Nachfolgend ein Beitrag vom 18.4.2017 von Schießl, jurisPR-SteuerR 16/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Hat der Postbedienstete die Zustellungsurkunde nachträglich berichtigt, entscheidet das Gericht gemäß § 419 ZPO nach freier Überzeugung, ob die Beweiskraft der Urkunde dadurch ganz oder teilweise aufgehoben oder gemindert ist.
2. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post (§ 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist regelmäßig unwirksam, wenn die Mitteilung über die Niederlegung in den Briefkasten eingeworfen wird. Denn ist ein solcher vorhanden, muss das zuzustellende Schriftstück selbst in den Briefkasten eingelegt werden (§ 180 Satz 1 ZPO); die Ersatzzustellung durch Niederlegung scheidet aus.

A. Problemstellung

Die Entscheidung betrifft die in der Praxis bedeutsame Frage, welche Anforderungen an eine wirksame Ladung zur mündlichen Verhandlung durch die Post mit Zustellungsurkunde zu stellen sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, betreibt ein Transportunternehmen sowie Baustoffhandel. Das Finanzamt erkannte eine von der Klägerin vorgenommene Forderungsabschreibung nicht an. Das Finanzgericht vertagte die Sache in der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2016. Für die Vorlage weiterer Unterlagen setzte es eine Frist gemäß § 79b Abs. 2 FGO bis zum 23.03.2016. Das entsprechende Schreiben vom 02.03.2016 war an die damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, eine Steuerberatungsgesellschaft, gerichtet. Ebenfalls am 02.03.2016 beraumte das Finanzgericht eine mündliche Verhandlung auf den 14.04.2016 an. Die Ladung an die Prozessbevollmächtigte enthielt den Hinweis, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden könne. Mit der Zustellung der Ladung und des weiteren Schreibens vom 02.03.2016 durch Zustellungsurkunde – zusammen in einem Briefumschlag – wurde die Deutsche Post beauftragt. Die Klägerin wurde nicht gesondert geladen.
Am 21.03.2016 ging dem Finanzgericht die von einer Postbediensteten am 04.03.2016 unterzeichnete Zustellungsurkunde zu. Danach hatte die Zustellerin den Umschlag zu übergeben versucht. Ursprünglich hatte sie weiter beurkundet, dass sie das Schriftstück, weil eine Übergabe nicht möglich gewesen sei, in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt habe. Das Kreuz in dem entsprechenden Feld 10.2 wurde jedoch durchgestrichen. Daneben findet sich der von der Zustellerin unterzeichnete Vermerk „berichtigt am 17.03.“. Weiter ist in der Urkunde angegeben, dass der Umschlag, weil auch die Einlegung in einen Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung nicht möglich gewesen sei, bei der hierfür bestimmten Stelle – der „Shop in Shop Filiale im A-Markt, X-Straße 12“ – niedergelegt worden sei. Die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung habe die Zustellerin in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich in den Geschäftsbriefkasten eingeworfen.
In der mündlichen Verhandlung am 14.04.2016 erschien für die Klägerin niemand. Das Finanzgericht stellte die ordnungsgemäße Ladung der Prozessbevollmächtigten fest und wies die Klage ab. Die Revision ließ es nicht zu. Am 07.06.2016 erhielt es den in Rede stehenden Umschlag mit den Vermerken „Zugestellt am 04.03.2016“ – unterzeichnet von der Zustellerin – und „Lagerfrist abgelaufen“ zurück.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Ihre Prozessbevollmächtigte habe weder die Ladung noch das weitere Schreiben vom 02.03.2016 erhalten. Auch eine Benachrichtigung über die Niederlegung sei ihr nicht zugegangen. Von der mündlichen Verhandlung habe sie erst durch die Zustellung des Urteils am 28.04.2016 erfahren. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Prozessbevollmächtigten übersandt. Weiter trägt sie vor, dass die Zustellungsurkunde nicht geeignet sei, den Beweis über die Zustellung zu erbringen. Ihr Inhalt sei widersprüchlich und falsch. Die Angaben der Zustellerin ließen nicht erkennen, was mit dem Umschlag wann geschehen sei. Zudem existiere die angegebene Niederlegungsstelle bereits seit April 2014 nicht mehr. Die Niederlegungsstelle der Post befinde sich seitdem im „B-Shop“ in der X-Straße 6. Zum Nachweis hat die Klägerin einen undatierten Ausdruck der Internetseite der Post übersandt.
