Nachfolgend ein Beitrag vom 27.3.2017 von Dürr, jurisPR-SteuerR 13/2017 Anm. 1
Leitsätze
1. Aufwendungen für einen in die häusliche Sphäre eingebundenen Raum, der sowohl zur Erzielung von Einnahmen als auch zu privaten Wohnzwecken eingerichtet ist und entsprechend genutzt wird, können weder insgesamt noch anteilig als Betriebsausgaben berücksichtigt werden (Anschluss an den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 27.07.2015 – Grs 1/14 – BFHE 251, 408 – BStBl II 2016, 265).
2. Ein mit Büromöbeln und einer Küchenzeile ausgestatteter Raum, der ausschließlich über einen dem Privatbereich zugehörigen Flur zugänglich ist, verfügt über kein betriebsstättenähnliches Gepräge.
A. Problemstellung
Zu entscheiden war, ob die Aufwendungen für den beruflich genutzten Bereich eines Wohnraums unter dem Gesichtspunkt eines betriebsstättenähnlichen Raums bzw. eines häuslichen Arbeitszimmers anteilig als Betriebsausgaben abziehbar sind.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Steuerfachwirt. Er bewohnte im Streitjahr 2007 ein rund 73 qm großes angemietetes Zweizimmer-Apartment mit teilweise offener Bauweise. Der in dem Grundriss als Wohnzimmer ausgewiesene Raumteil umfasste 38 qm. Diesen Bereich, der nach Angaben des Klägers büromäßig ausgestattet war (zwei Schreibtische, zwei Computer, Regalschränke, zwei Tischrechner, zwei Drucker, Telefonanlage, Faxgerät) nutzte der Kläger für seine gewerbliche Tätigkeit (Buchführungs- und Schreibarbeiten). Die Küche (Fläche rund 3,6 qm) war in offener Bauweise mit dem als Büro genutzten Bereich verbunden.
In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr machte der Kläger vergeblich die anteilige Miete und Nebenkosten für den als Büro genutzten Raum als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, die mangelnde Abgeschlossenheit stehe einer Aufteilung der Kosten entgegen (FG Neustadt, Urt. v. 25.08.2010 – 2 K 2331/09 – EFG 2011, 1961). Mit Beschluss vom 27.07.2015 (GrS 1/14 – BStBl II 2016, 265 m. Anm. Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 18/2016 Anm. 1) hat der Große Senat die ihm vom IX. Senat des BFH in einer Parallelsache vorgelegten Rechtsfragen zur Aufteilbarkeit der Aufwendungen für einen in die häusliche Sphäre eingebundenen sowohl betrieblich/beruflich als auch privat genutzten Raum entschieden (Vorlage BFH, Beschl. v. 21.11.2013 – IX R 23/12 – BStBl II 2014, 312 m. Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 12/2014 Anm. 2). Die Revision ist ohne Erfolg geblieben.
I. Der BFH legt zunächst dar, dass der Entscheidung nicht § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG i.d.F. des StÄndG 2007 vom 19.07.2006 (BGBl I 2006, 1652), d.h. in der im Zeitpunkt des Finanzgerichts-Urteils geltenden Fassung zugrunde zu legen ist, sondern die Neufassung und damit die aktuelle Gesetzesfassung durch das JStG 2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, 1768). Denn die Neuregelung ist bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2007 anzuwenden (§ 52 Abs. 12 Satz 9 EStG i.d.F. des JStG 2020). Die Gesetzesänderung ist für den Streitfall allerdings unerheblich, da der entscheidende Satz 1 des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG gleichlautend bestehen geblieben ist. Danach sind nicht abziehbar „Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung“.
II. Der BFH definiert zunächst im Anschluss an den Beschluss des Großen Senats (Beschl. v. 27.07.2015 – GrS 1/14 Rn. 62 ff. – BStBl II 2016, 265) den Begriff des häuslichen Arbeitszimmers als einen Raum, der seiner Ausstattung nach der Erzielung von Einnahmen dient und ausschließlich oder nahezu ausschließlich zur Erzielung von Einkünften genutzt wird. Ein häusliches Arbeitszimmer ist seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden und dient vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher, verwaltungstechnischer oder -organisatorischer Arbeiten. Ein solcher Raum ist typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet, wobei der Schreibtisch regelmäßig das zentrale Möbelstück ist. Die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG gilt dagegen nicht, wenn der innerhalb des privaten Wohnbereichs betrieblich genutzte Raum über ein betriebsstättenähnliches Gepräge verfügt (BFH, Urt. v. 15.10.2014 – VIII R 8/11 – HFR 2015, 914). Der betriebliche Charakter und dessen Nutzung müssen allerdings anhand objektiver Kriterien feststellbar sein. Der für die Abzugsbeschränkung maßgebliche Grund der nicht auszuschließenden privaten Nutzung gilt für diese Räume nicht. Denn bereits aus ihrer Ausstattung (z.B. Werkstatt) und/oder wegen ihrer Zugänglichkeit durch dritte Personen lässt sich eine private Mitbenutzung ausschließen.
