Nachfolgend ein Beitrag vom 17.12.2018 von Fritze, jurisPR-InsR 25/2018 Anm. 5
Leitsatz
Die Annahme einer Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern ist bezogen auf einen Bewertungsstichtag im Mai 2013 nicht zu beanstanden.
A. Problemstellung
Für die Festsetzung und die Überprüfung einer Abfindungszahlung bei einem Squeeze-out ist eine umfangreiche Unternehmensbewertung vorzunehmen. Fraglich war im vorliegenden Fall zum einen die Höhe der dabei angesetzten Marktrisikoprämie u.a. im Hinblick auf die zurückliegende Finanzkrise und ihre Auswirkungen, widerstreitende Gutachterberechnungen und die Frage, ob die landgerichtliche Bewertung des Anspruchs von den Annahmen und Ergebnissen der Gutachter abweichen kann und wenn ja, mit welchen Gründen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragsgegnerin hatte eine Mehrheit von 98,47% an einer international agierenden IT-Dienstleistungsgesellschaft mit einer Marktkapitalisierung von ca. 30 Mio. Euro durch Zukäufe und Übernahmeangebot erlangt und schließlich im Oktober 2012 ein Erwerbsangebot i.H.v. 10,80 Euro/Aktie abgegeben und den Squeeze-out beantragt. Dieser wurde von der Hauptversammlung am 23.05.2013 auf dieser Grundlage beschlossen. Der von der Antragsgegnerin beauftragte Gutachter hatte den Wert der Aktien mit 10,39 bzw. bei einer Nachbewertung mit 10,76 Euro berechnet. Dabei hatte er ambitionierte Umsatz- und Ertragsziele, nach Vergleich mit einer Peer Group einen β-Faktor von 1,05 sowie Zinsansätze von 2,25% Basis vor Steuern und 5,5% Marktrisikoaufschlag nach Steuern zugrunde gelegt. Letzteres hatte er entsprechend der Empfehlung des IDW-Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtshaft (FAUB) vom 19.09.2012 (FN-IDW 2012, 568 f.) angenommen. Der Durchschnittspreis der Aktie in den letzten drei Monaten vor dem Erwerbsangebot lag bei 10,25 Euro. Die vom Landgericht nach § 327 Abs. 2 Satz 2 AktG als sachverständige Prüferin bestellte WP-Gesellschaft bestätigte die Angemessenheit dieser Barabfindung, nachdem sie Sensitivitätsanalysen und weitere Berechnungen vornahm, bei denen sie schließlich selbst einen Wert von 10,65 Euro/Aktie errechnete. Der Übertragungsbeschluss wurde am 17.06.2013 in das Handelsregister eingetragen und anschließend bekannt gemacht.
Die Antragssteller griffen die Barabfindung als zu gering an, insbesondere hielten sie die Abzinsfaktoren und namentlich auch die angesetzte Marktrisikoprämie von 5,5% für zu hoch. Das Landgericht hatte die sachverständige Prüferin Alternativrechnungen mit abweichenden Zinsansätzen durchführen lassen und schließlich eine höhere Barabfindung auf Basis eines β von 0,91 (unlevered), einer Marktrisikoprämie von 4,5% nach Steuern sowie dem von der sachverständigen Prüferin in ihrer Stichtagserklärung ermittelten, ungerundeten Basiszinses von 2,33% und im Ergebnis 15,83 Euro/Aktie festgesetzt. Das Landgericht bezog sich dabei auf einen Beschluss des LG Frankfurt vom 25.11.2014 (3-05 O 43/13) und schlussfolgerte, dass die Marktrisikoprämie „in der Regel“ mit 4,5% nach Steuern angesetzt werden könne. Entgegen der Empfehlung des FAUB, so das Landgericht, rechtfertige die Finanzkrise keine Erhöhung der Risikoprämie, schließlich handele es sich auch nur um einen „vergleichsweise kurzfristigen wirtschaftlichen Abschwung“. Dementsprechend dürfe auch der Betafaktor nicht zu sehr im Lichte der aktuellen Entwicklung, sondern langfristiger und auf breiterer Basis und damit im Ergebnis niedriger berechnet werden, nur dies sei angemessen.
