Nachfolgend ein Beitrag vom 17.9.2018 von Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 37/2018 Anm. 1

Leitsatz

Eine Zurückrechnung der bei der Bewertung im Ertragswertverfahren zugrunde zu legenden Mieten aus aktuellen Mietspiegeln ist nicht zulässig.

A. Problemstellung

Der Streitfall betraf die Frage, welche Miete für Eigentumswohnungen, die im Weg der Aufteilung eines vorhandenen Gebäudes erst neu entstanden sind, bei der Bewertung für Zwecke der Grundsteuer anzusetzen ist. Maßgebender Stichtag ist der 01.01.1964. Der BFH hat u.a. diesen Fall zum Anlass genommen, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des BewG durch das BVerfG prüfen zu lassen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Der Kläger kaufte im Jahr 2007 ein Grundstück mit einem 1981 errichteten Wohnhaus im ehemaligen Westteil von Berlin. Im Jahr 2008 teilte er das Objekt in fünf Wohnungseigentumseinheiten und zwei Teileigentumseinheiten (Garagen) auf. Das Finanzamt stellte für diese Einheiten im Wege der Nachfeststellung Einheitswerte auf den 01.01.2009 fest. Die Wohnungen bewertete das Finanzamt als Einfamilienhäuser im Ertragswertverfahren ausgehend von einem monatlichen Mietwert von 3,90 DM/qm (gute Ausstattung, Mietspiegelfeld Ia) und einem Vervielfältiger von 9,1 (Bauausführung A, Nachkriegsbau). Die festgestellten Einheitswerte liegen zwischen 16.105 Euro und 20.451 Euro.
Mit Einspruch und Klage begehrte der Kläger, die übliche Miete für die Wohnungen zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 durch Zurückrechnung der Miete aus dem aktuellen Mietspiegel unter Berücksichtigung von Preisindices zu ermitteln und die Einheitswerte auf dieser Grundlage zu berechnen. Das Finanzgericht wies die Klage ab.
Auf die Vorlage des BFH (Beschl. v. 22.10.2014 – II R 37/14 – BFH/NV 2015, 309) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung hat das BVerfG entschieden, dass die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76, 79 Abs. 5, § 93 Abs. 1 Satz 2 BewG, soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 01.01.2002 unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG sind (BVerfG, Urt. v. 10.04.2018 – 1 BvL 11/14 u.a. – DStR 2018, 791; dazu Halaczinsky, jurisPR-SteuerR 18/2018 Anm. 4). Der Gesetzgeber ist nach dem Urteil verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31.12.2019 zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen die beanstandeten Regelungen für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31.12.2024 angewandt werden.
II. Der BFH hat anschließend die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Die festgestellten Einheitswerte sind rechtmäßig.
1. Eine Zurückrechnung der der Einheitsbewertung zugrunde zu legenden Mieten aus aktuellen Mietspiegeln ist mit den §§ 27, 79 Abs. 2, 5 BewG nicht vereinbar. Dies ergibt sich daraus, dass die im Ertragswertverfahren gemäß § 80 BewG auf die Jahresrohmiete anzuwendenden und aus den Anlagen 3 bis 8 zum BewG ersichtlichen Vervielfältiger ebenfalls nach den Verhältnissen des Jahres 1964 ermittelt wurden. Der Konzeption der Vervielfältiger liegen Reinerträge zugrunde, die unter Berücksichtigung pauschalierter Bewirtschaftungskosten und Bodenertragsanteile, aufgegliedert nach Grundstücksarten, Baujahrgruppen und Gemeindegrößenklassen, ermittelt worden sind. Die Vervielfältiger können dementsprechend unmittelbar auf die Roherträge angewandt werden und sollen dabei zugleich die altersbedingten Unterschiede zwischen Grund und Boden und Gebäude miterfassen.
2. Die Vorschriften über die Einheitsbewertung waren zwar im Feststellungszeitpunkt 01.01.2009 nicht mehr verfassungsgemäß. Sie dürfen aber auf diesen Zeitpunkt weiter angewandt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Dies gilt auch dann, wenn – wie im Streitfall – das BVerfG die dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Vorschriften zwar rückwirkend für verfassungswidrig erklärt, aber zugleich deren weitere Anwendung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zugelassen hat und der Verwaltungsakt deshalb nicht aufzuheben oder zu ändern ist (BFH, Beschl. v. 18.03.1994 – III B 543/90 – BStBl II 1994, 473). Diese Beurteilung steht im Einklang mit der Entscheidung des BVerfG (Urt. v. 10.04.2018 – 1 BvL 11/14 u.a. – DStR 2018, 791), das die mit den Verfassungsbeschwerden 1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12 angegriffenen Entscheidungen des BFH (Beschl. v. 18.01.2011 – II B 74/10 und v. 24.02.2012 – II B 110/11) sowie die vorangegangenen finanzgerichtlichen Urteile einschließlich der getroffenen Kostenentscheidungen zulasten der Beschwerdeführer trotz des festgestellten Verfassungsverstoßes unverändert bestehen ließ.