Nachfolgend ein Beitrag vom 9.4.2018 von Steinhauff, jurisPR-SteuerR 14/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Der Erbe tritt sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein und schuldet die Einkommensteuer als Gesamtschuldner in der Höhe, in der sie durch die Einkünfteerzielung des Erblassers entstanden ist.
2. Auch eine wegen Demenz des Erblassers unwirksame Einkommensteuererklärung führt – ist sie unrichtig oder unvollständig – zu einer Berichtigungspflicht des Erben nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AO, bei deren Verletzung eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen vorliegen kann.
3. Die Berichtigungspflicht des Erben nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AO wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass er bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis davon hatte, dass dessen Steuererklärung unrichtig ist.
4. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 1. Halbsatz AO tritt auch dann ein, wenn der als Gesamtschuldner in Anspruch genommene Erbe keine Kenntnis von der Steuerhinterziehung eines Miterben hat.
5. Jedem Erben steht die Möglichkeit zu, sich nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 AO zu exkulpieren.
A. Problemstellung
Das Finanzgericht hatte die Revision der Frage der Zurechnung einer Steuerhinterziehung eines Gesamtrechtsnachfolgers bei einem anderen Gesamtrechtsnachfolger im Rahmen des § 153 Abs. 1 Satz 2 AO wegen einer fehlenden abschließenden höchstrichterlichen Klärung zugelassen. Der BFH hat nunmehr klargestellt, dass die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht voraussetzt, dass der in Anspruch genommene Gesamtrechtsnachfolger selbst eine Steuerhinterziehung begangen hat oder von dieser gewusst hat. Entscheidend ist, dass es sich objektiv um hinterzogene Beträge handelt. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an.
Des Weiteren hat der BFH den im Schrifttum streitigen Anwendungsbereich des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO dahingehend klargestellt, dass sich die Berichtigungspflicht nicht nur auf Steuererklärungen, sondern auch auf sämtliche Erklärungen des Steuerpflichtigen, die Einfluss auf die Höhe der festgesetzten Steuer gehabt haben, erstreckt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist gemeinsam mit C Gesamtrechtsnachfolgerin der im Jahre 2000 verstorbenen W. Der Beigeladene ist als Gesamtrechtsnachfolger der nach dem Erbfall verstorbenen C in die Erbengemeinschaft eingetreten. Der Klägerin wurde von der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung mit Schreiben vom 21.03.2005 mitgeteilt, dass gegen sie als Gesamtrechtsnachfolgerin der W ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle im Bericht vom 26.03.2007 hatte W in den Jahren 1993 bis 1999 Kapitaleinkünfte im Ausland erzielt, die sie nicht in ihren Einkommensteuererklärungen angegeben hatte.
Die Steuererklärungen der W waren unter Beteiligung von C gefertigt und beim beklagten Finanzamt abgegeben worden. Das Finanzamt legte die von der Steuerfahndung ermittelten Zinserträge für die Streitjahre 1993 bis 1999 mit jeweils am 30.04.2007 geänderten Einkommensteuerbescheiden der Besteuerung zugrunde. Für das Streitjahr 1991 erhöhte es mit Änderungsbescheid vom 30.04.2007 die Einkommensteuer wegen des entfallenden Verlustrücktrags.
Aufgrund der Vorlage einer Bankbescheinigung über die von W in den Jahren 1997 bis 1999 erzielten Zinserträge änderte das Finanzamt auf den Einspruch der Klägerin die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1997 bis 1999 jeweils am 13.08.2009 und setzte die Einkommensteuer herab. Für die übrigen Jahre verblieb es bei den Bescheiden vom 30.04.2007. Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 23.10.2009 zurückgewiesen.
Das Finanzgericht gab der Klage für die Streitjahre 1993 bis 1996 teilweise statt und wies die Klage für die Streitjahre 1991 und 1997 bis 1999 als unbegründet zurück (FG Kassel, Urt. v. 30.07.2015 – 13 K 2871/09 – EFG 2016, 523, m. Anm. Kühnen). Am 25.09.2015 erließ das Finanzamt geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1995 und 1996.
Der Klägervertreter hat im Rahmen des von der Klägerin eingeleiteten Revisionsverfahrens ärztliche Atteste vorgelegt, die bescheinigen, dass die Klägerin zwischenzeitlich selbst dement ist. Einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO hat er nicht gestellt.