Das OLG Düsseldorf hat allein der Antragsgegnerin Recht gegeben und die Erhöhung der Barabfindung durch das Landgericht nicht zugelassen.
Für die vorgenommenen Korrekturen der Gutachtenwerte durch das Landgericht sei kein Raum, es fehle an einer stichhaltigen Begründung für eine Abweichung von den anerkannten Empfehlungen des FAUB als Expertenauffassung. Auch in der Literatur würden höhere Abzinsungsfaktoren vertreten (z.B. Wagner/Mackenstedt/Schieszl/Lenckner/Willershausen, WPg 2013, 948, 959, unter Bezugnahme u.a. auf die Niedrigzinsphase), die Unsicherheit der Märkte sei auch an einem gestiegenen bzw. stark veränderlichen VDAX (Volatilitätsindex) ablesbar gewesen. Der Ansatz einer Marktrisikoprämie i.H.v. 5,5% sei daher nicht zu beanstanden, ebenso die anderen Faktoren wie z.B. der berechnete und zunächst angesetzte β. Im Gegenteil seien keine Gründe für ein Abweichen von der Expertenmeinung und im Ergebnis von der zunächst angesetzten Abfindung um rechnerisch immerhin 46% zu sehen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung zeigt, dass die Gerichte bei vertieften Bewertungsfragen betriebswirtschaftlicher Art bzw. bei Unternehmensbewertungen mit einer komplexen Aufgabe konfrontiert sind. Letztlich läuft es auf eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO hinaus, wobei die Methodik in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannt und in der Praxis gebräuchlich sein und das Gericht insgesamt überzeugen muss (vgl. BGH, Beschl. v. 12.01.2016 – II ZB 25/14 Rn. 31; BGH, Beschl. v. 29.09.2015 – II ZB 23/14 Rn. 30 ff., 41 ff.).
Das OLG Düsseldorf knüpft mit seiner Entscheidung an die eigene Rechtsprechung und die des OLG Frankfurt an, die sämtlich prinzipiell die Empfehlungen des IDW als Expertenmeinung heranziehen (vgl. o.g. Vorlagebeschluss des Senats v. 28.08.2014 – I-26 W 9/12 Rn. 96 sowie z.B. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.01.2017 – 21 W 75/15, und OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.01.2016 – 21 W 70/15). Selbst der vom Landgericht zitierte Beschluss des LG Frankfurt vom 25.11.2014 (3-05 O 43/13) elaboriert umfassend die Schwierigkeit der Festsetzung der Marktrisikoprämie durch das Gericht und die unterschiedlichen Auffassungen in der betriebswirtschaftlichen Literatur; letztlich hatte das Gericht hier festgestellt, dass es im konkret zu entscheidenden Fall auf den Vorerwerbspreis abstellen wolle, weil die Abfindung nicht unter dem vom Mehrheitsgesellschafter selbst gezahlten Preis liegen sollte.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass IDW-Empfehlungen als robuste Grundlage für den Bewertungsansatz angesehen werden können, aber stets für den Einzelfall adaptiert und argumentativ ausgefüllt werden müssen. Die Entscheidungen über zugrunde gelegte Unternehmenswerte bzw. Anteilswerte und folglich auch von Abfindungsansprüchen werden gerade auch im Hinblick auf die tendenziell großen Streitsummen gerichtlicher Einzelentscheidung zugeführt werden. Die Argumentation der Parteien ist ebenso komplex wie die Urteilsfindung, zumal sowohl die ökonomische Methodik als vor allem auch die Marktdaten als Grundlage für die Bewertung einer ständigen Entwicklung unterliegen. Die Bewertung bleibt eine disziplinenübergreifende Aufgabe.
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