Nachfolgend ein Beitrag vom 10.10.2016 von Grube, jurisPR-SteuerR 41/2016 Anm. 5
Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, auf Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil „Elida Gibbs“ vom 24.10.1996 – C-317/94, EU:C:1996:400, Slg. 1996, I-5339 Rn. 28, 31) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwSystRL) berechtigt, wenn
– er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert,
– die Apotheken steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern,
– der Versicherer der Krankheitskostenversicherung (das Unternehmen der privaten Krankenversicherung) seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und
– der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines „Abschlags“ an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist?
A. Problemstellung
Der BFH musste darüber entscheiden, ob die unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung von gewährten Abschlägen von Pharmaunternehmen an gesetzliche Krankenversicherungen – als Entgeltminderung – und an private Krankenversicherungen – keine Entgeltminderung – mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang steht.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das Arzneimittel herstellt und sie im Jahr 2011 (Streitjahr) steuerpflichtig über Großhändler an Apotheken liefert. Diese geben die Arzneimittel an gesetzlich Krankenversicherte aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ab. Die Arzneimittel werden an die Krankenkassen geliefert und von diesen ihren Versicherten zur Verfügung gestellt. Die Apotheken gewähren den Krankenkassen einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis. Die Klägerin als pharmazeutisches Unternehmen muss den Apotheken oder – bei Einschaltung von Großhändlern – den Großhändlern diesen Abschlag erstatten. Das Finanzamt behandelt den Abschlag umsatzsteuerrechtlich als Entgeltminderung (vgl. BMF-Schreiben v. 14.11.2012 – BStBl I 2012, 1170, unter I.1.).
Arzneimittel für privat Krankenversicherte geben die Apotheken aufgrund von Einzelverträgen mit diesen Personen ab. Die private Krankenversicherung ist nicht selbst Abnehmer der Arzneimittel, sondern erstattet lediglich die ihren Versicherten entstandenen Kosten. In diesem Fall muss die Klägerin dem Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag auf den Arzneimittelpreis gewähren. Die Finanzverwaltung erkennt diesen Abschlag umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgeltminderung an (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2012, 1170, unter I.2.).
Im Ausgangsverfahren ist ausschließlich die Behandlung von Abschlägen an Unternehmen der privaten Krankenversicherung streitig. Die Klägerin gewährte im Streitjahr solche Abschläge und berücksichtigte sie in ihrer Umsatzsteuererklärung als Änderung der Bemessungsgrundlage für die von ihr an Arzneimittelhändler ausgeführten Arzneimittellieferungen. Das Finanzamt erließ aufgrund einer USt-Sonderprüfung einen geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem die Abschläge nicht mehr entgeltmindernd berücksichtigt waren. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Die hiergegen erhobenen Klage hatte Erfolg (FG Neustadt (Weinstraße), Urt. v. 24.09.2015 – 6 K 1251/14 – EFG 2015, 2242). Hiergegen richtet sich die Revision des Finanzamts. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die im Leitsatz bezeichnete Rechtsfrage nach Art. 267 AEUV vor.
I. Zum nationalen Krankenversicherungsrecht
Die Krankenkassen stellen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V ihren Versicherten die gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Verfügung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V Verträge mit den Leistungserbringern. Nach § 129 SGB V besteht zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem Spitzenverband der Apotheken ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. Die Krankenkassen erhalten nach § 130a Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SGB V von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von grundsätzlich 7% des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer. Pharmazeutische Unternehmer sind verpflichtet, den Apotheken den Abschlag zu erstatten. Soweit pharmazeutische Großhändler bestimmt sind, sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Abschlag den pharmazeutischen Großhändlern zu erstatten.
Private Krankenversicherte und Personen mit beamtenrechtlichem Kostenerstattungsanspruch vereinbaren hingegen selbst privatrechtliche Verträge mit den Leistungserbringern. Sie bezahlen die in Anspruch genommenen Leistungen selbst, können aber die Erstattung ihrer Kosten durch Unternehmen der privaten Krankenversicherung (vgl. § 192 Abs. 1 VVG) und den beamtenrechtlichen Kostenträger (vgl. § 80 BBG i.V.m. der Bundesbeihilfeverordnung und entsprechendes Landesrecht) verlangen.