Der BFH hat die Revision der Klägerin hinsichtlich der Streitjahre 1991, 1993 und 1994 als unzulässig verworfen und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Er hat zur Begründung u.a. ausgeführt:
I. Die Revision sei für die Streitjahre 1995 und 1996 als unbegründet zurückzuweisen, denn das FG-Urteil sei im Ergebnis zu bestätigen und die Klage als unbegründet abzuweisen. Auch für die Streitjahre 1997 bis 1999 sei die Revision unbegründet. Zu Recht habe das Finanzgericht entschieden, dass die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der W die hinterzogene Einkommensteuer schulde und das Finanzamt zur Korrektur der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt gewesen sei. Aufgrund der Steuerhinterziehung der Miterbin C habe sich die Festsetzungsfrist auch ihr gegenüber gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO auf zehn Jahre verlängert.
II. Die Klägerin sei gemäß § 1922 Abs. 1 BGB als Erbin in die Steuerschuld der Erblasserin W eingetreten. Danach gehe mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über. Gemäß § 1967 BGB hafteten die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Das hierin für den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränke sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts. Es erstrecke sich vielmehr auch auf das öffentliche Recht und damit auch auf das Steuerrecht. So ordne § 45 Abs. 1 Satz 1 AO an, dass bei der Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergingen. Mehrere Erben hätten gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 AO für die in der Person des Erblassers entstandene Steuerschuld wie für Nachlassverbindlichkeiten nach bürgerlichem Recht, d.h. als Gesamtschuldner (§§ 1967, 2058 BGB), einzustehen. Jeder Erbe schulde die ganze Leistung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO); dem Finanzamt stehe es im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei, an welche Gesamtschuldner es sich halten wolle (BFH, Urt. v. 28.03.1973 – I R 100/71 Rn. 10 – BStBl II 1973, 544).
Die Klägerin sei danach sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung der Erblasserin eingetreten (BFH, Beschl. v. 17.12.2007 – GrS 2/04 Rn. 57 – BStBl II 2008, 608). Sie schulde als Gesamtschuldnerin die Einkommensteuer in der Höhe, in der sie durch die Einkünfteerzielung der Erblasserin W entstanden sei. Auf ihre Kenntnis von der Steuerhinterziehung der Erblasserin W bzw. der Miterbin C komme es diesbezüglich nicht an.
III. Das Finanzamt sei zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 1999 durch die Änderungsbescheide vom 30.04.2007 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO befugt gewesen, da ihm aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle nachträglich bekannt geworden sei, dass die Erblasserin W in diesen Jahren höhere Kapitaleinkünfte erzielt gehabt habe, als bislang aufgrund der Steuererklärungen festgesetzt worden seien.
IV. Zu Recht habe das Finanzgericht entschieden, dass die Bekanntgabe der Änderungsbescheide für die Jahre 1995 bis 1999 am 30.04.2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist erfolgt sei.
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sei eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Die Festsetzungsfrist betrage gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in der Regel vier Jahre und verlängere sich gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall einer Steuerhinterziehung auf zehn Jahre. Sie beginne nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht werde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folge, in dem die Steuer entstanden sei.
Die Erblasserin habe die Steuererklärung für 1995 im August 1997, für 1996 im Oktober 1997, für 1997 im November 1998, für 1998 im Januar 2000 und für 1999 im November 2000 abgegeben. Da nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Finanzgerichts die Demenz der W in diesem Zeitraum bereits so weit fortgeschritten gewesen sei, dass sie geschäftsunfähig i.S.d. § 104 Nr. 2 BGB gewesen sei, sei sie nach § 79 Abs. 1 AO auch im Besteuerungsverfahren nicht zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig gewesen. Die Abgabe der von ihr unterzeichneten Steuererklärungen sei somit unwirksam gewesen (FG Düsseldorf, Urt. v. 27.04.1971 – II 173/69 E – EFG 1971, 511; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rn. 7). Die Festsetzungsfrist habe danach gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden sei, zu laufen begonnen (für 1995 am 31.12.1998, für 1996 am 31.12.1999, für 1997 am 31.12.2000, für 1998 am 31.12.2001, für 1999 am 31.12.2002).
V. Für die Streitjahre 1995 bis 1999 habe sich die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO aufgrund einer Steuerhinterziehung der C auf zehn Jahre verlängert, so dass die Änderungsbescheide vom 30.04.2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen seien. Zu Recht sei das Finanzgericht davon ausgegangen, dass C aufgrund eines Verstoßes gegen die Berichtigungspflicht aus § 153 AO nach erkannter Unrichtigkeit der Steuererklärungen der W eine vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen begangen habe. C sei spätestens ab dem Erbfall im Jahr 2000 bewusst gewesen, dass die Erblasserin W gegenüber dem Finanzamt ihre Kapitaleinkünfte zu niedrig erklärt gehabt habe. Sie sei daher gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet gewesen, die Einkommensteuererklärungen der Erblasserin zu berichtigen und habe dies vorsätzlich unterlassen. Die Berichtigungspflicht der C sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie bereits vor dem Tod der Erblasserin Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und den unrichtigen Steuererklärungen gehabt habe, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin abzustellen sei (Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 153 AO Rn. 13c; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rn. 17; Klein/Rätke, AO, 13. Aufl., § 153 Rn. 7).
VI. Der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO stehe auch nicht entgegen, dass W aufgrund ihrer Demenz handlungsunfähig gemäß § 79 AO gewesen sei und deshalb keine wirksamen Steuererklärungen habe abgeben können. Der Begriff „Erklärung“ i.S.v. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei weit zu verstehen und bedeute jede Äußerung mit Einfluss auf die Festsetzung, Erhebung oder Vollstreckung einer Steuer. Er umfasse daher auch unwirksame Steuererklärungen.
VII. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO setze nicht voraus, dass die Klägerin selbst eine Steuerhinterziehung begangen oder von dieser gewusst habe (BFH, Urt. v. 29.01.2003 – I R 10/02 Rn. 20 – BStBl II 2003, 687; BFH, Urt. v. 04.05.2004 – VII R 64/03 Rn. 31 – BFH/NV 2004, 1516 m.w.N.; BFH, Urt. v. 28.04.1998 – IX R 49/96 Rn. 13 – BStBl II 1998, 458). Die zehnjährige Frist gelte gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 HS. 1 AO auch dann, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden sei, derer er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient habe. Denn für die Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sei es unerheblich, wer die Steuer hinterzogen habe. Es komme nur darauf an, dass es sich objektiv um hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Beträge handele. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, hafte der Steuer als solcher an. Danach laufe gegen den Schuldner hinterzogener Steuern eine zehnjährige Festsetzungsfrist ohne Rücksicht darauf, ob er selbst oder ein Dritter die Steuer hinterzogen habe (Kruse in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 169 AO Rn. 18; Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 169 AO Rn. 53; Paetsch in: Gosch, AO, § 169 Rn. 52; Klein/Rüsken, AO, § 169 Rn. 28; z.B. BFH, Urt. v. 04.03.1980 – VII R 88/77 – BFHE 130, 131; BFH, Urt. v. 31.01.1989 – VII R 77/86 Rn. 5 – BStBl II 1989, 442).
VIII. An der objektiven Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, ändere sich auch nichts dadurch, dass der Steuerschuldner von der Steuerhinterziehung bzw. von der verlängerten Festsetzungsverjährung nichts gewusst habe (Kruse in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 169 AO Rn. 24). Denn im Rahmen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sei es unerheblich, ob und in welchem Umfang den Steuerschuldner überhaupt ein eigenes Verschulden treffe. Daher greife die verlängerte Festsetzungsverjährung auch dann, wenn der Steuerschuldner davon ausgehe, dass Festsetzungsverjährung bereits eingetreten sei und er erst später davon erfahre, dass ein Dritter zu seinen Gunsten Steuern hinterzogen habe (Rüsken in: Klein, AO, § 169 Rn. 28).
IX. Diese Grundsätze gälten auch im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft von Miterben. Zwar liefen bei einer Gesamtschuldnerschaft die Verjährungsfristen gegenüber jedem Gesamtschuldner getrennt ab (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO). Da es nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO jedoch nicht darauf ankomme, wer die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt habe, müsse jeder Gesamtschuldner die Steuerhinterziehung eines anderen Gesamtschuldners gegen sich gelten lassen (so ausdrücklich auch Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 44 AO Rn. 33; Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 169 AO Rn. 65; Paetsch in: Gosch, AO, § 169 Rn. 59; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 44 AO Rn. 19; Kruse in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 169 AO Rn. 23; Koenig/Koenig, AO, 3. Aufl., § 44 Rn. 19; Schwarz in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 44 AO Rn. 22; vgl. zur Gesamtschuld bei Ehegatten BFH, Beschl. v. 20.08.2010 – IX B 41/10 Rn. 3 – BFH/NV 2010, 2239; BFH, Beschl. v. 19.02.2008 – VIII B 49/07 Rn. 14 – BFH/NV 2008, 1158).
Zwar stehe der Klägerin die Möglichkeit zu, sich nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 3 HS. 2 AO zu exkulpieren. Danach treffe die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre bei einer Steuerhinterziehung, die nicht von dem Steuerschuldner, sondern von einer anderen Person begangen worden sei, u.a. dann nicht ein, wenn der Steuerschuldner selbst durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt habe. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, da die Klägerin durch die Steuerhinterziehung der C einen Vermögensvorteil in Form einer zu niedrig festgesetzten Steuerschuld erlangt habe, die auf sie als Gesamtrechtsnachfolgerin nach § 1922 BGB übergegangen sei.
