Nachfolgend ein Beitrag vom 19.10.2015 von Loose, jurisPR-SteuerR 42/2015 Anm. 5

Leitsätze

1. Ein Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG setzt u.a. voraus, dass der begünstigte Erwerber nach dem Erbfall die in einem bebauten Grundstück i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG befindliche Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmt. Dazu muss der Erwerber innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung der Wohnung fassen und durch den Einzug in die Wohnung tatsächlich umsetzen.
2. Erwirbt ein Miterbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses das Alleineigentum an einem Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG oder an einem zu Wohnzwecken vermieteten Grundstück i.S.d. § 13c Abs. 3 ErbStG, erhöht sich sein begünstigtes Vermögen unabhängig davon, ob die Vereinbarung über die Erbauseinandersetzung zeitnah, d.h. innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt.

A. Problemstellung

Streitig war die Gewährung der Steuerbefreiung von der Erbschaftsteuer für ein Familienheim und ein zu Wohnzwecken vermietetes Grundstück im Fall der Erbauseinandersetzung, wenn diese nicht unmittelbar im Anschluss an den Erbfall erfolgt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war neben seiner Schwester zur Hälfte Miterbe des am 24.12.2010 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörte neben weiteren Grundstücken ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück. Eine Wohnung in dem Zweifamilienhaus wurde von dem Vater und der Schwester gemeinsam und nach dem Tod des Vaters zunächst von der Schwester alleine genutzt. Ende 2011 zog der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau in diese Wohnung ein. Die andere Wohnung in dem Gebäude war fremdvermietet.
Mit Erbauseinandersetzungs- und Grundstücksübertragungsvertrag vom 23.03.2012 hoben der Kläger und seine Schwester die aus ihnen bestehende Erbengemeinschaft in der Weise auf, dass der Kläger das mit dem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück und die Schwester die anderen Grundstücke jeweils als Alleineigentümer erhielten.
Das Finanzamt setzte gegen den Kläger Erbschaftsteuer fest, wobei die Steuerbefreiungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für die selbst genutzte Wohnung und nach § 13c ErbStG für die vermietete Wohnung entsprechend der Beteiligung des Klägers als Miterbe jeweils nur vom hälftigen Wert des Grundstücks berechnet wurden. Der Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, die Steuerbefreiungen seien wegen seines Alleineigentums von dem gesamten Grundstückswert zu gewähren, blieb ohne Erfolg. Im Klageverfahren gab das Finanzgericht dem Kläger Recht (FG Hannover, Urt. v. 26.09.2013 – 3 K 525/12 – EFG 2013, 2032). Die Revision des Finanzamtes hatte keinen Erfolg.
Nach Ansicht des BFH hat das Finanzgericht zutreffend entschieden, dass sich das nach den §§ 13 Abs. 1 Nr. 4c und 13c ErbStG steuerbefreite Vermögen des Klägers aufgrund des bei der Erbauseinandersetzung erworbenen Alleineigentums erhöht und die Steuerbefreiungen ausgehend vom gesamten Wert dieses Grundstücks zu berücksichtigen sind. Die selbstgenutzte Wohnung im Grundstück erfülle die Voraussetzungen eines Familienheims. Der Kläger habe die Wohnung unverzüglich nach dem Ableben des Vaters zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, denn er sei mit seiner Ehefrau Ende 2011 in die Wohnung eingezogen. Das Finanzgericht habe festgestellt, dass die Selbstnutzung erst zu diesem Zeitpunkt habe erfolgen können. Diese Würdigung sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen habe auch das Finanzamt für den von Todes wegen erworbenen Anteil des Klägers die Steuerbegünstigung für ein Familienheim gewährt; es ist also ersichtlich davon ausgegangen, dass eine unverzügliche Bestimmung der Wohnung zur Selbstnutzung vorliegt. Unmaßgeblich sei, dass die Vereinbarung über die Erbauseinandersetzung erst nach Ablauf von ca. 15 Monaten nach dem Erbfall abgeschlossen worden sei. Aufgrund der Vereinbarung sei dem Kläger auch hinsichtlich der vermieteten Wohnung die Steuerbegünstigung nach § 13c ErbStG zu gewähren.
