Nachfolgend ein Beitrag vom 20.11.2017 von Märtens, jurisPR-SteuerR 47/2017 Anm. 4

Leitsatz

Der Gegenstand der Haftung (§ 73 Satz 1 AO) ist für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt, die gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organträger gerichtet sind. Dies ist auch bei mehrstufigen Organschaften zu beachten.

A. Problemstellung

Der BFH hatte darüber zu entscheiden, ob die Haftung der Organgesellschaft gemäß § 73 AO für die Steuern des Organträgers sich im Falle einer gestuften Organschaftskette nicht nur auf die Steuern des unmittelbaren, sondern auch auf jene des „obersten“ Organträgers bezieht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A.-GmbH, der Rechtsnachfolgerin der B.-GmbH. Im Jahr 1990 hatte die B.-GmbH mit ihrer damaligen Muttergesellschaft, der C.-GmbH, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Im Jahr 2000 wurde die C.-GmbH (unter Beibehaltung der Organschaft mit der B.-GmbH) auf die D.-AG verschmolzen, die wiederum mit dem sie beherrschenden Unternehmen, der E.-AG, einen Gewinnabführungsvertrag (mit Wirkung zum 01.01.2001) abgeschlossen hatte.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E.-AG nahm das Finanzamt die A.-GmbH (als Rechtsnachfolgerin der B.-GmbH) mit auf § 191 i.V.m. § 73 sowie § 45 Abs. 1 AO gestütztem Haftungsbescheid für einen Teil der rückständigen Körperschaftsteuer 2001 und 2002 sowie Solidaritätszuschläge 2001 und 2002 der E.-AG i.L. in Anspruch. In diesem Bescheid hatte das Finanzamt unter dem Gesichtspunkt einer „Veranlassungshaftung“ den Haftungsanteil durch den Anteil des Einkommens der B.-GmbH (originäres Organeinkommen) an der Summe (aller) positiver Organeinkommen bei der E.-AG bestimmt. Die weiteren Gesellschaften, die mit der E.-AG in den Jahren 2001 und 2002 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft gebildet hatten, wurden ebenfalls nach dieser Berechnungsmethode nach § 73 AO im Haftungswege in Anspruch genommen. Das Klageverfahren ist vom Kläger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A.-GmbH aufgenommen worden. In erster Instanz hatte die Klage keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urt. v. 19.02.2015 – 16 K 932/12 H(K) – GmbHR 2015, 1116).
Auf die Revision des Klägers hat der BFH das FG-Urteil und den Haftungsbescheid aufgehoben. Der Gegenstand der Haftung nach § 73 AO sei für eine Organgesellschaft auf die gegen den – durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten – Organträger gerichteten Steueransprüche beschränkt. Letzteres ergebe sich aus dem Wortlaut des § 73 AO, der die Haftung der Organgesellschaft für die Steuern des Organträgers anordne, für die „die Organschaft zwischen ihnen“ – also das zweipersonale Organschaftsverhältnis – von Bedeutung sei. Im Streitfall, in dem keine sog. mittelbare Organschaft bzw. Klammerorganschaft (vgl. Lüdicke in: Festschrift Herzig, 2010, S. 259, 280; Schmidt, Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO, 2014, S. 161; Dötsch in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rn. 682; Schimmele/Weber, Der Konzern 2015, 437, 438) zwischen der B.-GmbH und der D.- (später: E.-) AG im Sinne einer finanziellen Eingliederung vermittels der mittelbaren Beherrschung und einem direkten Ergebnisabführungsvertrag bestanden habe, fehle es hieran (gl. A. Lüdicke in: Festschrift Herzig, S. 259, 279 ff.; Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO, S. 188 f.; Schwetlik, GmbH-StB 2015, 307).
Auch wenn die Haftungsnorm bezwecke, die steuerlichen Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden seien, beziehe sich die Haftung auf die Steuerschuldnerschaft (Lüdicke in: Festschrift Herzig, S. 259, 272), die nach der einzelgesetzlichen Begriffsbestimmung der im Streitfall einschlägigen Organschaftsregelung (vgl. insoweit BT-Drs. VI/1982, S. 120; hier: § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) personell an den Organträger geknüpft sei (s.a. Elicker/Hartrott, BB 2011, 2775). Dabei verkenne der Senat nicht, dass nach Ansicht der Finanzbehörde bei gestuften Organschaftsverhältnissen ein weitergehender Haftungsumfang zweckgerecht erscheinen möge. Hierbei handele es sich jedoch um eine rechtspolitische Frage, die nicht von den Gerichten, sondern zuvörderst vom Gesetzgeber zu beantworten sei und die – wie aufgezeigt – insbesondere mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut des § 73 AO nicht Gegenstand einer ausdehnenden Gesetzesauslegung sein könne.

