Nachfolgend ein Beitrag vom 23.7.2018 von Fischer, jurisPR-SteuerR 29/2018 Anm. 1

Orientierungssatz zur Anmerkung

Beabsichtigt das Finanzamt die Durchführung eines Auskunftersuchens an die Steuerverwaltung eines anderen EU-Staates, so ist Antrag des Steuerpflichtigen auf Erlass einer Sicherungsanordnung unbegründet, wenn ein Anordnungsanspruch (hier: Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 30 AO und den Vorschriften des EUAHiG) fehlt.

A. Problemstellung

Der Beschluss gibt am Beispiel eines „Allerweltsfalls“ einen aufschlussreichen Einblick in die grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit der Finanzbehörden. Die aktuelle Rechtslage gibt diesen ein soweit ersichtlich ausreichendes Instrumentarium an die Hand, um die allein in Hinblick auf das Sprachenproblem bisweilen mühsame Kleinarbeit zu leisten. Es ist gut zu wissen, dass die Finanzverwaltung Widerstand leistet gegen die Verlagerung von Werten – Einkünften, Umsätzen, Vermögen – auf Briefkastengesellschaften im Ausland.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin ist die deutsche Niederlassung der polnischen Firma R. Das Finanzamt G teilte der Antragstellerin Ende 2016 mit, dass nach Feststellungen einer Betriebsprüfung die Firma R Überweisungen i.H.v. 200.000 Euro bzw. 110.000 Euro mit dem Vermerk „Darlehen“ erhalten habe. Die genannten Beträge seien von dem Konto der Firma K GmbH überwiesen worden, welche ihrerseits die Geldbeträge zuvor von der Firma D Ltd. aus Malta erhalten habe.
Das Finanzamt verlangte von der Antragstellerin die Vorlage des Darlehensvertrages im Original. Die Hintergründe des Darlehenszwecks seien zu erklären. Da es sich nach den Feststellungen des Antragsgegners bei der D Ltd. um eine Briefkastenfirma handele, beabsichtige die Finanzverwaltung, die maltesische Steuerverwaltung zu bitten, bei der U-Bank folgende Auskünfte und Unterlagen – auch aus den Akten der Steuerverwaltung – zu erheben und ggf. eine Außenprüfung zu veranlassen:

  • aktuelle und eventuelle frühere Kontoinhaber des Kontos, Namen der Personen, die über dieses Konto verfügungsberechtigt sind, Namen der Personen, die das Bankkonto eröffnet haben, Kontoauszüge für dieses Konto ab Beginn der D Ltd. bis 2015, diese Auskünfte auch für weitere Konten bei der U Bank, die der D gehören;
  • Sitz/Betriebsstätte der D Ltd., Unternehmensgegenstand/-zweck und tatsächliche Ausübung/Art und Umfang der Tätigkeit, Bilanzen und Gewinnermittlungen ab Unternehmensbeginn, Geschäftsbeziehungen zwischen der D Ltd. und der Fa. R in Polen.

Hierauf gab die Antragstellerin der Betriebsprüfung Informationen zu einem Vertrag vom 03.10.2013 und dessen Abwicklung. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) teilte ihr mit, dass ihm das Ersuchen des Finanzamts G übermittelt worden sei und dass beabsichtigt sei, dieses Ersuchen an den Staat Malta weiterzuleiten. Diverse Unterlagen zur steuerlichen Behandlung des Lieferhergangs und der damit im Zusammenhang stehenden Zahlungsvorgänge seien trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden. Das Auskunftsersuchen sei ermessensgerecht und verstoße nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Antragsgegner trug u.a. vor, durch das Auskunftsersuchen solle geklärt werden, ob durch die Einschaltung einer wirtschaftlich inaktiven Gesellschaft auf Malta Gewinne verlagert und der deutschen Besteuerung entzogen worden seien. Die D Ltd. habe ihren Sitz an der Adresse einer Rechtsanwaltskanzlei in Malta. Nach eigenen Ermittlungen handele es sich um eine Briefkastenfirma.

Das FG Köln hat den Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergebe sich nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 30 AO (vgl. BFH, Beschl. v. 29.04.1992 – I B 12/92 – BStBl II 1992, 645). Die Antragstellerin habe eine entsprechende Informationsweitergabe gemäß § 1004 Abs. 2 BGB analog zu dulden. Aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AO i.V.m. § 117 Abs. 1 und 2 AO und den Vorschriften des EUAHiG ergebe sich eine Rechtfertigung für die mit dem Auskunftsersuchen verbundene Offenbarung von dem Steuergeheimnis unterliegenden Verhältnissen der Antragstellerin. Zu den Gesetzen i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO gehörten auch die Rechtsgrundlagen des zwischenstaatlichen Auskunftsverkehrs (§ 117 Abs. 1 AO; §§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 und 3 EUAHiG, durch das die Richtlinie 2011/16/EU umgesetzt wird).

