Nachfolgend ein Beitrag vom 15.1.2018 von Dötsch, jurisPR-SteuerR 2/2018 Anm. 3

Leitsätze

1. Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre führt nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG.
2. Von einem Forderungsausfall ist erst dann auszugehen, wenn endgültig feststeht, dass keine weiteren Rückzahlungen mehr erfolgen werden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel nicht aus.

A. Problemstellung

Im Streitfall hatte der BFH die Frage zu beantworten, ob der Ausfall einer zum Privatvermögen gehörenden Darlehensforderung nach Einführung der Abgeltungsteuer im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912), d.h. ab dem Veranlagungszeitraum 2009, zu negativen Einkünften aus Kapitalvermögen führt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Der Kläger gewährte einem Dritten am 11.08.2010 ein mit 5% verzinsliches Darlehen in Höhe von rund 24.000 Euro. Seit dem 01.08.2011 stellte der Darlehensschuldner die vereinbarten Darlehensrückzahlungen ein. Über das Vermögen des Darlehensnehmers wurde am 01.08.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger meldete die noch offene Darlehensforderung in Höhe von rund 19.000 Euro zur Insolvenztabelle an.
In seiner Einkommensteuererklärung für 2012 machte der Kläger den Ausfall der Darlehensforderung als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen geltend. Das Finanzamt erkannte diesen „Verlust“ nicht an. Das Finanzgericht wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage als unbegründet ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH die FG-Entscheidung auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Der BFH führte im Wesentlichen aus:
II. Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts führe der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG.
1. Mit der Einführung der Abgeltungsteuer im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) habe eine vollständige steuerrechtliche Erfassung aller Wertänderungen erreicht werden sollen (vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 33, 55 ff.). Dafür sei die traditionelle quellentheoretische Trennung von Vermögens- und Ertragsebene für die Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgegeben worden.
2. Folge dieses Paradigmenwechsels sei es, dass nach Einführung der Abgeltungsteuer der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu einem gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG steuerlich zu berücksichtigenden Verlust führe. Insoweit sei eine Rückzahlung der Kapitalforderung, die – ohne Berücksichtigung der in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gesondert erfassten Zinszahlungen – unter dem Nennwert des hingegebenen Darlehens bleibe, dem Verlust bei der Veräußerung der Forderung gleichzustellen, wenn endgültig feststehe, dass (über bereits gezahlte Beträge hinaus) keine weiteren Rückzahlungen (mehr) erfolgen würden.
Inwieweit dies auch für einen Forderungsverzicht gelte, könne hier dahinstehen.
a) Dem engen Veräußerungsbegriff trage § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG Rechnung, der der Veräußerung verschiedene Ersatztatbestände gleichstelle, um alle Wertänderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erfassen (BT-Drs. 16/4841, S. 56). Danach sei u.a. auch die Rückzahlung von privaten Darlehensforderungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 EStG steuerbar. Aus dieser Gleichstellung folge, dass die Fälle der Veräußerung und der Rückzahlung im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 20 Abs. 4 EStG den gleichen Grundsätzen unterlägen.
b) Eine Veräußerung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG sei die entgeltliche Übertragung des – zumindest wirtschaftlichen – Eigentums auf einen Dritten. Zwar fehle es bei einem Forderungsausfall an dem für eine Veräußerung in diesem Sinne notwendigen Rechtsträgerwechsel. Aus der Gleichstellung der Rückzahlung mit dem Tatbestand der Veräußerung einer Kapitalforderung in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG folge jedoch, dass auch eine endgültig ausbleibende Rückzahlung zu einem Verlust i.S.d. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG führen könne.
c) Dies ergebe sich auch aus dem Gebot der Folgerichtigkeit. Denn führe die Rückzahlung der Kapitalforderung über dem Nennwert zu einem Gewinn i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG, so müsse auch eine Rückzahlung unter dem Nennwert zu einem steuerlich zu berücksichtigenden Verlust führen.
d) Zudem führe auch die Übertragung wertloser Gegenstände ohne Gegenleistung zu einem Veräußerungsverlust (zur Anteilsübertragung vgl. BFH, Urt. v. 12.05.2015 – IX R 57/13 – BFH/NV 2015, 1364), so dass auch insoweit eine Gleichstellung des Ausfalls einer Rückzahlung mit einer Veräußerung geboten sei. Wirtschaftlich betrachtet mache es keinen Unterschied, ob der Steuerpflichtige die Forderung noch kurz vor dem Ausfall zu null Euro veräußere oder ob er sie – weil er keinen Käufer finde oder auf eine Quote hoffe – behalte. In beiden Fällen erleide der Steuerpflichtige eine Einbuße seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die die gleiche steuerliche Berücksichtigung finden müsse.
e) Die etwaige Gefahr einer ausufernden Verlustnutzung bei Berücksichtigung von Forderungsausfällen stehe derjenigen beim Verkauf einer Darlehensforderung gleich und werde im Übrigen schon durch die nach § 20 Abs. 6 EStG beschränkte Verrechenbarkeit von Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen begrenzt.
3. Wie die Veräußerung sei die Rückzahlung ein Tatbestand der Endbesteuerung. Danach liege ein steuerbarer Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls erst dann vor, wenn endgültig feststehe, dass (über bereits gezahlte Beträge hinaus) keine (weiteren) Rückzahlungen (mehr) erfolgen würden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reiche hierfür regelmäßig nicht aus (vgl. BFH, Urt. v. 25.01.2000 – VIII R 63/98 – BStBl II 2000, 343). Etwas anderes gelte, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden sei (vgl. auch BFH, Urt. v. 27.11.2001 – VIII R 36/00 – BStBl II 2002, 731) oder aus anderen Gründen feststehe, dass keine Rückzahlung mehr zu erwarten sei (vgl. BFH, Urt. v. 13.10.2015 – IX R 41/14 – BFH/NV 2016, 385).
4. Im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung errechne sich die Höhe des Rückzahlungsverlusts nach § 20 Abs. 4 EStG als Unterschied zwischen den Einnahmen aus den Rückzahlungen nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ausfall der Forderung stünden, und den Anschaffungskosten.
5. Die Sache sei nicht spruchreif. Ob die streitbefangenen Rückzahlungen bereits im Streitjahr (2012) endgültig ausgeblieben seien, könne der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des Finanzgerichts nicht überprüfen. Das Finanzgericht werde die notwendigen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