C. Kontext der Entscheidung

Im Rahmen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft nach den §§ 14 ff. KStG wird dem Organträger das wirtschaftliche Ergebnis der Organgesellschaft zugerechnet, obwohl dieses allein durch deren wirtschaftliche Aktivität entstanden ist. Schuldner der darauf entfallenden Steuer ist der Organträger, dessen Vermögen dem Fiskus als Haftungsmasse zur Verfügung steht. Zur Sicherstellung der Steueransprüche wird durch § 73 AO dem Fiskus die Möglichkeit eingeräumt, zur Durchsetzung seiner Steueransprüche auf das Vermögen der Organgesellschaft zuzugreifen. Dadurch soll verhindert werden, dass der Fiskus Zahlungsausfälle erleidet, obwohl bei Organgesellschaften hinreichend Vermögen vorhanden ist.
Eine Organschaft besteht nach der Definition des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG jeweils aus einer Organgesellschaft und (nur) einem Organträger. Möglich ist eine Organschaft in gestuften Beteiligungsverhältnissen auch durch den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags zwischen der Mutter- und der Enkelgesellschaft (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 KStG); die zwischengeschaltete Tochtergesellschaft ist in diesem Fall an der Organschaft nicht beteiligt. Schließt – wie im vorliegend vom BFH zu beurteilenden Fall – im Rahmen eines gestuften Beteiligungsverhältnisses eine Enkelgesellschaft einen Gewinnabführungsvertrag mit der „Tochter“ und diese wiederum einen solchen mit der „Mutter“, so liegen aus steuerlicher Sicht zwei selbstständige Organschaftsverhältnisse vor. Die Enkelgesellschaft führt ihren Gewinn an die Tochter ab, die sodann das ihrige Ergebnis an die Mutter abführt. Die Beurteilung einer solchen Konstellation als „mittelbare Organschaft“, bei der die Muttergesellschaft als „oberster“ und eigentlicher Organträger der Enkelgesellschaft anzusehen ist, ist das Ergebnis einer rein wirtschaftlichen Betrachtung, die im Gesetz jedoch keine Entsprechung findet.
Da § 73 Satz 1 AO nur die Haftung der Organgesellschaft für solche Steuern „des Organträgers“ anordnet, für welche „die Organschaft zwischen ihnen“ steuerlich von Bedeutung ist, kann aus dem Gesetzeswortlaut eine Haftung der Enkelgesellschaft für die Steuern der – mit ihr organschaftlich nicht verbundenen – Muttergesellschaft nicht abgeleitet werden. Der BFH hat es auch zu Recht abgelehnt, den Anwendungsbereich der Haftungsvorschrift des § 73 AO im Wege einer richterlichen Rechtsfortbildung auf diesen vom Wortlaut nicht erfassten Fall auszudehnen. Es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers, die Haftungsvorschriften so zu fassen, dass bei mehrstufigen Organschaftsketten keine Haftungslücken verbleiben.

D. Auswirkungen für die Praxis

Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage haftet bei der ertragsteuerlichen Organschaft die Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO jeweils nur für die Steuern ihres eigenen Organträgers. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber das Besprechungsurteil zum Anlass nimmt, die Haftungsvorschriften für die Zukunft dahin zu erweitern, dass sie auch mehrstufigen Konstellationen gerecht werden.

Haftung der Organgesellschaft bei mehrstufiger Organschaft
Thomas HansenRechtsanwalt
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Carsten OehlmannRechtsanwalt
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