Nachfolgend ein Beitrag vom 18.1.2016 von Eversloh, jurisPR-SteuerR 3/2016 Anm. 6
Leitsatz: Der Betreiber eines Zolllagers ist nicht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt.
A. Problemstellung

Kernproblem ist regelmäßig die Frage des Abzugs der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG. Die Rechtsprechung stellt dafür entscheidend darauf ab, ob dem Unternehmer die Verfügungsmacht am eingeführten Gegenstand zusteht, also auf die Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten. Zu klären war die Frage, ob auch ein Betreiber eines Zolllagers zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin betrieb in den Jahre 1997 und 1998 ein Zolllager Typ D. Darin lagerte sie Waren einer Schwestergesellschaft und zweier anderer GmbHs ein. Da das zuständige Hauptzollamt Fehlmengen festgestellt hatte, setzte es Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) fest und ging dabei von einem Entziehen von Nichtgemeinschaftsware aus der zollamtlichen Überwachung aus. Die Klägerin entrichtete die EUSt und beanspruchte in entsprechender Höhe den Vorsteuerabzug. Diesen verweigerte das Finanzamt, da die Klägerin nicht die nach der BFH-Rechtsprechung für den Vorsteuerabzug aus der USt erforderliche Verfügungsmacht erlangt habe, da der Lagerhalter die eingeführten Gegenstände nicht erwerbe und erließ geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
Der BFH teilt die Auffassung des Finanzamts. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG setze für den Vorsteuerabzug aus der EUSt voraus, dass der Unternehmer die mit der EUSt belegten Gegenstände für sein Unternehmen im Inland eingeführt hat; das Abzugsrecht bestehe, „soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden“. Diese Norm beruhe auf Art. 17 Abs. 2 lit. b der RL 77/388/EWG und seit 2007 auf Art. 168 lit. e MwStSystRL. Maßgebend stellt der BFH auf das EuGH-Urteil vom 25.06.2015 (C-187/14 – UR 2015, 838 „DSV Road A/S“, m. Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 44/2015 Anm. 6) ab. Danach steht Art. 168a MwStSystRL einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Abzug der vom Beförderer der betreffenden Waren – der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat – geschuldeten EUSt ausschließt. Ein Recht zu Vorsteuerabzug bestehe nur, „soweit die eingeführten Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden“. Das sei nur zu bejahen, wenn die Kosten der Eingangsleistungen Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefere oder erbringe. Keine Abzugsberechtigung bestehe, wenn der Wert der beförderten Ware nicht zu den Kosten gehöre, die in die von einem Beförderer, dessen Tätigkeit sich auf die entgeltliche Beförderung dieser Waren beschränke, in Rechnung gestellten Preise einflössen. Der BFH sieht sich dennoch nicht veranlasst, auf das Auslegungsmerkmal der Verfügungsmacht zu verzichten. Vielmehr sei es dahingehend zu präzisieren, dass die für den Vorsteuerabzug aus der EUSt gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG maßgebliche Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten dann vorliege, wenn die EUSt Eingang in die o.a. Preise gefunden habe. Im Besprechungsfall gehöre die EUSt nicht zu den Kostenfaktoren der unternehmerischen Tätigkeit der Zolllagerhalterin. Für sie gelte dasselbe wie für den Beförderer eingeführter Gegenstände nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „DSV Road A/S“. Die Festsetzung der EUSt gegen sie mache sie noch nicht zum Einführer, selbst wenn sie die Kosten für die Beförderung bzw. Lagerhaltung an den Auftraggeber weiterbelaste.
C. Kontext der Entscheidung
Der BFH hält aus den o.a. Gründen ausdrücklich nicht an seinen im Urteil vom 23.09.2004 (V R 58/03 – BFH/NV 2005, 825) geäußerten Zweifeln an der bisherigen Rechtsprechung fest. Diese Zweifel hatte der BFH mit dem Wortlaut von Art. 17 der Sechsten Richtlinie begründet. Danach steht dem Steuerpflichtigen das Recht zum Vorsteuerabzug zu „für die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände im Inland geschuldet oder entrichtet worden ist“. Nach Auffassung des BFH in BFH/NV 2005, 825 könnte daraus zu folgern sein, dass für die Berechtigung zum Abzug der EUSt nur darauf abzustellen ist, ob diese geschuldet oder entrichtet worden ist, nicht aber darauf, wer im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand innehatte. Diese Zweifel haben den BFH aber nicht dazu veranlasst, die in der deutschen Umsatzsteuerpraxis herrschende Meinung als eindeutig und offensichtlich unrichtig zu qualifizieren. Außerdem ist die Entscheidung vor Inkrafttreten des Art. 168 lit. e MwStSystRL ergangen. Diese Norm hat zu keiner inhaltlichen Änderung geführt, wohl aber zu einer Ergänzung dahingehend, dass die eingeführten Gegenstände/Dienstleistungen für Zwecke der besteuerten Umsätze verwendet werden müssen.