Eine begehrte Auskunft muss für Zwecke der deutschen Besteuerung erforderlich sein (§ 111 Abs. 1 AO, § 6 Abs. 1 Satz 2 EUAHiG: „sachdienliche behördliche Ermittlungen“). Die begehrte Information muss für eine Besteuerung im ersuchenden Staat „voraussichtlich erheblich“ sein (EuGH, Urt. v. 16.05.2017 – C-682/15 – IStR 2017, 785 „Berlioz Investment Fund“; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 38/2017 Anm. 2). Das Merkmal der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ sowie das Merkmal der „Erforderlichkeit“ sind deckungsgleich auszulegen (FG Köln, Beschl. v. 20.10.2017 – 2 V 1055/17 – EFG 2018, 351 m. Anm. Hennigfeld).
Hiervon ausgehend hat das FG Köln den Antrag als unbegründet abgewiesen. Die Antragstellerin habe behauptet, dass der Maschinenkauf letztlich ohne Beteiligung der Antragstellerin selbst stattgefunden habe. Die Maschine sei von der Gesellschaft aus Malta an die Gesellschaft nach Polen veräußert worden. Zahlungsvorgänge über das Bankkonto der Firma K seien ausschließlich deshalb abgewickelt worden, um Bankgebühren zu sparen. Nach Auffassung des Finanzgerichts ist das Finanzamt berechtigt und verpflichtet, diese Behauptungen der Antragstellerin zu verifizieren. Es muss überprüfen, ob die Gesellschaft in Malta tatsächlich über die veräußerte Maschine verfügen konnte, zumal es Indizien für das Vorliegen einer Briefkastenfirma ohne tatsächliche wirtschaftliche Aktivität gegeben habe. Vor diesem Hintergrund besteht ein Interesse daran zu klären, wer hinter dieser Gesellschaft steht. Es ergeben sich weiterhin Fragen aus der Zahlungsabwicklung über die deutsche Firma K. Bei dem Auskunftsersuchen handelt es sich nicht um eine „Ermittlung ins Blaue hinein“. Vielmehr hat die Finanzverwaltung konkrete Sachverhaltskonstellationen aufgegriffen, deren steuerliche Beurteilung von einer weiteren Aufklärung abhängig ist. Für diese weiteren Aufklärungen ist sie auf die internationale Amtshilfe der Behörden Maltas angewiesen.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die Außenprüfung bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen (§§ 88, 199 Abs. 1 AO). Sie hat in diesem Zusammenhang das Recht und die Pflicht, Angaben eines Steuerpflichtigen zu verifizieren. Soweit eigene Sachaufklärungen im Ausland unzulässig sind, muss sich die Finanzbehörde der zwischenstaatlichen Amtshilfe bedienen, um dem Untersuchungsgrundsatz zu entsprechen.
II. Die Amtshilfe zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist geregelt durch die EU-Richtlinie 2011/16/EU vom 15.02.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung. Durch das Gesetz über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Amtshilfegesetz – EU-AHiG) ist die EU-Amtshilferichtlinie mit Wirkung ab dem 01.01.2013 in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Das Gesetz regelt richtlinienkonform den Austausch von voraussichtlich erheblichen Informationen in Steuersachen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EUAHiG). Dies entspricht den in Art. 26 OECD-Musterabkommen normierten Standards (vgl. zur Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern BFH, Beschl. v. 10.05.2005 – BFH/NV 2005, 1503; BFH, Beschl. v. 17.09.2007 – I B 30/07 – BFH/NV 2008, 51; FG Köln, Beschl. v. 09.07.2015 – 2 V 1375/15 – EFG 2015, 1769, mit Nachweisen der Literatur).
III. Der Geheimnisschutz im deutschen Recht wird gewährleistet durch § 19 EUAHiG sowie durch die VO (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung). Das BMF hat mit Schreiben vom 09.01.2017 (IV B 6-S 1315/16/10016:002 – BStBl I 2017, 89) ein Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete in Ergänzung des Merkblatts zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen (BMF-Schreiben v. 23.11.2015 – IV B 6-S 1320/07/10004:007 – BStBl I 2015, 928) veröffentlicht. Abschnitt 2.7.7. des BMF-Schreibens in BStBl I 2017, 89 befasst sich mit dem Thema „Steuergeheimnis und Datenschutz“. Diese Ausführungen haben allgemeine Gültigkeit. Nach dem BMF-Schreiben vom 23.11.2017 (IV B 6-S 1320/07/10004:007 – BStBl I 2015, 928) unterliegen alle Angaben, die die deutschen Finanzbehörden im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch erhalten, dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) und dem besonderen – ggf. weitergehenden – Geheimhaltungsschutz der völkerrechtlichen Vereinbarungen und des § 19 EUAHiG.