Nach § 1 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel vom 22.12.2010 (AMRabG) müssen die pharmazeutischen Unternehmer den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Trägern der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V gewähren. Dies gilt auch für sonstige Träger von Kosten in Krankheitsfällen, die diese im Rahmen einer Absicherung im Krankheitsfall tragen müssen, durch die eine Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG und nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgeschlossen wird.
II. Zur Vorlagefrage
1. Bisherige Rechtsprechung des EuGH
Wenn ein Hersteller eines Erzeugnisses, der zwar nicht vertraglich mit dem Endverbraucher verbunden ist, aber das erste Glied einer zu diesem führenden Kette von Umsätzen bildet, dem Endverbraucher einen Preisnachlass gewährt, muss nach der EuGH-Rechtsprechung die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer um diesen Nachlass vermindert werden (EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – C-317/94 – EuGHE I 1996, 5339 Rn. 28, 31 „Elida Gibbs“; EuGH, Urt. v. 16.01.2014 – C-300/12 – DStR 2014, 193 Rn. 29 „Ibero Tours“; Anm. Sydow, jurisPR-SteuerR 16/2014 Anm. 2). Der EuGH hat aber eine Minderung abgelehnt, wenn ein Reisebüro als Vermittler dem Endverbraucher aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten einen Nachlass auf den Preis der vermittelten Leistung gewährt, die von dem Reiseveranstalter erbracht wird (EuGH, Urt. v. 16.01.2014 – C-300/12 Rn. 33). Dies beruht darauf, dass das Reisebüro außerhalb einer Leistungskette vom Reiseveranstalter zum Endverbraucher steht.
2. Bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats
Bei der Bemessungsgrundlage, deren Änderung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zur Berichtigung führt, handelt es sich um das Entgelt i.S.v. § 10 Abs. 1 UStG (BFH, Urt. v. 11.02.2010 – V R 2/09 – BStBl II 2010, 765, unter II.1.; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 31/2010 Anm. 6). Rabatte im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mindern die umsatzsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage. Für die Ermittlung der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 1 UStG und ggf. deren nachträglicher Erhöhung oder Minderung sind allein umsatzsteuerrechtliche Grundsätze maßgeblich. § 130a SGB V enthält keine Regelung zu den umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen, die sich aus dem aufgrund dieser Vorschrift tatsächlich zurückgezahlten „Abschlag“ ergeben (BFH, Urt. v. 28.05.2009 – V R 2/08 – BStBl II 2009, 870, unter II.4.a; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 40/2009 Anm. 6).
Die Bemessungsgrundlage ändert sich aber nicht, wenn sich ein pharmazeutisches Unternehmen an einer freiwilligen Zahlung an die gesetzlichen Krankenkassen beteiligt, die die sonstige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Abwendung einer Preisreglementierung zum Zweck hat und allein für die Zukunft wirken soll (BFH, Urt. v. 30.01.2014 – V R 1/13 – BFH/NV 2014, 911; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 27/2014 Anm. 6).
3. Der Senat verstehe die bisherige Rechtsprechung des EuGH dahingehend, dass Nachlässe, die ein Unternehmer einem Dritten gewährt, der nicht vertraglich mit ihm verbunden ist, die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auf die von dem Unternehmer ausgeführte Leistung nur dann mindert, wenn eine Kette von Umsätzen von dem Unternehmen zu dem abschlagsberechtigten Dritten führt. Danach mindern im Streitfall die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Lieferungen nicht, da die abschlagsberechtigten Unternehmen der privaten Krankenversicherung außerhalb der Leistungskette von der Klägerin zum Endverbraucher stünden.