Die Klägerin beantragt, die Revision gegen das Urteil des FG Münster vom 14.04.2016 (6 K 531/13 G, F) zuzulassen.
Der BFH hat das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO). Der BFH führt aus, das Urteil des Finanzgerichts beruhe auf einem Verfahrensfehler i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; es verletze den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO). Die Klägerin sei nicht wirksam zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Denn die Postbedienstete habe die Zustellung durch Niederlegung bewirkt, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorgelegen hätten.
I. Dass die Zustellerin von der Möglichkeit der Niederlegung Gebrauch gemacht habe, folge bereits aus dem Umstand, dass das Finanzgericht den die Ladung enthaltenden Briefumschlag mit den Vermerken „Zugestellt am 04.03.2016“ und „Lagerfrist abgelaufen“ zurück erhalten habe. Auch die Zustellungsurkunde lasse keinen anderen Schluss zu.
Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post setze voraus, dass die Zustellung nicht nach § 180 ZPO durch Einlegen der Ladung in einen Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung ausführbar sei (§ 181 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Unmöglichkeit der Einlegung in den Briefkasten o.Ä. sei Wirksamkeitsvoraussetzung der Ersatzzustellung durch Niederlegung. Das ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 181 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern auch aus dem mit der Regelung verfolgten Zweck, die für den Adressaten oft umständliche Zustellung durch Niederlegung soweit wie vertretbar zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund dürfe die Benachrichtigung über eine Niederlegung nicht in den Briefkasten eingeworfen werden. Denn wenn der Adressat über einen solchen verfüge, scheide die Ersatzzustellung nach § 181 ZPO von vornherein aus.
Das habe die Zustellerin im Streitfall verkannt. Ausweislich der Zustellungsurkunde habe sie die Mitteilung über die Niederlegung in den Geschäftsbriefkasten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingeworfen. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass in diesen nicht die Ladung selbst hätte eingelegt werden können. Zwar möge es Ausnahmefälle geben, in denen ein Briefkasten nicht den Anforderungen des § 180 ZPO genüge, aber – wie von § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO verlangt werde – zur Entgegennahme von gewöhnlichen Briefen regelmäßig verwendet werde. Dafür, dass es sich bei dem Geschäftsbriefkasten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin – einer Steuerberatungsgesellschaft – um einen solchen Fall handele, bestünden jedoch keine Anhaltspunkte.
II. Der Senat mache von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

C. Kontext der Entscheidung

I. Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, kann der BFH in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
II. Ein solcher Verfahrensmangel ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Pflicht des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert es u.a., den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (BFH, Beschl. v. 06.11.2007 – IX B 64/07 – BFH/NV 2008, 242). Hieran fehlt es, wenn ein Beteiligter zu der vom Finanzgericht angesetzten mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BFH, Beschl. v. 18.01.2011 – IV B 53/09 – BFH/NV 2011, 812). Auf diesem Mangel kann das Urteil beruhen.
III. Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FGO i.V.m. § 176 ZPO kann die Ladung zur mündlichen Verhandlung durch die Post mit Zustellungsurkunde bewirkt werden. Ist die Übergabe der Ladung nach den §§ 177 oder 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht möglich, kann sie in einen Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist, eingelegt werden (§ 180 Satz 1 ZPO). Ist auch das nicht ausführbar, hat der Zusteller die Ladung bei einer von der Post bestimmten Stelle niederzulegen (§ 181 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO). Über die Niederlegung ist eine schriftliche Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben oder, wenn das nicht möglich ist, an der Tür anzuheften (§ 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Eine fehlerhafte Annahme der Zustellungsvoraussetzungen ist ein wesentlicher Mangel und führt zur Unwirksamkeit, d.h. Wirkungslosigkeit der Zustellung (vgl. BGH, Beschl. v. 12.03.1968 – X ZB 12/67 – LM Nr. 14 zu § 41p PatG; BFH, Urt. v. 11.04.1986 – VI R 22/85 – BFH/NV 1986, 545; BVerwG, Urt. v. 26.06.1984 – 9 CB 1092/81 – NVwZ 1985, 337).