IV. Nach der Rechtsprechung ist in Fällen der Abwehr einer geplanten Auskunftserteilung verfahrensrechtlich die einstweilige Anordnung gegeben. Der erforderliche Anordnungsgrund liegt vor, weil die Verletzung des Steuergeheimnisses ihrer Natur nach nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz ist deshalb in solchen Fällen nicht erforderlich. Das FG Köln hat sich der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung angeschlossen, dass Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch die analoge Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 30 AO ist (BFH, Beschl. v. 29.04.1992 – I B 12/92 – BStBl II 1992, 645; BFH, Urt. v. 16.03.2016 – VII R 36/13 Rn. 12 – BFH/NV 2016, 1189). Der Anspruch setzt voraus, dass die Erteilung der Auskunft in rechtswidriger Weise in subjektiv-öffentliche Rechte des Steuerpflichtigen eingreift, wobei die vorbeugende Unterlassungsklage ein besonderes Rechtsschutzinteresse erfordert. Sie ist nämlich nur zulässig, wenn substantiiert und schlüssig dargelegt wird, durch ein bestimmtes, künftig zu erwartendes Handeln einer Behörde in eigenen Rechten verletzt zu sein, und wenn ein Abwarten der tatsächlichen Rechtsverletzung unzumutbar ist, weil die Rechtsverletzung dann nicht oder nur schwerlich wiedergutzumachen wäre. Ob diese Rechtsgrundlage überhaupt erforderlich und auch für den Fall in Betracht zu ziehen ist, dass wie vorliegend in das Steuergeheimnis anderer „eingegriffen“ wird, ist zweifelhaft.
V. Im 9. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung heißt es:
„Mitgliedstaaten sollten Informationen über einzelne Fälle austauschen, wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat darum ersucht werden, und sollten die notwendigen Ermittlungen durchführen, um die betreffenden Informationen zu beschaffen. Dieser Informationsaustausch solle ‚im größtmöglichen Umfang‘ stattfinden. Freilich ist es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, sich an Beweisausforschungen (‚fishing expeditions‘) zu beteiligen oder um Informationen zu ersuchen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie für die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen erheblich sind“.
Hierzu enthält Art. 20 der Richtlinie 2011/16/EU Verfahrensvorschriften, „aber diese müssen großzügig ausgelegt werden, damit der effiziente Informationsaustausch nicht vereitelt wird“ (C-682/15 – IStR 2017, 785 = EuZW 2017, 654 Rn. 9 – Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 38/2017 Anm. 2). Die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Anordnung im Zusammenhang mit der voraussichtlichen Erheblichkeit der erbetenen Informationen ist auf die Prüfung beschränkt, ob diese Erheblichkeit offenkundig fehlt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Finanzverwaltung akzeptiert immer weniger – wenn auch wohl noch nicht generell – Briefkastengesellschaften als Zurechnungssubjekte von Einkünften, Umsätzen und Vermögen. Der Beschluss des I. Senats des BFH vom 15.02.2006 (I B 87/05 – BStBl II 2006, 616; Anm. Lieber, jurisPR-SteuerR 20/2006 Anm. 1). hat die Umstände, dass eine Domizilgesellschaft mit Sitz in Panama eingeschaltet worden war und dass die Zahlungen von Provisionen auf Konten des Geschäftspartners in der Schweiz und in Deutschland statt auf Konten im Wohnsitz- oder Geschäftssitzstaat erfolgten, nicht als ausreichend angesehen, um tatsächliche Anhaltspunkte für eine mutmaßliche Steuerverkürzung in Finnland feststellen zu können. Allein die ungewöhnliche Gestaltung der Geschäftsbeziehungen sei keine ausreichender objektiver Anhaltspunkte für eine nicht gerechtfertigte Steuerersparnis. Im Leitsatz jener Entscheidung ist formuliert, dass eine Spontanauskunft an die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats der EU tatsächliche Anhaltspunkte für die Vermutung voraussetzt, dass Steuern gerade dieses Mitgliedstaats verkürzt worden sind oder werden könnten. Es handelte sich mithin um einen Sonderfall. Im Übrigen könnte es sein, dass die in letzter Zeit intensivierte Diskussion über die aggressive Steuergestaltung und auch die Aufdeckung der sog. Panama-Papiere Rechtsprechung, Verwaltung und Wissenschaft für den besonderen Unrechtsgehalt der Steuervermeidung mittels Briefkastengesellschaften sensibilisiert hat.

Grenzüberschreitender Informationsaustausch bei Verdacht einer Steuervermeidung mittels Briefkastengesellschaft
Carsten OehlmannRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
  • Fachanwalt für Erbrecht
  • Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)
Grenzüberschreitender Informationsaustausch bei Verdacht einer Steuervermeidung mittels Briefkastengesellschaft
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Mühlhausen
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