Verfahrensrechtlich ist zum Verständnis der vorliegenden Entscheidung wichtig, dass es sich bei dem Vortrag der Klägerin, ihr habe die Verfügungsmacht zugestanden, um neuen Sachvortrag handelte, der im Revisionsverfahren unberücksichtigt bleiben musste.
In diesem Zusammenhang ist auf zwei FG-Entscheidungen hinzuwiesen, die sich zwar nicht mit der Vorsteuerabzugsberechtigung aus der EUSt seitens des Zolllagerhalters befassen, sondern mit der innergemeinschaftlichen Lieferung bei Lieferung über ein Warenlager auseinandergesetzt haben: Das FG Hannover hat mit rechtskräftigem Urteil vom 18.06.2015 (5 K 335/14 – EFG 2015, 1754) entschieden, dass Lieferungen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat über ein deutsches Warenlager nicht der deutschen Umsatzsteuer unterliegen müssen. Voraussetzung sei, dass bei Einlieferung der Waren in das Lager bereits ein unbedingter Kaufvertrag mit einem konkreten Abnehmer bestanden habe. Damit widerspricht das Finanzgericht der Praxis der Finanzverwaltung, die regelmäßig von einer Registrierungspflicht in Deutschland ausgeht, so dass der Unternehmer durch ein innergemeinschaftliches Verbringen einen innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1a Abs. 2 Satz 1 UStG realisiere. Im Zeitpunkt der Entnahme durch den Abnehmer aus dem Konsignationslager bewirke der Unternehmer eine in Deutschland steuerbare und steuerpflichtige Lieferung. Das Finanzgericht stellt dagegen auf die konkrete Ausgestaltung des Konsignationslagers ab. Im entschiedenen Fall hat es eine innergemeinschaftliche Lieferung bejaht. Gegen diese Entscheidung hatte das Finanzgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, die das Finanzamt aber nicht eingelegt hat, so dass die Entscheidung rechtskräftig ist. Der Argumentation des FG Hannover hat sich das FG Kassel (Urt. v. 25.08.2015 – 1 K 2519/10 – EFG 2015, 2229) angeschlossen. Für eine innergemeinschaftliche Lieferung spreche es, wenn der Abnehmer nach der Einlieferung in das Lager jederzeit (insbesondere ohne Freigabeerklärung des Lieferanten) über die eingelagerte Ware verfügen könne und die Entnahme aus dem Lager regelmäßig bereits wenige Tage nach deren Einlieferung stattfinde. Gegen dieses Urteil ist beim BFH ein Revisionsverfahren unter dem Az. V R 31/15 anhängig. In beiden FG-Entscheidungen wird – wie im Besprechungsfall – entscheidend auf die Verfügungsmacht des Abnehmers abgestellt (hier: aufgrund eines unbedingten Kaufvertrags). Daher steht wohl zu erwarten, dass der BFH auch in diesem Fall der Argumentation der Finanzgerichte folgt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der BFH-Rechtsprechung zufolge erwirbt der Zolllagerhalter die Gegenstände nicht für Zwecke seines Unternehmens, so dass auch die damit verbundenen Kosten nicht solche aus seiner allgemeinen Unternehmertätigkeit darstellen. Dabei stellt sie auf das zivilrechtliche Eigentum an den Gegenständen ab, das nicht dem Zolllagerhalter zusteht. Sein ggf. anzunehmendes wirtschaftliches Eigentum reicht danach für den Vorsteuerabzug nicht aus, so dass es insoweit nicht auf dessen betriebswirtschaftliche Kostenrechnung und sein kalkulatorisches Risiko ankommt. Denn es findet kein Erwerb des Zolllagerhalters statt. Daher ist die vorliegende Entscheidung als Konkretisierung des Merkmals Verfügungsmacht unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils in der Rechtssache „DSV Road A/S“ zu verstehen. Die für den Vorsteuerabzug aus der EUSt maßgebliche Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten ist – wie oben dargelegt – nur dann anzunehmen, wenn die EUSt Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen findet, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefert bzw. erbringt.