Nachfolgend ein Beitrag vom 7.5.2018 von Halaczinsky, jurisPR-SteuerR 18/2018 Anm. 4

Leitsätze

1. Der Gesetzgeber hat bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum, solange sie geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abzubilden.
2. Ermöglichen Bewertungsregeln ganz generell keine in ihrer Relation realitätsnahe Bewertung, rechtfertigt selbst die Vermeidung eines noch so großen Verwaltungsaufwands nicht ihre Verwendung. Auch die geringe Höhe einer Steuer rechtfertigt die Verwendung solcher realitätsfernen Bewertungsregeln nicht.
3. Das Aussetzen der im Recht der Einheitsbewertung ursprünglich vorgesehenen periodischen Hauptfeststellung seit dem Jahr 1964 führt bei der Grundsteuer zwangsläufig in zunehmendem Umfang zu Ungleichbehandlungen durch Wertverzerrungen, die jedenfalls seit dem Jahr 2002 weder durch den vermiedenen Aufwand neuer Hauptfeststellungen noch durch geringe Höhe der individuellen Steuerlast noch durch Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt sind.

A. Problemstellung

Die Verfahren betreffen die Frage, ob die für die Erhebung der Grundsteuer maßgebliche Einheitsbewertung des Grundvermögens mit dem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, konkret, ob für Stichtage ab 01.01.2002 überhaupt noch eine Grundsteuer auf Basis der Einheitswerte erhoben werden kann. In mehreren (zusammengefassten) Verfahren (drei BFH-Vorlagen und zwei Verfassungsbeschwerden) ging es vor allem um die Anknüpfung der Einheitswerte an die Wertverhältnisse von Anfang 1964 in den alten Bundesländern.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstand aller Verfahren war letztlich die Frage, ob die betroffenen Grundstückseigentümer überhaupt noch Grundsteuer zahlen müssen, konkret, ob die Grundsteuer mangels verfassungskonformer Bemessung nach den Einheitswerten 1964 noch erhoben werden darf. In der Entscheidung werden Gegenstand und Inhalt der Ausgangsentscheidungen ausführlich dargestellt (A. III.). Dazu entschied das BVerfG:
I. Die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76, 79 Abs. 5, § 93 Abs. 1 Satz 2 BewG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 des Gesetzes zur Änderung des BewG i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes vom 22.07.1970 (BGBl I 1970, 1118) sind, soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 01.01.2002 unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG.
II. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31.12.2019 zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen die beanstandeten Regelungen für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31.12.2024 angewandt werden.
III. Für Kalenderjahre nach Ablauf der Fortgeltungsfristen dürfen auch auf bestandskräftige Bescheide, die auf den als verfassungswidrig festgestellten Bestimmungen des Bewertungsgesetzes beruhen, keine Belastungen mehr gestützt werden.
Im Ergebnis darf die Grundsteuer von den betroffenen Grundstückseigentümern – wie auch von allen anderen Grundstückseigentümern – in den Streitjahren 2002 bis 2009 und noch bis 2024 auf Basis der Einheitswerte 1964 erhoben werden.
Nicht überraschend ist, dass das BVerfG die in den alten Bundesländern geltende Einheitsbewertung des Grundbesitzes 1964 als verfassungswidrig ansieht. Die diesbezüglichen Argumente bedürfen keiner Kommentierung mehr.
C. Kontext der Entscheidung
I. Verfahrensrechtlich führt das BVerfG seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Normenkontrollvorlagen fort. Auch wenn im Einzelfall keine Entscheidung zugunsten des/der Kläger/s erwartet werden kann, ist eine Normenkontrollvorlage in Fällen, in denen die substantiiert behauptete Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes nicht nur isolierbare Einzelpunkte eines Teilbereichs der Steuer betrifft, sondern die gerechte Erhebung der Steuer insgesamt in Frage stellt, zulässig. Für Steuerpflichtige ist die Verfassungswidrigkeit der Normen entscheidungserheblich, auch wenn sie durch einen für sich genommen nicht verfassungswidrigen Tatbestand dieser Steuer betroffen sind, da sie auch ihrer Besteuerung die Grundlage entzieht.
II. Das geltende Recht der Einheitsbewertung zum Zwecke der Erhebung der Grundsteuer ist als Bundesgesetz ergangen. Dafür steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu. Die Gesetzgebungskompetenz für eine Steuer umfasst auch die Kompetenz für die Regelung ihrer Bemessungsgrundlage und der dazu erforderlichen Bewertungsregeln. Das BVerfG lehnt damit die Auffassung der Landesregierung Bayern ab, nach der das derzeit geltende Grundsteuergesetz mit Art. 105 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG n.F. unvereinbar sei, da dem Bund die Gesetzgebungskompetenz fehle.
