Nachfolgend ein Beitrag vom 20.11.2017 von Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 47/2017 Anm. 5

Leitsatz

Die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, richtet sich nach der zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung). Vorerwerbe vom künftigen Erblasser sind nicht zu berücksichtigen.

A. Problemstellung

Der BFH hatte darüber zu befinden, in welcher Weise eine Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zu besteuern ist, wenn die Abfindung von dem künftigen gesetzlichen Erben gezahlt wird. Im Urteil vom 16.05.2013 (II R 21/11 – BStBl II 2013, 922), das denselben Sachverhalt wie das Besprechungsurteil betraf, hatte der BFH bereits entschieden, dass die Zahlung der Abfindung nicht als Schenkung des künftigen Erblassers, sondern als freigebige Zuwendung des künftigen Erben zu besteuern ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger verzichtete durch Erbschaftsvertrag vom 14.02.2006 gegenüber seinen drei Brüdern für den Fall, dass er durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge seiner Mutter ausgeschlossen sein sollte, auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen eine von den Brüdern jeweils zu zahlende Abfindung i.H.v. 150.000 Euro.
Das Finanzamt setzte für die Zuwendung eines Bruders gegen den Kläger Schenkungsteuer i.H.v. 28.405 Euro fest. Der Abfindung rechnete es Schenkungen der Mutter aus dem Jahr 2002 als Vorerwerbe hinzu. Hinsichtlich des Freibetrags (205.000 Euro gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 2006) und des Steuersatzes (19% nach § 19 Abs. 1 ErbStG) ging es von der im Verhältnis des Klägers zu seiner Mutter geltenden Steuerklasse I Nr. 2 aus. Der Einspruch, der sich gegen die Berücksichtigung der Vorerwerbe richtete, hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht setzte die Schenkungsteuer auf 10.810 Euro herab. Vorerwerbe rechnete es nicht hinzu. Entsprechend dem Antrag des Klägers berücksichtigte es einen Freibetrag i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG für die übrigen Personen der Steuerklasse I, die nicht Ehegatten oder Kinder sind, i.H.v. 51.200 Euro.
Die vom Finanzamt eingelegte Revision hatte insoweit Erfolg, als die Schenkungsteuer auf 23.647 Euro erhöht wurde. Der BFH hat entschieden, dass die Schenkungsteuer für die vom Bruder gezahlte Abfindung nach der Steuerklasse II zu berechnen ist. Vorerwerbe von der Mutter sind nicht zu berücksichtigen. Er führte zur Begründung aus:
I. Für die Besteuerung des Erwerbs eines gesetzlichen Erben von einem anderen gesetzlichen Erben aufgrund Verzichts auf künftige Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags ist nach den allgemeinen Regeln das Verhältnis des Verzichtenden zu dem anderen gesetzlichen Erben maßgebend. Die Steuerklasse (§ 15 ErbStG) und somit der Freibetrag (§ 16 Abs. 1 ErbStG) sowie der Steuersatz (§ 19 ErbStG) richten sich nach diesem Verhältnis (Abweichung von BFH, Urt. v. 25.05.1977 – II R 136/73 – BStBl II 1977, 733; BFH, Urt. v. 25.01.2001 – II R 22/98 – BStBl II 2001, 456; BFH, Urt. v. 16.05.2013 – II R 21/11 – BStBl II 2013, 922; Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 41/2013 Anm. 6).
Die vom Finanzamt verwendete Berechnungsmethode, die bei mehreren Zahlungsverpflichteten den im Verhältnis zum Erblasser maßgebenden Freibetrag bei jeder Abfindung des Verzichtenden berücksichtigt, kann wegen der Vervielfachung des Freibetrags zu einer erheblichen schenkungsteuerrechtlichen Besserstellung des „vor“ dem Erbfall vereinbarten Pflichtteilsverzichts führen. So wären im Streitfall – bei der vom Kläger begehrten Nichtberücksichtigung der Vorerwerbe von der künftigen Erblasserin – die von seinen Brüdern gezahlten Abfindungen von jeweils 150.000 Euro geringer als der Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG von jeweils 205.000 Euro. Schenkungsteuer würde nicht anfallen. Demgegenüber würden die Abfindungen bei einem „nach“ Eintritt des Erbfalls vereinbarten Pflichtteilsverzicht gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 ErbStG als von der Mutter zugewendet gelten mit der Folge, dass der Freibetrag von 205.000 Euro nur einmal anzusetzen wäre; für die Abfindungen wäre, soweit sie zusammen 205.000 Euro übersteigen, Erbschaftsteuer festzusetzen.
II. Vorerwerbe von dem künftigen Erblasser sind nicht nach § 14 ErbStG für die Besteuerung dem Erwerb hinzuzurechnen, weil der Verzichtende die Abfindung nicht vom künftigen Erblasser, sondern von dem anderen gesetzlichen Erben erhält. § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG betrifft lediglich innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile. Vorerwerbe des Verzichtenden vom künftigen Erblasser können nur berücksichtigt werden, wenn ein Erwerb vom Erblasser zu besteuern ist, also bei einem „nach“ dessen Tod mit den anderen gesetzlichen Erben vereinbarten Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung.
III. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung zur Anwendung der Steuerklasse I unter den Aspekten des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit geboten war.
Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung konnte er nicht davon ausgehen, dass für die Besteuerung die für ihn günstige Steuerklasse I mit dem entsprechenden Freibetrag (§ 16 Abs. 1 ErbStG) und dem maßgebenden Steuersatz (§ 19 ErbStG) zur Anwendung komme, Vorerwerbe von seiner Mutter dem Erwerb aber nicht hinzuzurechnen seien. Intention der bisherigen Rechtsprechung des BFH war, den Verzicht „vor“ und „nach“ dem Erbfall steuerrechtlich gleich zu behandeln; wie die Besteuerung im Einzelnen zu erfolgen habe, wurde offengelassen. Hätte man im Streitfall die vom Bruder gezahlte Abfindung als Erwerb von der Mutter besteuert, hätte sich eine Steuerfestsetzung i.H.v. 28.405 Euro ergeben (vgl. Bescheid des Finanzamts). Diese liegt über der durch die Revisionsentscheidung festgesetzten Steuer i.H.v. 23.647 Euro und wäre somit für den Kläger nachteilig. Aus diesem Grund ist die Entscheidung im Streitfall nicht an den Grundsätzen zum Vertrauensschutz zu messen, die der BFH für eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellt hat (vgl. BFH, Beschl. v. 17.12.2007 – GrS 2/04 – BStBl II 2008, 608, unter D.IV.2.).

