Nachfolgend ein Beitrag vom 14.11.2016 von Brandt, jurisPR-SteuerR 46/2016 Anm. 2

Leitsatz

Löst ein Steuerpflichtiger mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die von ihm gebildete Ansparabschreibung für die geplante Anschaffung eines Wirtschaftsguts nicht spätestens durch Ansatz einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung für den zweiten auf die Bildung folgenden Veranlagungszeitraum auf, so kann das Finanzamt den erklärungsgemäß für jenes Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid nicht nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Hinweis auf das spätere Bekanntwerden der Nichtanschaffung des Wirtschaftsguts ändern. Denn die Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und daher insoweit keine rechtserhebliche Tatsache.

A. Problemstellung

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2006 zwecks Korrektur der unterlassenen Auflösung einer Ansparabschreibung nebst Gewinnzuschlag gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Arzt. Seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). In seiner Gewinnermittlung für das Jahr 2004 hatte der Kläger eine Betriebsausgabe in Höhe von 25.500 Euro mit dem Zusatz „Zuführung Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG“ erfasst. Diese Ansparabschreibung löste er weder im Jahr 2005 noch im Streitjahr auf, was sowohl bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das Streitjahr als auch in dem Einkommensteueränderungsbescheid 2006 unbeachtet blieb. Erst im Rahmen bei Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2008 stellte das Finanzamt fest, dass die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung nicht aufgelöst worden war. Das Finanzamt erließ daraufhin am 30.03.2010 gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2006, in dem es die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit des Klägers um 28.560 Euro (25.500 Euro Auflösung Ansparabschreibung zzgl. 3.060 Euro Gewinnzuschlag) erhöhte. Auf die dagegen nach erfolglosem Einspruch anhängig gemachte Klage hob das FG Berlin-Brandenburg den Änderungsbescheid auf, weil die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht gegeben seien.
Der BFH hat die vom Finanzamt angefochtene vorinstanzliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt, im rechtlichen Ausgangspunkt aber – anders als das Finanzgericht – schon in der Nichtauflösung der Ansparabschreibung keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gesehen. Danach ist die Nichtauflösung der Ansparabschreibung keine entscheidungserhebliche Tatsache, weil der bei Gewinnermittlung durch Überschussrechnung nach § 7g Abs. 6 EStG (in der für das Streitjahr 2006 geltenden Fassung) in entsprechender Anwendung des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG gebotene Ansatz einer Betriebseinnahme in Höhe der nach zwei Jahren noch bestehenden Ansparabschreibung durch das Gesetz allein wegen Zeitablaufs, nicht aber wegen Nichtinvestition angeordnet war.

C. Kontext der Entscheidung

I. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache in diesem Sinne ist nach der BFH-Rechtsprechung alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind dagegen Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (BFH, Urt. v. 19.02.2013 – IX R 24/12 – BStBl II 2013, 484, m.w.N.; Anm. Dötsch, jurisPR-SteuerR 21/2013 Anm. 2; BFH, Beschl. v. 26.06.2014 – VI R 94/13 – BStBl II 2014, 864; Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 40/2014 Anm. 2). Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte (z.B. BFH, Urt. v. 13.01.2011 – VI R 61/09 – BStBl II 2011, 479; Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 20/2011 Anm. 2). Die Tatsache muss für die auf § 173 AO gestützte Korrektur erheblich sein.
II. Ob die „Nichtanschaffung“ jener Wirtschaftsgüter, für die der Kläger die Ansparabschreibung im Jahr 2004 gebildet hatte, bei Anwendung des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG eine rechtserhebliche Tatsache oder dies mit dem BFH zu verneinen ist, bestimmt sich nach den Tatbestandsvoraussetzungen für die Auflösung einer Ansparabschreibung, die nach § 7g Abs. 6 EStG entsprechend auch für eine Auflösung im Rahmen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gelten.
Eine gemäß § 7g Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG gebildete Ansparabschreibung ist i.H.v. 40% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend aufzulösen, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (§ 7g Abs. 4 Satz 1 EStG). Ist die Rücklage am Ende des zweiten auf die Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gewinnerhöhend aufzulösen (§ 7g Abs. 4 Satz 2 EStG) und der Gewinn für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6% des aufgelösten Rücklagebetrages zu erhöhen (§ 7g Abs. 5 EStG). Danach sieht der Tatbestand des § 7g Abs. 4 EStG die Auflösung einer Ansparabschreibung vor, wenn für das begünstigte Wirtschaftsgut bei planmäßiger Investition Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (Satz 1) sowie nach Satz 2 der Regelung – zwingend – dann, wenn die Investitionsfrist abgelaufen und die Rücklage dann noch vorhanden ist. Auf die „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes oder andere tatsächliche Umstände kommt es danach nicht an, weil zu diesem Zeitpunkt die noch vorhandene Ansparabschreibung unabhängig davon gewinnerhöhend aufzulösen ist, ob die begünstigten Anlagegüter später angeschafft oder hergestellt worden sind, die Investition geringer ausgefallen ist als geplant oder gar völlig ausbleibt (z.B. BFH, Beschl. v. 31.03.2008 – VIII B 212/07 – BFH/NV 2008, 1322).