4. Der Senat halte es für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 20 EUGrdRCh), wenn Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung anders als Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Besteuerungsgrundlage nicht mindern, obwohl der pharmazeutische Unternehmer durch beide Abschläge in gleicher Weise belastet wird.
a) Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich (Art. 20 EUGrdRCh). Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gehört zu den Grundprinzipien des Unionsrechts. Er verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (z.B. EuGH, Urt. v. 13.03.2014 – C-599/12 – UR 2014, 443 “Jetair und BTWE Travel4you“ Rn. 53; EuGH, Urt. v. 11.02.2015 – C-340/13 Rn. 27). Allein die unterschiedliche Rechtsform mehrerer Unternehmen rechtfertigt nicht deren Ungleichbehandlung (EuGH, Urt. v. 23.12.2009 – C-376/08 – EuGHE I 2009, 12169 Rn. 37 „Serrantoni Srl und Consorzio stabile edili Scrl“).
Im Mehrwertsteuerrecht kommt der Grundsatz der Gleichbehandlung auch im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck (EuGH, Urt. v. 15.11.2012 – C-174/11 – UR 2013, 35 Rn. 46 ff. „Zimmermann“; Fischer, jurisPR-SteuerR 5/2013 Anm. 6). Dieser Grundsatz kann es erfordern, das Mehrwertsteuerrecht unabhängig davon anzuwenden, welche Rechtsform die Beteiligten gewählt haben (EuGH, Urt. v. 17.02.2005 – C-453/02 und C-462/02 – EuGHE I 2005, 1131 „Linneweber und Akritidis“; EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-259/10 und C-260/10 – EuGHE I 2011, 10947 Rn. 46 „The Rank Group“). Er lässt es nicht zu, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Umsatzsteuer unterschiedlich behandelt würden (EuGH, Urt. v. 28.06.2007 – C-363/05 – EuGHE I 2007, 5517 Rn. 29 „JP Morgan u.a.“).
Während aber ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nur zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern in Betracht gezogen werden kann, kann ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sein, die Wirtschaftsteilnehmer betreffen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrieren, aber sich trotzdem in einer in anderer Beziehung vergleichbaren Situation befinden (EuGH, Urt. v. 25.04.2013 – C-480/10 – MwStR 2013, 276 = UR 2013, 423 Rn. 17 „Kommission/Schweden“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 5/2014 Anm. 5). Daraus folgt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Steuern nicht mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität deckungsgleich ist.
b) Die Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung und die Abschläge im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung dienen dem gleichen Zweck. Die Zahlungen an die Unternehmen der privaten Krankenversicherung sollen die Regelung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wirkungsgleich in die übrigen Bereiche der Absicherung im Krankheitsfall übertragen. Die Arzneimittelhersteller sollen in beiden Fällen in gleichem Umfang zur Entlastung derjenigen Stellen herangezogen werden, die im Ergebnis die Kosten der Arzneimittelversorgung tragen. Der nationale Gesetzgeber hat es für sachlich nicht gerechtfertigt erachtet, für den Gesundheitsschutz außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abweichende Abschläge vorzusehen (BT-Drs. 17/3698, S. 60).
c) Der objektive Unterschied zwischen beiden Abschlägen rechtfertigt keine unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung. Der Unterschied betrifft nur die technische Ausgestaltung der Abschläge. Er geht zurück auf die sozialrechtlich andersgeartete Grundordnung der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits sowie der privaten Krankenversicherung und der beamtenrechtlichen Kostenerstattung andererseits. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu rechtsformabhängigen Ungleichbehandlungen erlaubt diese Differenz keine ungleiche mehrwertsteuerrechtliche Behandlung.
Diese Rechtsprechung betrifft zwar teilweise den Grundsatz der Neutralität, ist aber auch bei der Auslegung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu berücksichtigen. Im Grundsatz der Neutralität kommt im Mehrwertsteuerrecht der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz zum Ausdruck. Daher konkretisieren die zum Grundsatz der Neutralität entwickelten Maßstäbe zugleich die Bedeutung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes für das Mehrwertsteuerrecht.