III. Im Streitfall lag indes kein betriebsstättenähnlicher Raum vor. Der fragliche Bereich war nicht betriebsstättenähnlich – vergleichbar mit einer Notfallpraxis, einem Tonstudio oder einer Werkstatt – ausgestattet. Er war vielmehr nach Art eines häuslichen Arbeitszimmers mit Büromöbeln eingerichtet. Da die Kunden des Klägers zunächst den Flur durchqueren mussten, um in den Bürobereich zu gelangen, fehlte es auch an der nach außen erkennbaren Widmung der Räumlichkeit für den Publikumsverkehr und deren Zugänglichkeit für dritte Personen (BFH, Urt. v. 20.11.2003 – IV R 3/02 – BStBl II 2005, 203 m. Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 12/2004 Anm. 6). Da der fragliche Bereich somit nicht betriebsstättenähnlich, sondern nach Art eines häuslichen Arbeitszimmers mit Büromöbeln eingerichtet war, beurteilt sich die Abziehbarkeit nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG. Damit scheitert der Abzug an der nicht (nahezu) ausschließlichen beruflichen Nutzung. Denn der Raum war nicht nur mit Büromöbeln, sondern auch mit einer Küchenzeile ausgestattet und wurde daher mehr als nur untergeordnet auch privat mitgenutzt. Die (nahezu) ausschließliche Nutzung des Raumes zur Erzielung von Einnahmen gehört zum Begriff des häuslichen Arbeitszimmers i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Damit ist eine anteilige Berücksichtigung der Aufwendungen für gemischt genutzte Zimmer ausgeschlossen (Großer Senats des BFH, Beschl. v. 27.07.2015 – GrS 1/14 – BStBl II 2016, 265).
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung. Danach ist bei in die häusliche Sphäre eingebundenen Räumen zu unterscheiden zwischen betriebsstättenähnlich und büromäßig eingerichteten Räumen. Weist der Raum ein betriebsstättenähnliches Gepräge auf (Notfallpraxis, Tonstudio, Werkstatt, Warenlager), greift die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht ein. Hier lässt sich regelmäßig wegen der Ausstattung oder der Zugänglichkeit für dritte Personen eine private Mitbenutzung ausschließen (Großer Senat des BFH, Beschl. v. 27.07.2015 – GrS 1/14 Rn. 65 – BStBl II 2016, 265; BFH, Urt. v. 15.10.2014 – VIII R 8/11 – HFR 2015, 914). Liegt ausnahmsweise eine gemischte Nutzung vor – z.B. wenn die häusliche Werkstatt auch als privates Atelier genutzt wird – müsste allerdings eine Aufteilung der Kosten und ein anteiliger Abzug in Betracht kommen. Anders ist es bei einem büromäßig – typischerweise mit Schreibtisch und Regal – eingerichteten Raum, der unter den Begriff des häuslichen Arbeitszimmers i.S.v. § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG fällt. Hier setzt der Abzug voraus, dass der Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich betrieblich/beruflich genutzt wird. Ein Abzug anteiliger Aufwendungen ist ausgeschlossen. Denn § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG stellt nach der Entscheidung des Großen Senats (Beschl. v. 27.07.2015 – GrS 1/14 Rn. 74 – BStBl II 2016, 265) eine den allgemeinen Grundsätzen vorgehende Spezialregelung dar, die wegen der Nähe zur allgemeinen Lebensführung als Ausnahme vom allgemeinen Nettoprinzip gerechtfertigt ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Gegenstand des Streitfalls war nicht eine untergeordnete Arbeitsecke im Wohn- oder Schlafbereich für die gelegentliche Fachlektüre nach Feierabend. Für eine lediglich durch ein Regal vom Wohnbereich abgesonderte „Arbeitsecke“ hat der BFH den anteiligen Abzug mangels ausreichender Abtrennung abgelehnt (BFH, Urt. v. 17.02.2016 – X R 32/11 – BStBl II 2016, 708). Im Streitfall handelte es sich jedoch um ein mit Schreibtischen und moderner Bürotechnik ausgestatteten Raum, in dem der Kläger ganztägig und hauptberuflich tätig war. In solchen Fällen ist die Frage durchaus angebracht, ob die Abzugsbeschränkung so weit gehen darf, den eindeutig beruflich veranlassten Aufwand zu negieren. Trotz der nunmehr vorliegenden ablehnenden Rechtsprechung dürfte die Tendenz längerfristig in eine großzügigere Richtung tendieren, zumal – wie der Vorlagebeschluss des IX. Senats an den Großen Senat (BFH, Beschl. v. 21.11.2013 – IX R 23/12 – BStBl II 2014, 312) zeigt – auch innerhalb des BFH die Meinungen durcheinander gehen. Der Streitfall ist jedenfalls typisch für manchen Freiberufler und ähnliche Selbstständige, denen in der Startphase nichts anderes übrig bleibt, als den Weg in die Selbstständigkeit zunächst mit einem Büro in der Wohnung zu beginnen. Für Start-ups sollte hier im Wege einer großzügigeren Auslegung an eine Erleichterung gedacht werden.