Nachfolgend ein Beitrag vom 5.11.2018 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 44/2018 Anm. 6

Tenor

Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Gebrauchtgegenstände“ gebrauchte Gegenstände, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten, nicht erfasst, wenn diese Gegenstände ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen können und nur die diesen Metallen und Steinen innewohnenden Funktionen behalten haben, was das nationale Gericht unter Berücksichtigung aller objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen hat.

A. Problemstellung

Der EuGH hat sich zu der Frage geäußert, ob bei der sog. Differenzbesteuerung für Gebrauchtgegenstände solche Gegenstände, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten, aus dem Anwendungsbereich auszunehmen sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

E LATS ist eine in Lettland ansässige mehrwertsteuerpflichtige Gesellschaft, die an Privatpersonen Darlehen gewährt. Als Sicherheit für diese Darlehen erhält die Gesellschaft Pfandgegenstände, die Edelmetalle enthalten oder aus solchen bestehen, zum Beispiel Schmuckgegenstände, zahnärztliches Material oder Essbesteck. Werden Pfandgegenstände nicht ausgelöst, erfolgt ein Weiterverkauf an mehrwertsteuerpflichtige Händler. Die Gesellschaft nahm an, dass die Sonderregelung für Gebrauchtgegenstände nach Art. 311 MwStSystRL auf diese Verkäufe anzuwenden war, und berechnete daher nur Mehrwertsteuer auf den Differenzbetrag zwischen dem Ankaufs- und dem Verkaufspreis der Gegenstände.
Die Finanzverwaltung war anderer Auffassung und erhob daher zusätzliche Mehrwertsteuer. Nach erfolgloser Klage vor dem regionalen Verwaltungsgericht legte die Gesellschaft Kassationsbeschwerde beim obersten Gerichtshof von Lettland ein. Dieser legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Die erste Frage lautet, ob unter den Begriff der Gebrauchtgegenstände i.S.d. Art. 311 MwStSystRL auch gebrauchte Artikel fallen, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten und hauptsächlich zu dem Zweck verkauft werden, diese Edelmetalle oder Edelsteine herauszulösen. Bei einer positiven Antwort auf die erste Frage solle der Gerichtshof weiterhin entscheiden, ob es von Bedeutung sei, dass der Händler die Absicht des Käufers, die Edelmetalle und Edelsteine herauszulösen, kennt, oder ob es auf objektive Merkmale des Geschäfts ankommt.
Der EuGH weist darauf hin, dass bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung nicht nur der Wortlaut, sondern auch Kontext und Ziele der Regelung, insbesondere deren Entstehungsgeschichte, zu berücksichtigen seien.
Nach dem Wortlaut der Norm seien Edelmetalle oder Edelsteine keine Gebrauchtgegenstände i.S.d. Art. 311 MwStSystRL. Weiterhin stelle der Wortlaut auf bewegliche körperliche Gegenstände ab und schließe Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten aus. Der EuGH legt dies so aus, dass der Gegenstand entweder im derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sein soll. Die Ausnahme der Kunstgegenstände, Sammlungsstücken und Antiquitäten sei im Unterschied zum Ausschluss der Edelmetalle und Edelsteine nicht von Bedeutung, denn auch für derartige Verkäufe gelte eine Differenzbesteuerung (Verweis auf EuGH, Urt. v. 18.05.2017 – C-624/15 – MwStR 2017, 536 „Litdana“). Zusätzlich sei zu beachten, dass der Normenwortlaut keine ausdrückliche Verweisung auf Gegenstände vorsehe, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten.
Zum Kontext der Norm sei darauf zu verweisen, dass es sich um Abweichungen von der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung handele, die nur im für die Erreichung ihres Ziels notwendigen Maß angewendet werden dürfen. Allerdings helfe dieser Gesichtspunkt bei der Auslegung zur Vorabentscheidungsfrage nicht weiter.
Das Ziel der Differenzbesteuerung bestehe darin, Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Steuerpflichtigen im Handel mit entsprechenden Gegenständen zu vermeiden. Die Ausnahme für Edelmetalle und Edelsteine sei darauf zurückzuführen, dass der diesen beizumessende Wert sich im Wesentlichen aus dem gespeicherten Wert ergebe und ihnen eine eigene Funktion zukomme, die einen erzielbaren finanziellen Wert habe. Edelmetalle und Edelsteine könnten leicht wiederverwertet und leicht verarbeitet werden und gleichzeitig ihren Wert behalten. Im Übrigen habe die Europäische Kommission ursprünglich in ihrem Vorschlag für eine Richtlinie (KOM [88] 846) vorgesehen, bei Gegenständen aus Gold oder anderen Edelmetallen oder die mit Edelsteinen verziert sind, eine Wertgrenze von 50% des Verkaufspreises für die Differenzbesteuerung einzuführen. Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht in die Endfassung des Art. 26a der Sechsten Richtlinie aufgenommen.
Es sei festzuhalten, dass ein aus Edelmetallen oder Edelsteinen gefertigter Gegenstand nur dann ein Gebrauchtgegenstand i.S.v. Art. 311 MwStSystRL sein könne, wenn er eine andere Funktion habe als sie den entsprechenden Materialien innewohne, ihm diese unverändert zukomme und er in seinem aktuellen Zustand oder nach Instandsetzung nutzbar sei.
Im Übrigen hätten die in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verwendeten Begriffe objektiven Charakter, und sie seien unabhängig von Zweck und Ergebnis der Umsätze anzuwenden. Somit seien Faktoren wie die Absicht eines an einem Geschäft beteiligten Steuerpflichtigen abgesehen von Ausnahmefällen nicht zu berücksichtigen, weil sie dem Grundsatz der Rechtssicherheit entgegenliefen. Faktoren wie die Präsentation der Gegenstände, die Methode zur Bewertung und die Abrechnungsmethode, beispielsweise nach Gewicht oder pro Stück, seien hingegen zu berücksichtigende objektive Merkmale.