Eine Postzustellungsurkunde liefert als öffentliche Urkunde i.S.d. §§ 418 Abs. 1 i.V.m. 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO regelmäßig den vollen Beweis für den darin dokumentierten Zustellungsvorgang. Dieser Beweis kann nicht durch die bloße Behauptung, die Ladung nicht erhalten zu haben, entkräftet werden (BFH, Beschl. v. 21.08.2002 – VIII B 58/02 – BFH/NV 2003, 176). Ein Gegenbeweis erfordert den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen (BFH, Urt. v. 20.02.1992 – V R 39/88 – BFH/NV 1992, 580 m.w.N.; BFH, Beschl. v. 07.02.1996 – X R 79/95 – BFH/NV 1996, 567). Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es nicht darauf an, ob und wann der Adressat die Ladung seinem Briefkasten entnommen und ob er sie tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (z.B. BFH, Beschl. v. 21.08.2002 – VIII B 58/02 – BFH/NV 2003, 176).
Ob und ggf. wie Durchstreichungen die Beweiskraft der Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht gemäß § 419 ZPO nach freier Überzeugung. Eine nachträgliche Berichtigung, etwa durch einen von dem Zusteller unterzeichneten Vermerk auf der Urkunde, ist möglich (BVerwG, Urt. v. 26.06.1984 – 9 CB 1092/81 – NVwZ 1985, 337; Stöber in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 182 Rn. 20) und ebenfalls nach § 419 ZPO zu würdigen (BGH, Urt. v. 19.07.2007 – I ZR 136/05 – NJW-RR 2008, 218).
Die nachträgliche Berichtigung ist jedoch aufgrund der besonderen Bedeutung der Zustellungsurkunde, die dieser nach den strikten gesetzlichen Zustellungsvorschriften zukommt, an strenge Voraussetzungen geknüpft (vgl. Stöber in: Zöller, ZPO, § 182 Rn. 20):
Die Berichtigung obliegt allein dem Zusteller, kann daher nicht durch einen anderen Bediensteten des Postunternehmens erfolgen.
Sie ist nur bei feststehender Unrichtigkeit möglich; dies setzt wiederum ein sicheres Wissen des Zustellers von den Einzelheiten der Zustellung voraus.
Die Berichtigung erfolgt durch einen auf die Urkunde zu setzenden Vermerk, der vom Zusteller – zur besseren Nachprüfbarkeit mit Datumsangabe – zu unterzeichnen ist.
Die berichtigte Stelle darf weder verändert noch unkenntlich gemacht werden.
Das Gericht hat die Beweiskraft der Zustellungsurkunde und die Beweiskraft etwaiger Gegenbeweismittel gegeneinander abzuwägen (BFH, Urt. v. 28.07.2015 – VIII R 50/13).
IV. Sind Zustellungsmängel gegeben, dann ist deren Heilungsmöglichkeit im Einzelfall zu prüfen. Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist (§ 189 ZPO).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BFH stellt klar, dass eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post (§ 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO) regelmäßig unwirksam ist, wenn die Mitteilung über die Niederlegung in den Briefkasten eingeworfen wird. Denn ist ein solcher vorhanden, muss das zuzustellende Schriftstück selbst in den Briefkasten eingelegt werden (§ 180 Satz 1 ZPO); die Ersatzzustellung durch Niederlegung scheidet aus.
Hat der Zusteller die Zustellungsurkunde nachträglich berichtigt, entscheidet das Gericht gemäß § 419 ZPO nach freier Überzeugung, ob die Beweiskraft der Urkunde dadurch ganz oder teilweise aufgehoben oder gemindert ist. Nach freier Überzeugung des Gerichts ist auch zu beurteilen, ob widersprüchliche oder unklare Angaben die Beweiskraft der Zustellungsurkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern.