Nachfolgend ein Beitrag vom 14.5.2018 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 19/2018 Anm. 5
Tenor
Art. 131, Art. 146 Abs. 1 Buchst. b sowie die Art. 147 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, nach der im Rahmen einer Ausfuhrlieferung von Gegenständen zur Mitführung im persönlichen Gepäck von Reisenden der steuerpflichtige Verkäufer im vorangegangenen Steuerjahr einen Mindestumsatz erzielt oder einen Vertrag mit einem zur Mehrwertsteuererstattung an Reisende berechtigten Wirtschaftsteilnehmer geschlossen haben muss, entgegenstehen, sofern ihm allein durch die Nichterfüllung dieser Bedingungen die Steuerbefreiung der Lieferung endgültig verwehrt ist.
A. Problemstellung
Der EuGH hat in einem polnischen Vorabentscheidungsersuchen zur Ausgestaltung der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im persönlichen Reisegepäck entschieden. Das Urteil ist von grundsätzlicher Bedeutung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Herr Pienkowski ist ein mehrwertsteuerpflichtiger Unternehmer, der in Polen unter anderem Telekommunikationsgeräte auch an Reisende verkauft, die außerhalb des Unionsgebiets ihren Wohnsitz haben. Für Verkäufe an entsprechende Reisende wurde entweder von Vornherein eine steuerfreie Ausfuhrlieferung angenommen oder später nach Nachweisführung die ursprünglich gezahlte Mehrwertsteuer erstattet. In den Veranlagungszeiträumen 2010 und 2011 verwehrte die zuständige polnische Finanzbehörde Herrn Pienkowski die Anwendung der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen an solche Reisende mit der Begründung, er habe nicht Umsätze in erforderlicher Höhe (nach dem polnischen Mehrwertsteuergesetz: mehr als 400.000 PLN im vorangegangenen Steuerjahr) erzielt und auch nicht wie als Alternative vorgeschrieben einen Vertrag mit einem zur Mehrwertsteuererstattung berechtigten Wirtschaftsteilnehmer geschlossen.
Gegen diese Entscheidung führte Herr Pienkowski ein erstinstanzliches Verfahren. Das zuständige Verwaltungsgericht erklärte jedoch, die strittige polnische Norm stehe im Einklang mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Gegen diese Entscheidung legte Herr Pienkowski Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht ein. Dieses legte dem EuGH die Frage vor, ob Art. 146 Abs. 1 Buchst. b, Art. 147 sowie Art. 131 und 273 MwStSystRL den nationalen Regelungen entgegenstehen, welche zum einen die Steuerbefreiung ausschließen, wenn eine Umsatzgrenze im vorangegangenen Jahr nicht erreicht wurde, und zum anderen, wenn kein Vertrag mit einem zur Mehrwertsteuererstattung an Reisende berechtigten Wirtschaftsteilnehmer geschlossen worden ist.
In seiner Entscheidung verweist der EuGH zunächst auf Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL und führt aus, dass dieser eine Steuerbefreiung bei der Beförderung oder Versendung von Gegenständen in Gebiete außerhalb der Union vorsehe. Vorliegend sei unbestritten, dass entsprechende Lieferungen erfolgt seien und die Gegenstände physisch das Hoheitsgebiet der Union im persönlichen Reisegepäck verlassen haben.
Art. 147 MwStSystRL sehe weitere Voraussetzungen vor. Allerdings seien auch diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt. Weder der Wortlaut des Art. 146 noch der des Art. 147 dieser Richtlinie nenne einen Mindestumsatz im vorangegangenen Steuerjahr als Voraussetzung für die Anwendung der Steuerbefreiung, und ebenso wenig verlange er für Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllten, dass sie einen Vertrag mit einem zu Mehrwertsteuererstattung berechtigten Wirtschaftsteilnehmer geschlossen haben müssten.