III. Die relevanten Regelungen der Einheitsbewertung sind nicht nichtig! Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die genannten Normen zur Einheitsbewertung führte lediglich zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm war entsprechend der bisherigen Rechtsprechung regelmäßig geboten, weil der Gesetzgeber bei Verletzungen des Gleichheitssatzes gewöhnlich verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Dies ermöglicht die weitere Anwendbarkeit der bisherigen Einheitsbewertung des Grundbesitzes für einen gewissen Zeitraum.
IV. Das BVerfG lässt dem Gesetzgeber großen Spielraum für die Neuregelung. Es referiert in den Gründen die derzeitigen Reformmodelle, ohne dazu nähere Festlegungen für den Gesetzgeber zu treffen. Die Bundesländer präferieren bisher eine Bemessung auf Grundlage von Bodenrichtwerten und Gebäudewerten (BR-Drs. 515/16). In der Diskussion steht auch eine Bemessung nach den Bodenrichtwerten, d.h. ohne Berücksichtigung der Gebäudewerte (zur Thematik aus der vielfältigen Literatur z.B. Löhr, DStR 2016, 1497; Beck, DStR 2016, 2689; Becker, BB 2011, 535).
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Die Entscheidung hat zunächst unmittelbare Auswirkungen für den Gesetzgeber. Er ist verpflichtet, die Grundsteuer bis 31.12.2019 auf eine neue Bemessungsgrundlage zu stellen. Ab dem 01.01.2025 muss die Grundsteuer dann nach der neuen Bemessungsgrundlage erhoben werden. Würde dies nicht geschehen, könnte ab 2025 keine Grundsteuer mehr erhoben werden!
II. Es bleibt nun Sache der Politik, eine sachgerechte Neuregelung der Bemessungsgrundlagen für die Grundsteuer herbeizuführen.
1. Aufkommensneutralität
Die Bundesländer haben sich für eine „Aufkommensneutralität“ ausgesprochen. Das BVerfG stellt aber klar, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht zur Aufkommensneutralität verpflichtet ist. Er kann über die Gesamthöhe des mit der Steuer zu erzielenden Aufkommens völlig frei entscheiden.
Belässt er es im Grundsatz bei der bisherigen Struktur von Einheitsbewertung und Grundsteuer, kann das Steueraufkommen über den Grundsteuermessbetrag durch den Gesetzgeber und über die Hebesätze durch die Gemeinden bestimmt werden. Aber auch in einem anderen Modell bleibt es dem Gesetzgeber und den nach dem Grundgesetz hebesatzberechtigten Gemeinden (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG) vorbehalten, die Steuerhöhe und damit den Umfang des Steueraufkommens zu regeln. In keinem Fall wird das Gesamtaufkommen durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine in der Relation realitätsgerechte Bemessung der Besteuerungsgrundlagen vorbestimmt.
Es ist – selbst wenn die Politik eine „aufkommensneutrale“ Neuregelung realisieren sollte – jedenfalls davon auszugehen, dass wahrscheinlich ein größerer Teil der Grundstückseigentümer und in Folge auch der Mieter/Pächter durchaus mit einer höheren Grundsteuer belastet werden (können).
2. Spielraum bei der Bewertung und Bemessung der Grundsteuer
Dem Gesetzgeber wird bei den Regeln zur Erfassung der Bemessungsgrundlage ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, der dadurch begrenzt ist, dass die Bemessungsregeln den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation realitätsgerecht abbilden müssen. Dabei ist der Gesetzgeber bei der Grundsteuer ebenso wenig wie bei anderen Steuern gehindert, mithilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen, z.B. selbstgenutzte Familienheime niedriger zu besteuern. Zudem verfügt der Gesetzgeber gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum.
III. Für die Grundstückseigentümer in den alten Bundesländern ändert sich vorerst nichts. Die Grundsteuer kann wie bisher (bis einschließlich 2014) auf Basis der Einheitsbewertung erhoben werden. Alle Einsprüche/Klagen, die u.a. auch gegen die Einheitsbewertung gerichtet sind, sind insoweit unbegründet (geworden).
IV. Die Entscheidung betrifft Grundstückseigentümer in den neuen Bundesländern nicht direkt. Das BVerfG weist aber darauf hin, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte auf die Beurteilung der für die neuen Bundesländer geltenden Vorschriften zur Einheitsbewertung des Grundbesitzes übertragen werden könnten. Im Ergebnis kann davon ausgegangen werden, dass auch in den neuen Bundesländern die Grundsteuer vorerst (bis einschließlich 2014) weiterhin wie bisher bemessen und erhoben werden kann.
Verfassungswidrigkeit der Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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