BFH, Urt. v. 07.12.2016 – I R 76/14 – BStBl II 2017, 704, zum Körperschaftsteuerbescheid, m.w.N.).
IV. Die in § 10d Abs. 4 EStG festgeschriebenen Grundsätze gälten für den Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen sinngemäß (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG), d.h. die in Bezug genommene Regelung sei unter Beachtung der Besonderheit des bezugnehmenden Tatbestandes anzuwenden (vgl. zur sinngemäßen Anwendung z.B. BFH, Urt. v. 20.06.1989 – VIII R 82/86 – BStBl II 1989, 836 m.w.N.), mithin unter Beachtung der für die der Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 EStG) unterliegenden Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Besonderheiten. Dementsprechend seien insbesondere die Regelungen zum Kapitalertragsteuerabzug (§§ 43 ff. EStG) bzw. zur Antragsveranlagung (§ 32d Abs. 4 EStG, § 43 Abs. 5 Satz 3 EStG, § 43a Abs. 3 EStG), aber auch zur besonderen Ermittlung der gemäß § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernden Einkünfte (vgl. § 2 Abs. 5b EStG) zu beachten.
Das Gesetz schreibe für den Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen die Erhebung der Einkommensteuer durch den Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer, § 43 Abs. 1 EStG) mit abgeltender Wirkung (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) fest. Auf Antrag des Steuerpflichtigen könnten Kapitalerträge in die besondere Besteuerung gemäß § 32d EStG einbezogen werden (§ 43 Abs. 5 Satz 3 EStG). Auch die Verlustverrechnung erfolge vorrangig im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs durch die zum Einbehalt der Kapitalertragsteuer verpflichteten Kreditinstitute (§ 43a Abs. 3 EStG, vgl. Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rn. 610; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 36. Aufl., § 43a Rn. 3). Sie umfasse Veräußerungsverluste gemäß § 20 Abs. 2 EStG (§ 43a Abs. 2 EStG), so dass auch in diesen Fällen die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt werde. Die Verlustverrechnung auf der Ebene des Kreditinstitutes erfolge grundsätzlich unterjährig; ein Verlustvortrag sei möglich (§ 43a Abs. 3 Satz 3 EStG).
V. Eine individuelle Verrechnung von Verlusten bei den der Kapitalertragsteuer unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Steuerpflichtigen komme demgegenüber – ebenso wie ein Verlustvortrag außerhalb des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens – nur ausnahmsweise in Betracht. Hierzu müsse der Steuerpflichtige vom Kreditinstitut eine Bescheinigung über die Höhe des nicht ausgeglichenen Verlustes (§ 20 Abs. 6 Satz 6 EStG, § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG) verlangen und in seiner Einkommensteuererklärung einen Antrag gemäß § 32d Abs. 4 EStG (sog. Antragsveranlagung) stellen. Stelle das Kreditinstitut eine entsprechende Bescheinigung aus (zur Entbehrlichkeit der Bescheinigung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG, § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG s. BFH, Urt. v. 20.10.2016 – VIII R 55/13 – BStBl II 2017, 264), könne der Verlust nicht mehr im Kapitalertragsteuerabzugsverfahren auf der Ebene des Kreditinstitutes, sondern nur noch im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Steuerpflichtigen nach Maßgabe des § 20 Abs. 6 EStG berücksichtigt werden; ein Verlustvortrag erfolge dementsprechend in sinngemäßer Anwendung des § 10d Abs. 4 EStG.
Im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG auf die der Abgeltungsteuer unterliegenden Einkünfte sei zu beachten, dass die Ermittlung der Kapitalerträge grundsätzlich getrennt erfolge (vgl. § 2 Abs. 5b EStG). Die Einkünfte aus Kapitalvermögen blieben außerhalb der Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) sowie des Gesamtbetrages der Einkünfte (vgl. § 2 Abs. 4 EStG) und seien nicht Teil des (zu versteuernden) Einkommens.
Aus den dargelegten Gründen folge für die der Abgeltungsteuer unterliegenden, in die Einkommensteuerveranlagung einzubeziehenden Einkünfte aus Kapitalvermögen auch, dass die Höhe entsprechender Verluste grundsätzlich im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Verlustentstehungsjahres zu ermitteln und nur im Rahmen eines gegen diese Einkommensteuerfestsetzung geführten Einspruchsverfahrens zu überprüfen sei.
VI. Die Einkommensteuerfestsetzung 2013 sei nicht nach Maßgabe der Korrekturvorschriften der AO änderbar, insbesondere lägen die Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vor. Der Kläger habe als Steuerberater bereits grob fahrlässig gehandelt, als er die streitigen Verluste, die ihm aufgrund der Ausbuchungsmitteilungen der Bank bekannt gewesen seien, nicht in seiner Einkommensteuererklärung angegeben habe.