D. Auswirkungen für die Praxis

Mit der Entscheidung hat der BFH nunmehr in Abweichung von der überwiegenden Rechtsprechung der Finanzgerichte (FG Münster, Urt. v. 18.01.2012 – 11 K 2552/10 E – EFG 2012, 1271; FG Stuttgart, Urt. v. 29.01.2008 – 4 K 123/06 – EFG 2008, 662; FG München, Urt. v. 21.05.2014 – 8 K 3645/12; FG Nürnberg, Urt. v. 30.07.2015 – 4 K 638/14 – EFG 2015, 1897; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 07.05.2015 – 10 K 10167/11 – EFG 2015, 1451, Revision beim BFH anhängig unter dem Az. X R 21/15) Klarheit geschaffen, dass die Nichtanschaffung des Wirtschaftsguts im Anwendungsbereich des § 7g Abs. 4 EStG keine nachträglich bekannt werdende Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist und folglich eine Änderung von Steuerbescheiden zuungunsten der Steuerpflichtigen nicht rechtfertigen kann.
Die Entscheidung macht auch den wesentlichen Unterschied der Regelung zu den §§ 6b, 6c EStG deutlich, nach denen die unterlassene Auflösung eines Gewinnabzuges – wie der BFH mit Urt. v. 10.04.1997 – IV R 47/96 – BFH/NV 1997, 757 entschieden hat – eine nachträglich bekannt werdende Tatsache sein kann, weil die Auflösung, anders als im Fall des § 7g Abs. 4 EStG, nicht zwangsläufig mit Ablauf der Investitionsfrist im Streitjahr vorzunehmen, sondern davon abhängig ist, dass der Steuerpflichtige bei Fristablauf weder Reinvestitionen vorgenommen noch mit der Errichtung eines Gebäudes auf einem seiner Grundstücke begonnen hatte, mithin also die Pflicht zur Auflösung des Gewinnabzuges nicht allein vom Fristablauf abhängig ist.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Entscheidung hatte sich auch darüber zu verhalten, ob nicht schon die fehlende Berücksichtigung einer entsprechenden Betriebseinnahme in der Gewinnermittlung – wegen Ablaufs der Investitionsfrist – eine nachträglich bekanntgewordene rechtserhebliche Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sein könnte. Dies hat der BFH allerdings gleichermaßen verneint, weil der Ansatz einer solchen Betriebseinnahme für die Entstehung des Gewinns ohne Bedeutung ist, weil die Rücklage bereits kraft gesetzlicher Anordnung in § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG im zweiten Jahr nach ihrer Bildung gewinnerhöhend aufzulösen ist und damit die diesbezüglich fehlerhafte Gewinnermittlung für das zweite Jahr nach ihrer Bildung danach keine für die Besteuerung erhebliche Tatsache sein kann.