C. Kontext der Entscheidung
Der Streitfall bildet einen in vielen Erbfällen typischen Sachverhalt ab. Zum Nachlass gehörten mehrere Grundstücke, von denen eins mit einem teilweise selbstgenutzten Gebäude bebaut war. Nach dem Tod des Erblassers treffen dessen Kinder eine Vereinbarung über die Aufteilung der Grundstücke. Sie erzielen Einigkeit darüber, wer von beiden das bislang vom Vater genutzte Gebäude zukünftig selbst nutzen werde. Erbschaftsteuerlich ist der Sachverhalt in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen stellt sich die Frage, ob der Kläger nach der Auseinandersetzung mit seiner Schwester die Steuerbegünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für das selbstgenutzte Familienheim in Anspruch nehmen kann. Zum anderen stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Wertabschlag nach § 13c ErbStG zwischen Erben aufgeteilt werden kann.
Nach dem sperrigen Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ist u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem bebauten Grundstück durch Kinder oder Enkel des Erblassers steuerfrei, soweit der Erblasser dort bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat und der Erwerber das Haus unverzüglich selbst nutzt. Die Steuerbefreiung gilt nur, soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Überträgt ein Erbe erworbenes begünstigtes Vermögen im Rahmen der Teilung des Nachlasses auf einen Dritten und gibt der Dritte dabei diesem Erwerber nicht begünstigtes Vermögen hin, das er vom Erblasser erworben hat, erhöht sich insoweit der Wert des begünstigten Vermögens des Dritten um den Wert des hingegebenen Vermögens, höchstens jedoch um den Wert des übertragenen Vermögens (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG).
Miterben können also begünstigtes und nichtbegünstigtes Vermögen aufteilen. Die Regelung ermöglicht einen Begünstigungstransfer beim Erwerber von begünstigtem Vermögen (Kobor in: Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 5. Aufl., § 13 Rn. 43; Steiner, ErbStB 2009, 123, 128; St. Viskorf/Haag, DStR 2012, 219, 223). In diesem Fall erhöht sich dann der Wert des begünstigten (steuerbefreiten) Vermögens. Der Dritte, der für den Erwerb des begünstigten Vermögens anderes aus demselben Nachlass stammendes Vermögen hingibt, soll so gestellt werden, als habe er von Anfang an begünstigtes Vermögen erhalten (BT-Drs. 16/11107, S. 9). Entsprechendes gilt auch, wenn ein Erbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses seinen erworbenen Anteil am begünstigten Vermögen auf einen Miterben überträgt (BT-Drs. 16/11107, S. 9); der Miterbe wird so behandelt, als habe er insoweit von Anfang an begünstigtes Vermögen erhalten.
Die Erhöhung des Werts des begünstigten Vermögens nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG beim Dritten ist von mehreren Voraussetzungen abhängig: Zum einen muss ein Erbe begünstigtes Vermögen, das er vom Erblasser erworben hat, auf einen Dritten übertragen. Dritter in diesem Sinne ist auch ein Miterbe (Steiner, ErbStB 2009, 123, 128). Begünstigtes Vermögen ist das Eigentum an einem Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG. Des Weiteren muss der Dritte (Miterbe) dem Erben (Miterben) nicht begünstigtes, vom Erblasser erworbenes Vermögen übertragen. Nicht begünstigtes Vermögen sind diejenigen Vermögensgegenstände, für deren Erwerb vom Erblasser dem Dritten (Miterben) keine Steuerbefreiung für ein Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zusteht. Dazu gehören z.B. Bankguthaben, aber auch zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke. Ob Vermögen begünstigt oder nicht begünstigt ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen beim Dritten, der im Rahmen der Nachlassteilung Vermögensgegenstände erwirbt. Schließlich muss der Erwerb eine Wohnung betreffen, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung bestimmt ist (Familienheim). Letzteres war streitig, da der Kläger erst 15 Monate nach dem Erbfall die zuvor vom Vater genutzte Wohnung selbst genutzt hat.
Eine Wohnung ist zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht hat, die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetzt (Kobor in: Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 13 Rn. 42). Die Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung des Hauses lässt sich als eine innere Tatsache nur anhand äußerer Umstände feststellen. Dies erfordert, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt (vgl. Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13 Rn. 70; Viskorf, ErbStG/BewG, 4. Aufl., § 13 ErbStG Rn. 73; Geck in: Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13 Rn. 40.7; Meincke, ErbStG, 16. Aufl., § 13 Rn. 28). Die Wohnung muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmt werden (Jochum in: Wilms/Jochum, ErbStG, § 13 Rn. 91, 83; Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13 Rn. 70; Viskorf, ErbStG/BewG, § 13 ErbStG Rn. 73). Der BFH orientiert sich hier an der Definition des BGH. Danach erfolgt eine Handlung unverzüglich nur, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen wird (BGH, Urt. v. 28.06.2012 – VII ZR 130/11 – NJW 2012, 3305, m.w.N.). Auf die streitige Steuerbefreiungsnorm angewandt bedeutet dies, dass ein Erwerber zur Erlangung der Steuerbefreiung für ein Familienheim innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und tatsächlich umsetzen muss.