Art. 131 MwStSystRL sehe zwar vor, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen definieren dürften, welche zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen und der Verhinderung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehung oder Missbrauch notwendig seien. Auch gestatte Art. 273 MwStSystRL weitere Pflichten vorzusehen, um eine genaue Steuererhebung sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu vermeiden. Allerdings sei nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes bereits geklärt, dass bei der Ausgestaltung entsprechender Regelungen die allgemeinen Rechtsgrundsätze und damit insbesondere die Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit und der Vertrauensschutz zu beachten seien.
Im vorliegenden Fall habe die polnische Regierung vorgetragen, die in Frage stehende nationale Regelung diene entsprechend der Bekämpfung von Steuerumgehung und Steuerhinterziehung. Aus Sicht des Gerichtshofes ist jedoch problematisch, dass die bloße Nichteinhaltung der im polnischen Mehrwertsteuergesetz vorgesehenen Bedingung zur Versagung der Steuerbefreiung bei der Ausfuhr führe, obwohl deren Voraussetzungen nach Art. 146 und Art. 147 MwStSystRL gegeben seien. Der Gerichtshof habe bereits entschieden, dass in solchen Fällen keine Mehrwertsteuer geschuldet werden dürfe und keine Gefahr einer Steuerhinterziehung oder finanzieller Verluste bestehe. Somit sei die polnische Regelung nicht erforderlich, um eine Steuerumgehung und Steuerhinterziehung zu verhindern.
Zusammenfassend entscheidet der EuGH, dass sowohl die Regelung für den Mindestumsatz als auch die alternative Regelung für den Abschluss eines besonderen Vertrages nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehen, sofern sie bei Nichterfüllung zur endgültigen Versagung der Steuerbefreiung führen.
C. Kontext der Entscheidung
Art. 147 MwStSystRL knüpft die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen im persönlichen Reisegepäck an einer Ansässigkeit des Reisenden außerhalb der Gemeinschaft, eine Beförderung an einen Ort außerhalb der Gemeinschaft vor Ablauf des dritten auf die Lieferung folgenden Kalendermonats und schließlich das Überschreiten einer Wertgrenze von 175 Euro einschließlich Mehrwertsteuer. Die letztgenannte Grenze ist dabei eine optionale Regelung, d.h. die Mitgliedstaaten können, müssen dieses Erfordernis jedoch nicht vorsehen.
In Deutschland ist die entsprechende Regelung nunmehr in § 6 Abs. 3a UStG umgesetzt (früher in § 6 Abs. 4 UStG). Dabei verlangt Deutschland keine Wertgrenze für die Lieferung. Zur Anwendung der Regelung und insbesondere der Nachweisführung hat die Finanzverwaltung ausführlich in Abschnitt 6.11 UStAE Stellung genommen. Weiterhin ergingen diverse BMF-Schreiben zu Einzelfragen (letztmalig BMF-Schreiben v. 12.08.2014 – BStBl I 2014, 1202 „Merkblatt“).
Aus deutscher Sicht ist von entscheidender Relevanz neben der Nachweisführung über die tatsächlich fristgerecht erfolgte Ausfuhr der Ware die Aufzeichnung des Wohnorts des Abnehmers im Drittlandsgebiet. Regelmäßig soll dabei auf den Reisepass oder vergleichbare Identitätsdokumente abgestellt werden.
Der EuGH konnte vor ca. zehn Jahren schon einmal in einer Grundsatzentscheidung zu Ausfuhren im Reisegepäck entscheiden. Das entsprechende Verfahren auf Vorlage des BFH betraf allerdings einen Betrugsfall. Betrügerische Abnehmer hatten sich Kassenquittungen einer Supermarktkette angeeignet, ferner einen Ausfuhrzollstempel. Sie legten in der Folge manipulierte Ausfuhrnachweise bei der Supermarktkette vor und begehrten und erhielten Umsatzsteuererstattungen. Nachdem sich später der Betrug herausgestellt hatte, verweigerte die Finanzverwaltung der Supermarktkette die Steuerfreiheit für die Verkäufe. Der EuGH entschied jedenfalls unter den Umständen des Verfahrens, dass die Steuerbefreiung im Wege eines Vertrauensschutzes doch zu gewähren war (EuGH, Urt. v. 21.02.2008 – C-271/06 – UR 2008, 508 „Netto Supermarkt“; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 19/2008 Anm. 6, Nachfolgeentscheidung: BFH, Urt. v. 30.07.2008 – V R 7/03 – BStBl II 2010, 1075; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009 Anm. 6).