C. Kontext der Entscheidung

Die Vorschriften der sog. Differenzbesteuerung, die im § 25a UStG umgesetzt wurden, dienen grundsätzlich einer Besteuerungsgleichheit zwischen Verkäufern, die bestimmte Gegenstände von Nichtsteuerpflichtigen erwerben, und Verkäufern, die dies von Steuerpflichtigen tun. Die insoweit vorgesehene Belastung nur des Differenzbetrages zwischen dem Einkaufspreis und dem Verkaufspreis mit Mehrwertsteuer weicht eigentlich vom Grundsatz des Allphasen-Mehrwertsteuersystems ab. Letzterer nimmt jedoch den Erwerb von Gegenständen, die selbst mit Mehrwertsteuer belastet sind, und dann den Ausgleich durch den Vorsteuerabzug als Regelfall an. Wenn Gebrauchtgegenstände von Nichtsteuerpflichtigen gekauft werden, könnte eine Mehrwertsteuerbelastung des gesamten Weiterverkaufspreis im Extremfall bedeuten, dass der Händler keine positive Marge mehr erzielen kann. Dies soll durch die Differenzbesteuerung ausgeglichen werden.
Das FG Hamburg hat in einer aktuellen Entscheidung bestätigt, dass Pfandleihhäuser bei den Umsätzen aus Pfandverwertungen die Differenzbesteuerung anwenden dürfen, falls es sich nicht um Edelsteine oder Edelmetalle handelt, die Pfandkreditnehmer keine Unternehmer sind und im Übrigen die Aufzeichnungspflichten der Norm erfüllt werden (FG Hamburg, Urt. v. 16.11.2017 – 6 K 30/17 – EFG 2018, 515).
Der BFH hat weiterhin im vergangenen Jahr entschieden, dass die Differenzbesteuerung auch angewendet wird, wenn ein Unternehmer Gegenstände liefert, die er aus zuvor von ihm erworbenen Gebrauchtfahrzeugen ausgebaut hat (BFH, Urt. v. 23.02.2017 – V R 37/15 – BFHE 258, 161; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 38/2017 Anm. 6). Der BFH stützt sich in dieser Entscheidung auf ein Urteil des EuGH aus dem gleichen Jahr, in welchem der EuGH ausführte, dass die Trennung eines gebrauchten Gegenstandes von einem anderen Gegenstand nicht die Einstufung als Gebrauchtgegenstand infrage stellt, vorausgesetzt, der entnommene Gegenstand ist entweder im derzeitigen Zustand oder nach einer Instandsetzung erneut verwendbar (vgl. EuGH, Urt. v. 18.01.2017 – C-471/15 – MwStR 2017, 197 „Sjelle Autogenbrug“).
Interessant ist vielleicht noch der Hinweis, dass der EuGH in einem älteren Urteil entschieden hat, dass auch Tiere, die eine Privatperson gekauft und nach einer Ausbildung weiterverkauft, als Gebrauchtgegenstände im Sinne der Differenzbesteuerung anzusehen sein können (EuGH, Urt. v. 01.04.2004 – C-320/02 – UR 2004, 253 „Stenholmen“).
Aktuell sind zwei Vorlagen deutscher Gerichte beim EuGH anhängig. Das FG Münster fragt den EuGH, ob die Differenzbesteuerung auch auf die Lieferung von Kunstgegenständen anzuwenden ist, wenn diese vom Urheber oder dessen Rechtsnachfolger innergemeinschaftlich geliefert wurden (FG Münster, EuGH-Vorlage v. 11.05.2017 – 5 K 177/16 U – EFG 2017, 1222; Az. des EuGH: C-624/17).
Der BFH hat in diesem Jahr den EuGH gefragt, ob bei der Ermittlung der Umsatzgrenze für die Besteuerung der Kleinunternehmer (in Deutschland § 19 UStG) auf die Bruttoumsätze oder in Fällen der Differenzbesteuerung nur auf die Marge zwischen Ankaufspreis und Verkaufspreis abzustellen ist (BFH, EuGH-Vorlage v. 07.02.2018 – XI R 7/16 – BFHE 261, 94; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 37/2018 Anm. 6; Az. des EuGH: C-388/18).