Aber selbst wenn der Kläger (zunächst) irrtümlich davon ausgegangen wäre, die streitigen Verluste seien bereits anderweitig, d.h. im Rahmen der auf Ebene der depotführenden Bank durchzuführenden Verlustverrechnung, berücksichtigt worden, hätte er grob fahrlässig gehandelt, als er zwar zur Begründung seiner Einsprüche gegen den Einkommensteuerbescheid 2013 und den Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2013 den steuerlich relevanten Sachverhalt dargelegt, aber zugleich den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurückgenommen habe. Hierdurch habe er es unmöglich gemacht, dass aus der Unterbreitung des steuerlich relevanten Sachverhaltes rechtliche Konsequenzen hätten gezogen werden können. Ein solches Vorgehen sei grob fahrlässig, denn zum Zeitpunkt der Einspruchsrücknahme sei ihm nicht nur bekannt gewesen, dass die depotführende Bank keine Verlustverrechnung vorgenommen gehabt und sich an einer solchen gehindert gesehen habe. Als Steuerberater habe sich ihm mit Blick auf § 20 Abs. 6, § 10d Abs. 4 EStG auch die Frage aufdrängen müssen, ob die von ihm begehrte Verlustberücksichtigung nur im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung erfolgen könne. Eine von der Einkommensteuerfestsetzung abweichende Berücksichtigung der streitigen Veräußerungsverluste im Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG sei ebenfalls ausgeschlossen, da die verfahrensrechtlichen Änderungsvoraussetzungen für die Einkommensteuerfestsetzung nicht vorlägen. Die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2013 sei nicht mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterblieben, sondern weil die Einkommensteuerfestsetzung 2013 infolge der (vorzeitigen) Einspruchsrücknahme des Klägers bestandskräftig geworden und deren Änderung mangels Vorliegen der Voraussetzungen einer Änderungsnorm ausgeschlossen sei.
VII. Hätte der Kläger seinen ungeachtet der Höhe der nach § 32d Abs. 1 EStG berechneten Einkünfte von 0 Euro zulässigen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid aufrechterhalten, hätte das Finanzamt – auch ohne eine Bescheinigung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG, § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG (vgl. BFH, Urt. v. 20.10.2016 – VIII R 55/13 – BStBl II 2017, 264) – die nacherklärten Verluste, vorausgesetzt diese wären steuerlich beachtlich, nach Saldierung mit gemäß § 20 Abs. 6 EStG verrechenbaren positiven Einkünften im Rahmen der Ermittlung der Höhe eines nicht ausgleichsfähigen und damit des vortragsfähigen Verlustes berücksichtigen und die Verluste der Ermittlung der gemäß § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernden Einkünfte zu Grunde legen müssen. Dabei hätte sich zwar weiterhin eine Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 EStG) von 0 Euro ergeben. Die Änderung des Einkommensteuerbescheides wäre in diesem Fall jedoch nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen unterblieben, sondern allein deshalb, weil sich – mangels höherer positiver Einkünfte aus Kapitalvermögen – im Streitjahr keine Auswirkung auf die festzusetzende Abgeltungsteuer ergeben hätte (§ 10d Abs. 4 Satz 5 EStG), so dass die begehrte Änderung des Verlustfeststellungsbescheides vorzunehmen gewesen wäre.
VIII. Dass der Kläger von der Pflicht zur Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 20 Abs. 6, § 43a Abs. 3 EStG befreit gewesen sei (vgl. BFH, Urt. v. 20.10.2016 – VIII R 55/13 – BStBl II 2017, 264), ändere nichts an den dargelegten Grundsätzen zur entsprechenden Anwendung des § 10d Abs. 4 EStG im Bereich der Abgeltungsteuer. Sie vermöge insbesondere keine Durchbrechung/Erweiterung des gesetzlichen Verlustverrechnungssystems und eine von den dargelegten Grundsätzen abweichende Einschränkung der Bindungswirkung der Einkommensteuerfestsetzung im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu begründen.
Die Entstehungsgeschichte des § 10d Abs. 4 EStG lasse ebenfalls keinen anderen Schluss zu.
C. Kontext der Entscheidung
I. Für die der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte wird mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist (vgl. BFH, Urt. v. 13.01.2015 – IX R 22/14 – BStBl II 2015, 829; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 23/2015 Anm. 3; Trossen, jM 2015, 303; BFH, Urt. v. 12.07.2016 – IX R 31/15 – BFHE 255, 1 = BFH/NV 2017, 100; Anm. Schießl, jurisPR-SteuerR 2/2017 Anm. 3; BFH, Urt. v. 07.12.2016 – I R 76/14 – BStBl II 2017, 704, zum Körperschaftsteuerbescheid). Daraus folgt, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrages die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen sind (BFH, Urt. v. 13.01.2015 – IX R 22/14 – BStBl II 2015, 829; BFH, Urt. v. 12.07.2016 – IX R 31/15 – BFHE 255, 1 = BFH/NV 2017, 100; BFH, Urt. v. 07.12.2016 – I R 76/14 – BStBl II 2017, 704, zum Körperschaftsteuerbescheid). Die aus § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG folgende Bindungswirkung setzt allerdings voraus, dass eine Einkommensteuerveranlagung (ggf. mit einer festzusetzenden Steuer von 0 Euro) durchgeführt worden ist (BFH, Urt. v. 13.01.2015 – IX R 22/14 – BStBl II 2015, 829, und BFH, Urt. v. 12.07.2016 – IX R 31/15 – BFHE 255, 1 = BFH/NV 2017, 100).