Der Anwendung dieser Rechtsprechung steht auch nicht entgegen, dass der EuGH bisher nur die Ungleichbehandlung unterschiedlicher Leistender zu beurteilen hatte. Ungleichbehandlungen können sowohl an die Person des Leistenden als auch an die Person des Leistungsempfängers anknüpfen und sich in beiden Fällen ähnlich auswirken.
C. Kontext der Entscheidung
Der BFH hatte in jüngerer Vergangenheit mehrfach Gelegenheit, sich mit umsatzsteuerrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Arzneimittellieferungen zu befassen: So hat er bereits geklärt, dass die an Kassenpatienten von einer Internet-Apotheke gezahlten „Aufwandsentschädigungen“ für die Mitwirkung dieser Patienten an ihrer von der Apotheke berufsrechtlich geschuldeten Beratung nicht die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Versandhandelsumsätze gegenüber den Privatpatienten mindert (BFH, Beschl. v. 24.02.2015 – V B 147/14 – MwStR 2015, 469, zu Umsätzen einer Internet-Apotheke; Anm. Gres, UR 2015, 363). Der BFH hat ferner zur Anwendung der Versandhandelsregelung auf Arzneimittellieferungen entschieden, dass diese Umsätze in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sein können, wenn eine in einem andere EU-Mitgliedstaat ansässige Apotheke Arzneimittellieferungen an in Deutschland wohnhafte Privatpersonen ausführt und die Abnehmer eine formularmäßige Vollmacht zur Beauftragung eines Kurierdienstes zum Transport der bestellten Medikamente in ihrem Namen und für ihre Rechnung erteilt haben (BFH, Urt. v. 20.05.2015 – XI R 2/13 – BFH/NV 2015, 1775 = MwStR 2016, 70; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 1/2016 Anm. 6; Anm. Rondorf, UR 2016, 101).
Im Rahmen des nun beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-462/16 geführten Vorabentscheidungsersuchens hat der EuGH wiederum Gelegenheit, zu der Rechtsfrage Stellung zu nehmen, in welchem Verhältnis das für das Umsatzsteuerrecht in seiner Rechtsprechung entwickelte Neutralitätsprinzip und der in Art. 20 EURdRCh allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz zueinander stehen. Der EuGH hatte insoweit schon früher geklärt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung im Mehrwertsteuerbereich durch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, der es verbietet, dass vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre; dabei könne ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nur zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern in Betracht gezogen werden, während ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sei, die Wirtschaftsteilnehmer beträfen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrierten, sich aber trotzdem in einer in anderer Beziehung vergleichbaren Situation befänden (EuGH, Urt. v. 25.04.2013 – C-480/10 – MwStR 2013, 276 „Europäische Kommission/Königreich Schweden“; Anm. Grube, UR 2013, 523; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 5/2014 Anm. 5).
Nicht von Belang ist im Besprechungsurteil die zweite Bedeutung, die der EuGH dem Neutralitätsprinzip in seiner ständigen Rechtsprechung im Bereich der Mehrwertsteuer beimisst: Danach spiegelt sich der Grundsatz der steuerlichen Neutralität in der Regelung über den Vorsteuerabzug wider, die den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlasten soll; auf diese Weise gewährleistet das Mehrwertsteuersystem eine völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und Ergebnis, sofern diese selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (z.B. EuGH v. 13.03.2014 – C-204/13 – UR 2014, 353 = MwStR 2014, 270 „Malburg“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 44/2014 Anm. 4; Anm. Korn, UR 2014, 353; vgl. zu den beiden Bedeutungen des Neutralitätsprinzips im Bereich der Mehrwertsteuer auch Victoria-Sanchez in Lang, CJEU – Recent Developments in Value Added Tax 2014, 13 ff.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Bis zur Entscheidung des EuGH in dem Vorabentscheidungsersuchen C-462/16 sollte bei vergleichbaren Sachverhalten das Ruhen eines etwaigen Einspruchsverfahrens nach § 363 AO bzw. in entsprechender Anwendung von § 74 FGO die Aussetzung eines etwaigen finanzgerichtlichen Klageverfahrens erwirkt werden.