D. Auswirkungen für die Praxis

Leider hat der EuGH wesentliche Elemente der Beurteilung dem vorlegenden nationalen Gericht überlassen. Dies steht zwar im Einklang mit seiner Aufgabe nach dem AEUV, ist aber dennoch bedauerlich. Vermutlich ist die Entscheidung wie folgt zu verstehen: Grundsätzlich können auch Gegenstände, die aus Edelmetallen oder Edelsteinen hergestellt sind oder solche enthalten, in den Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung nach Art. 311 MwStSystRL fallen. Allerdings zieht der EuGH eine Grenze dort, wo die Transaktion in Wirklichkeit eine Lieferung von Edelmetallen oder Edelsteinen ist. Hierauf deuten insbesondere die Ausführungen des Gerichtshofs bezüglich der Bewertung der Gegenstände unter Abrechnungsmethode wie auch das Abstellen auf die ursprüngliche Funktion des verkauften Gegenstandes hin.
Somit dürfte der Verkauf von beispielsweise Schmuck, bei dem nur der Materialwert angesetzt wird, eher nicht unter die Differenzbesteuerung fallen. Sicher sollte sein, dass der Verkauf von unbrauchbaren Gegenständen (Edelmetallbruch, sonstiger Schrott, zerstörte Schmuckstücke) nicht von der Differenzbesteuerung erfasst wird.
Für die Praxis schwierig ist allerdings die Unterscheidung, zumal der EuGH weiter entschieden hat, dass es nicht auf die Verwendungsabsicht durch den Käufer ankommen soll. Somit dürfte es nicht entscheidend sein, wenn der Käufer auf jeden Fall den Gegenstand einschmelzen will, vorausgesetzt, der Gegenstand als solcher ist noch intakt oder reparaturfähig.
Die deutsche Verwaltungsmeinung steht im Übrigen jedenfalls nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Entscheidung. Nach der Finanzverwaltungsauffassung (vgl. Abschn. 25a.1 Abs. 1 Satz 8 UStAE) können nämlich auch Edelmetalle oder Edelsteine enthaltende Gegenstände grundsätzlich unter Differenzbesteuerung fallen.

Differenzbesteuerung von Schmuck?
Silvia SlubikSteuerberater
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