II. Wird der Einkommensteuerbescheid bestandskräftig und berücksichtigt er keinen Verlust, kommt eine Verlustfeststellung nur noch in Betracht, wenn und soweit der Steuerbescheid des Verlustentstehungsjahres nach den Vorschriften der AO (§§ 164 f., §§ 172 ff. AO) änderbar ist (vgl. BFH, Urt. v. 10.02.2015 – IX R 6/14 – BFH/NV 2015, 812; Anm. Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 32/2015 Anm. 3; BFH, Urt. v. 12.07.2016 – IX R 31/15 – BFHE 255, 1 = BFH/NV 2017, 100) bzw. die Voraussetzungen des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG gegeben sind. § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG enthält eine Ausnahme von der „inhaltlichen Bindungswirkung“ des Einkommensteuerbescheides (Schmidt/Heinicke, EStG, 36. Aufl., § 10d Rn. 47) für jene Fälle, in denen zwar die verfahrensrechtlichen Änderungsvoraussetzungen für die Einkommensteuerfestsetzung vorliegen, die Änderung des Einkommensteuerbescheides aber allein mangels Auswirkung auf die Steuerfestsetzung unterbleibt.
III. Liegen die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung (z.B. bei grob schuldhaft verspätetem Vorbringen neuer Tatsachen i.S.d. § 173 AO) nicht vor, ist § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG nicht anwendbar (Schmidt/ Heinicke, EStG, § 10d Rn. 47).
Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (st.Rspr., z.B. BFH, Urt. v. 09.11.2011 – X R 53/09 – BFH/NV 2012, 545, dazu Steinhauff, AO-StB 2012, 545; BFH, Urt. v. 19.12.2006 – VI R 59/02 – BFH/NV 2007, 866).
Für die Prüfung der Frage, ob dem Steuerpflichtigen der Vorwurf grob schuldhaften Verhaltens zu machen ist, ist nicht nur der Zeitraum bis zum Erlass des zu ändernden Bescheides, sondern auch der Zeitraum bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft einzubeziehen (z.B. BFH, Urt. v. 10.12.2013 – VIII R 10/11 – BFH/NV 2014, 820, m.w.N.; Anm. Levedag, HFR 2014, 576; BFH, Urt. v. 26.11.2014 – XI R 41/13 – BFH/NV 2015, 491; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 16/2015 Anm. 1).
Ein grobes Verschulden hinsichtlich einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache ist anzunehmen, wenn der steuerlich beratene Steuerpflichtige oder dessen Berater es versäumen, den entscheidungserheblichen Sachverhalt der Finanzbehörde noch im Rahmen eines fristgerechten Einspruchs zu unterbreiten (BFH, Urt. v. 10.12.2013 – VIII R 10/11 – BFH/NV 2014, 820). Diese Frage stellt sich jedoch nur dann, wenn nicht schon vor Erlass des Bescheides ein grob schuldhaftes Fehlverhalten vorgelegen hat (BFH, Urt. v. 10.12.2013 – VIII R 10/11 – BFH/NV 2014, 820).
Von einem solchen, vor Erlass des Bescheides vorliegenden grob schuldhaften Fehlverhalten ist u.a. auszugehen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt. Allerdings liegt kein grobes Verschulden vor, wenn die unvollständige Steuererklärung auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruht (vgl. BFH, Urt. v. 09.11.2011 – X R 53/09 – BFH/NV 2012, 545 m.w.N.; BFH, Urt. v. 20.03.2013 – VI R 5/11 – BFHE 240, 504 = BFH/NV 2013, 1142; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 31/2013 Anm. 2).
D. Auswirkungen für die Praxis
Mit der Neufassung von § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG durch das JStG 2010 wollte der Gesetzgeber gezielt die geänderte Rechtsprechung des BFH aushebeln, wonach ein verbleibender Verlustvortrag auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festzustellen ist, wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr zwar bestandskräftig ist, darin aber keine ausgeglichenen negativen Einkünfte berücksichtigt worden sind (vgl. BFH, Urt. v. 17.09.2008 – IX R 70/06 – BStBl II 2009, 897, m.w.N., dazu ausf. Besprechung von Ettlich, DB 2009, 18; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 23/2015 Anm. 3).
Steuerpflichtige und insbesondere Berater müssen deshalb besonders sorgfältig das Verhältnis von Einkommensteuerfestsetzung und Verlustfeststellungsbescheid in Fällen eines verbleibenden Verlustvortrags prüfen und sollten im Zweifel vorsorglich gegen beide Bescheide Einspruch einlegen.
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