C. Kontext der Entscheidung

Schließen künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gemäß § 311b Abs. 5 BGB (früher § 312 Abs. 2 BGB), wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrags verzichtet, stellt die Zahlung eine freigebige Zuwendung des Zahlenden i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar (BFH, Urt. v. 16.05.2013 – II R 21/11 Rn. 10 f. – BStBl II 2013, 922). Die Abfindung wird in einem solchen Fall aus dem Vermögen des künftigen gesetzlichen Erben geleistet.
Im Hinblick auf die anzuwendende Steuerklasse führte der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung aus, diese richte sich nicht nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum Zahlenden, sondern zum künftigen Erblasser (BFH, Urt. v. 25.05.1977 – II R 136/73 – BStBl II 1977, 733; BFH, Urt. v. 25.01.2001 – II R 22/98 – BStBl II 2001, 456; BFH, Urt. v. 16.05.2013 – II R 21/11 – BStBl II 2013, 922). Der Verzicht auf Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegenüber einem anderen gesetzlichen Erben sollte hinsichtlich der Steuerklasse „vor“ Eintritt des Erbfalls nicht anders behandelt werden als „nach“ Eintritt des Erbfalls. Zudem sollte es für die anwendbare Steuerklasse keinen Unterschied machen, ob der Verzicht mit dem künftigen Erblasser oder dem anderen gesetzlichen Erben vereinbart wird. Es sollte stets das Verhältnis des Verzichtenden zum künftigen Erblasser zugrunde gelegt werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der vom BFH entschiedene Fall zeigt, dass die Abfindung für einen Verzicht auf Pflichtteilsansprüche nicht unabhängig vom Zeitpunkt der Verzichtserklärung und unabhängig von den Vertragsbeteiligten so besteuert werden kann, dass entsprechend der Intention der früheren Rechtsprechung vergleichbare Ergebnisse erreicht werden. Deshalb ist eine Besteuerung der Abfindung nach allgemeinen Grundsätzen und unter Berücksichtigung des zivilrechtlichen Gegebenheiten sachgerecht. Entscheidend ist, welche Personen den Verzicht gegen Abfindung vereinbart haben. Das kann – im Gegensatz zu früher – mit einer höheren Steuer verbunden sein, wenn der zur Zahlung der Abfindung Verpflichtete einer ungünstigeren Steuerklasse als der künftige Erblasser zuzuordnen ist.
Vertrauensschutz wegen Änderung der Rechtsprechung des BFH ist unter den Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zu gewähren. Danach darf bei Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.

Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch; kein Vertrauensschutz wegen Änderung der Rechtsprechung
Birgit OehlmannRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Erbrecht
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Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch; kein Vertrauensschutz wegen Änderung der Rechtsprechung
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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Besteuerung der Abfindung für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch; kein Vertrauensschutz wegen Änderung der Rechtsprechung
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