Der BFH nahm vor längerer Zeit im Kontext Stellung zu der Frage, ob die Verkäufe eines sogenannten Duty-free-Shops, der im Abflugbereich bzw. Transitbereich eines deutschen Flughafens gelegen war, der deutschen Umsatzsteuer zu unterwerfen waren. Der BFH entschied zunächst, dass die entsprechenden Umsätze im Inland steuerbar waren. Die Anwendung der begehrten Steuerfreiheit scheiterte im Wesentlichen an fehlender Nachweisführung über die Wohnsitze der Kunden (BFH, Urt. v. 03.11.2005 – V R 63/02 – BStBl II 2006, 337; Anm. Eversloh, jurisPR-SteuerR 13/2006 Anm. 6).
Zur Nachweisführung konnte der BFH in der Vergangenheit schon einmal grundlegend Stellung nehmen und ebenfalls entscheiden, dass die entsprechende Beweislast beim verkaufenden Unternehmer liegt (BFH, Urt. v. 14.12.1994 – XI R 70/93 – BStBl II 1995, 515).
Aus der Praxis ist bekannt, dass die Steuerbefreiung für Verkäufe im Reisegepäck problemanfällig ist. Insbesondere entspricht häufig die Nachweisführung der verkaufenden Unternehmen nicht den Anforderungen, weil beispielsweise der Wohnort der Kunden im Drittlandsgebiet nicht eindeutig belegt werden kann. Weiterhin besteht das grundsätzliche Problem, dass der Ausfuhrnachweis erst später geführt werden kann. Der Verkäufer befindet sich somit in einer Risikoposition, wenn er bereits im Verkaufszeitpunkt umsatzsteuerfrei abrechnet. Das übliche Vorgehen besteht daher in einer von zwei alternativen Lösungen.
Zum einen ist es möglich, zunächst mit Umsatzsteuer abzurechnen und die Umsatzsteuer dem Kunden später zu erstatten, wenn die Ausfuhrnachweise vorgelegt werden. In diesem Szenario ist zusätzlich zu beachten, dass eine eventuell ausgestellte Rechnung mit Umsatzsteuerausweis bzw. bei Kleinbetragsrechnungen bereits eine Rechnung mit Angabe des Steuersatzes und Bruttoentgelts grundsätzlich die Rechtsfolge des § 14c UStG nach sich zieht und somit zu berichtigen ist. Die Finanzverwaltung erkennt als Alternative allerdings die Rückgabe der entsprechenden Rechnung zur Beseitigung der Steuerschuld nach § 14c UStG an.
Zum anderen ist es möglich, dass der Verkäufer sich der Unterstützung Dienstleistungen spezialisierter Unternehmen bedient. Diese kümmern sich um die Abwicklung der Nachweisführung und übernehmen normalerweise unmittelbar die Steuererstattung an den Reisenden am Flughafen oder garantieren dem Verkäufer sogar die Möglichkeit des direkten steuerfreien Verkaufs. Im letztgenannten Fall generiert der Verkäufer von vornherein keine Umsatzsteuerrechnung.
D. Auswirkungen für die Praxis
Aus deutscher Sicht ergeben sich keine unmittelbaren Konsequenzen, weil die deutsche Umsetzung der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im persönlichen Reisegepäck keine mit dem polnischen Mehrwertsteuergesetz vergleichbaren Beschränkungen enthält.
Es ist allerdings bekannt, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchaus unterschiedliche Verwaltungsmeinungen und gesetzliche Regelungen für entsprechende Ausfuhren bestehen. Sollten diese im Einzelfall der beanstandeten polnischen Regelung ähnlich sein, wären die Urteilsgrundsätze übertragbar.
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