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die Bewertung bebauter Grundstücke erfolgt abhängig von der Grundstücksart (§ 75 BewG) im Regelfall im Ertragswertverfahren. Das Ertragswertverfahren gilt nach § 76 Abs. 1 BewG für Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke, gemischtgenutzte Grundstücke, Einfamilien- und Zweifamilienhäuser. Die Höhe des Einheitswerts basiert gemäß § 78 Satz 1 BewG auf dem Grundstückswert, der den Bodenwert, den Gebäudewert und den Wert der Außenanlagen umfasst. Der Grundstückswert ergibt sich nach § 78 Satz 2 BewG durch Anwendung eines im Anhang zum BewG enthaltenen Vervielfältigers auf die zu erzielende Jahresrohmiete, die nach den Wertverhältnissen von 1964 bestimmt wird, unter Berücksichtigung gewisser pauschaler Ermäßigungen und Erhöhungen (§§ 81 und 82 BewG). Durch diese Bewertungsmethode soll in einem vereinfachten, typisierten Verfahren der Bodenwert wie auch der Gebäudewert in einem Rechenschritt ermittelt und so der gemeine Wert, also der Verkehrswert, des jeweiligen Grundstücks annähernd abgebildet werden.
Die maßgebliche Jahresrohmiete richtet sich gemäß § 79 Abs. 1 BewG vorrangig nach der für das Grundstück aufgrund vertraglicher Vereinbarungen im Hauptfeststellungszeitpunkt gezahlten tatsächlichen Miete. Unmittelbar anwendbar ist diese Vorgabe nur für Grundstücke, die im Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 bereits vermietet waren. Andernfalls bestimmt sich die Jahresrohmiete gemäß § 79 Abs. 2 BewG nach der üblichen Miete.
II. Die übliche Miete ist nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird. Maßgeblich bleiben für die Höhe der Miete immer die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 (§§ 27, 79 Abs. 5 BewG). Zur Ermittlung der üblichen Miete ziehen die Finanzbehörden überwiegend Mietspiegel heran, die regelmäßig nach Baujahren, mietpreisrechtlichen Gegebenheiten, Ausstattungsgruppen und Gemeindegrößen gegliederte Quadratmeter-Mieten zum Stand vom 01.01.1964 ausweisen. Die Heranziehung dieser auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 aufgestellten Mietspiegel für die Schätzung der üblichen Miete gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG auf diesen Zeitpunkt ist zulässig, wenn eine Schätzung der üblichen Miete im unmittelbaren Vergleich daran scheitert, dass nach Art, Lage und Ausstattung vergleichbare vermietete Objekte am 01.01.1964 nicht oder nicht in hinreichender Zahl vorhanden waren und die Mietspiegel in ihren Aufgliederungen nach Mietpreisregelungen und den anderen gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG maßgebenden Kriterien (insbesondere Baujahr und Ausstattung) den vom Gesetz gestellten Anforderungen für die Schätzung der üblichen Miete entsprechen (BFH, Urt. v. 04.03.1999 – II R 106/97 – BStBl II 1999, 519).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Berechnung des Einheitswerts für neu entstandene Objekte nach dem Ertragswertverfahren ist in vielen Fällen schwierig, weil hierfür regelmäßig die übliche Miete zum 01.01.1964 maßgebend ist. Die Feststellung bzw. Schätzung der zu diesem Zeitpunkt üblichen Miete ist, wenn vergleichbare Objekte oder geeignete Schätzungsgrundlagen fehlen, wegen der damit verbundenen Unsicherheiten streitanfällig, auch wenn der Einheitswert nur noch für die Grundsteuer von Bedeutung ist und die steuerlichen Auswirkungen im Verhältnis zu anderen Steuern eher gering sind. Der Gesetzgeber muss zwar die Bewertung spätestens bis zum 31.12.2019 neu regeln; im Hinblick auf die vorzunehmende Neubewertung aller Objekte ist jedoch davon auszugehen, dass die „alten“ Einheitswerte noch bis zum 31.12.2024 gelten werden.

Maßgebliche Mieten im Ertragswertverfahren
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