Zieht der Erwerber innerhalb von sechs Monaten in die Wohnung ein, kann nach Ansicht des BFH in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine unverzügliche Bestimmung der Wohnung zur Selbstnutzung als Familienheim vorliegt. Dieser Regel liegt die Überlegung zugrunde, dass dem Erwerber eine gewisse Zeit einzuräumen ist, damit er prüfen kann, ob er in die Wohnung einziehen möchte. Hat er den Entschluss zum Einzug gefasst, benötigt er weitere Zeit für eine eventuelle Renovierung bzw. Gestaltung der Wohnung für eigene Wohnzwecke sowie für die notwendige Durchführung des Umzugs. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint dem BFH ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten nach dem Erbfall als erforderlich.
Nutzt der Erwerber die Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten selbst, kann ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Solche Gründe können z.B. vorliegen, wenn sich der Einzug wegen einer Erbauseinandersetzung zwischen Miterben oder wegen der Klärung von Fragen zum Erbanfall und zu den begünstigten Erwerbern über den Sechsmonatszeitraum hinaus um einige weitere Monate verzögert. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss. Es gilt die klare Regel: Je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist, umso höhere Anforderungen sind an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke zu stellen.
Sind die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, kommt es nicht darauf an, wann der Begünstigungstransfer nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG stattfindet. Eine zeitliche Nähe zum Erbfall ist für die Teilung des Nachlasses nämlich nicht vorgeschrieben. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung kann deshalb bei einer freien Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften eine Begünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG auch zu gewähren sein, wenn die Auseinandersetzungsvereinbarung nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall geschlossen wird (entgegen H E 13.4 „Freie Erbauseinandersetzung“ Hinweise zu den ErbStR 2011).
Die Regelungen in § 13c Abs. 2 Sätze 1 bis 3 ErbStG zum verminderten Wertansatz eines zu Wohnzwecken vermieteten Grundstücks entsprechen den Bestimmungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4c Sätze 2 bis 4 ErbStG zur Steuerbefreiung für ein Familienheim. Aus diesem Grund ist eine Erhöhung des Werts des begünstigten Vermögens nach § 13c Abs. 2 Satz 3 ErbStG auch dann möglich, wenn bei einer aus zwei Miterben bestehenden Erbengemeinschaft ein Miterbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses das Alleineigentum an einem vermieteten Grundstück i.S.d. § 13c Abs. 3 ErbStG, also begünstigtes Vermögen erhält und hierfür dem übertragenden Miterben das Alleineigentum an einem anderen Grundstück überlässt. Das gilt selbst für den Fall, dass das andere Grundstück ebenfalls ein zu Wohnzwecken vermietetes Grundstück i.S.d. § 13c Abs. 3 ErbStG ist. Nach der Überlassung des Grundstücks im Rahmen der Teilung des Nachlasses an einen Miterben kann der überlassende Miterbe die Begünstigung allerdings dann nicht mehr in Anspruch nehmen (§ 13c Abs. 2 Satz 2 ErbStG).
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Streitfall hat erhebliche praktische Bedeutung. Im Hinblick auf das vom Erblasser bis zum Tode selbstgenutzte Haus oder die selbstgenutzte Wohnung gilt es zu klären, ob und wenn ja welcher Miterbe das Haus oder die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken nutzen möchte. Die Steuerbegünstigung für das sog. Familienheim gilt zwar nur für Kinder und Enkel, führt jedoch zu einer vollständigen Befreiung dieses Vermögensteils ohne Anrechnung auf die persönlichen Freibeträge. Der BFH hat diesbezüglich – erneut – auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen.
Für die praktische Anwendung der Norm hat der BFH klare Regeln aufgestellt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Finanzverwaltung diesen Vorgaben anschließen wird. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist die unverzügliche (!) Bestimmung zur Selbstnutzung durch das Kind oder das Enkelkind des Erblassers. Vermutet wird dies seitens des BFH stets innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall. Erfolgt der Einzug zu eigenen Wohnzwecken erst später, schließt das aber nicht automatisch die Anwendung der Steuerbegünstigung aus. In diesem Fall obliegt es jedoch dem Steuerpflichtigen, die Umstände dazulegen und ggf. nachzuweisen, die zu der Verzögerung geführt haben. Je länger der Zeitraum zwischen Erbfall und Einzug, desto größer sind die Anforderungen an die Darlegung und den Nachweis der besonderen Umstände, die zu der Verzögerung geführt haben.