C. Kontext der Entscheidung

I. Dem Besprechungsurteil ist beizupflichten (vgl. auch Schmitt-Hohmann, BB 2010, 351, 353; Kellersmann, FR 2012, 57, 65; Aigner, DStR 2016, 345, 347; Spieker, DB 2016, 197, 198; Jansen, DStR 2016, 2729, 2730; Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rn. 531; FG Hannover, Urt. v. 21.05.2014 – 2 K 309/13 – EFG 2014, 1584). Überzeugend ist insbesondere der im Besprechungsurteil gegebene Hinweis auf die Parallele (Vergleichbarkeit) des Forderungsausfalls zur (mit der) Konstellation, dass der Steuerpflichtige die wertlos gewordene Forderung zu einem Kaufpreis weit unter dem Nominalwert oder von 0 Euro veräußert (vgl. auch die vorstehenden Literaturnachweise). Mit Recht wird daher in der Besprechungsentscheidung darauf hingewiesen, dass das im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verortete Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.03.2017 – 2 BvL 6/11 Rn. 104 – BFH/NV 2017, 1006) eine Gleichbehandlung beider Konstellationen erfordert.
II. Ausdrücklich offengelassen hat das Besprechungsurteil die Frage, wie bei einem Forderungsverzicht (Erlassvertrag gemäß § 397 BGB) zu verfahren sei. Hier kommt es für die Berücksichtigung von negativen Einkünften aus Kapitalvermögen m.E. darauf an, ob und inwieweit die (Darlehens-)Forderung im Zeitpunkt des Verzichts noch werthaltig war, also noch hätte realisiert werden können, oder nicht. Im letztgenannten Fall führt der Verzicht m.E. – nicht anders als beim bloßen Forderungsausfall – zu einem zu berücksichtigenden „Verlust“ bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Denn der Steuerpflichtige verzichtet hier auf etwas, das er ohnehin nicht mehr hätte (zurück)erlangen können, das also schon zuvor (durch Forderungsausfall) verloren war. Im erstgenannten Fall liegen dem Forderungsverzicht dagegen in aller Regel private Motive (Schenkung, freigebige Zuwendung) zugrunde mit der Folge, dass der Ansatz von negativen Einkünften aus Kapitalvermögen ausscheidet.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Besprechungsurteil stellt – soweit ersichtlich – die erste höchstrichterliche Entscheidung zu dem in Rede stehenden Problem dar. Gleichwohl dürfte es angesichts der überzeugenden Begründung des dort gefundenen Ergebnisses keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass auch künftige höchstrichterliche Entscheidungen und die Finanzverwaltung dieser Linie folgen werden.

Insolvenzbedingter Ausfall einer privaten Darlehensforderung als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
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