X. Für die Streitjahre 1998 und 1999 sei die Revision im Übrigen schon deshalb unbegründet, weil es hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide auf die Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre nicht ankomme. Der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) für 1998 am 31.12.2005 und für 1999 am 31.12.2006 sei durch das Schreiben der Steuerfahndungsstelle an die Klägerin vom 21.03.2005 gemäß § 171 Abs. 5 AO gehemmt worden. Die Festsetzungsfrist sei danach nicht abgelaufen, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden seien, so dass die Korrekturbescheide für 1998 und 1999 vom 30.04.2007 noch innerhalb der regulären Festsetzungsfrist ergangen seien.
C. Kontext der Entscheidung
I. Verstößt ein Miterbe gegen die Berichtigungspflicht aus § 153 AO, nachdem er die Unrichtigkeit der Steuererklärungen des Erblassers erkannt hat, begeht er eine vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen (BFH, Urt. v. 28.02.2008 – VI R 62/06 Rn. 20 – BStBl II 2008, 595; BGH, Urt. v. 17.03.2009 – 1 StR 479/08 Rn. 17 – NJW 2009, 1984; Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 153 AO Rn. 18; Schindler in: Gosch, AO, § 153 Rn. 35; Meyer in: Gosch, AO, § 370 Rn. 102; Klein/Rätke, AO, § 153 Rn. 21; Klein/Jäger, AO/FGO, § 370 Rn. 61b).
Da § 153 Abs. 1 Satz 2 AO auf die Person des Gesamtrechtsnachfolgers abstellt, besteht eine Berichtigungspflicht des Erben ungeachtet dessen, ob der Erblasser sich selbst einer vorsätzlichen Steuerstraftat strafbar gemacht hat (so Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rn. 17.).
Das gilt nur dann nicht, wenn der Erbe selbst bereits Mittäter oder Teilnehmer der vorsätzlichen Steuerstraftat des Erblassers gewesen ist (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rn. 17; Helmrich, DStR 2009, 2132, 2134; Jesse, BB 2011, 1431, 1433; a.A. Wulf in: Festschrift Samson, 2010, S. 619, 634 ff.).
Der Begriff „Erklärung“ i.S.v. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO wird vom Schrifttum und der Finanzverwaltung weit ausgelegt und bedeutet jede Äußerung mit Einfluss auf die Festsetzung, Erhebung oder Vollstreckung einer Steuer (BT-Drs. 6/1982, S. 129 zu § 98 „insbesondere“; vgl. a. BFH, Urt. v. 30.01.2002 – II R 52/99 Rn. 17 – BFH/NV 2002, 917; AEAO zu § 153 AO Nr. 3; Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 153 AO Rn. 7; Schindler in: Gosch, AO, § 153 Rn. 14; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rn. 10; Klein/Rätke, AO/FGO, § 153 Rn. 3; Kuhfus in: Kühn/von Wedelstädt, AO/FGO, 21. Aufl., § 153 AO Rn. 2 Helmrich, DStR 2009, 2132, 2133; Jesse, BB 2011, 1431, 1434 f.; Wulf in: Festschrift Samson, S. 619, 623; a.A. Dißars in: Schwarz/Pahlke, § 153 AO Rn. 20; Coester in: Koenig, AO, 3. Aufl., § 153 Rn. 14).
II. Der BFH bestätigt diese Auffassung und wendet sie auch auf infolge einer Geschäftsunfähigkeit des erklärenden Steuerpflichtigen unwirksame Steuererklärungen an, ohne allerdings diese Erweiterung näher zu begründen.
Verfahrenshandlungen eines wegen Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB handlungsunfähigen Beteiligten sind unwirksam. Nach § 79 Abs. 1 AO ist Handlungsfähigkeit die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen. Unter Verfahrenshandlungen sind sowohl Willenserklärungen als auch Wissenserklärungen und tatsächliche Handlungen, an die steuerrechtliche Konsequenzen anknüpfen, zu verstehen (BFH, Urt. v. 16.04.1997 – XI R 61/94 Rn. 14 – BStBl II 1997, 595; ebenfalls zur passiven Handlungsfähigkeit BFH, Urt. v. 21.11.2006 – VII R 68/05 Rn. 33 – BStBl II 2007, 291; Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 79 AO Rn. 20 und 36; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rn. 6 und 7; Wünsch in: Koenig, AO, § 79 Rn. 44). Dabei fallen unter Verfahrenshandlungen in diesem Sinne aller Handlungen, denen das Verfahrensrecht irgendeine rechtliche Bedeutung beimisst (Rüsken in: Gosch, AO, § 79 Rn. 8-10). Die bloße Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 153 AO und die Ablehnung einer Einschränkung auf Steuererklärungen vermag somit noch keine hinreichende Begründung dafür zu geben, weshalb die unwirksamen Steuererklärungen als sonstige Erklärungen die Rechtspflichten aus § 153 AO auslösen können.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Der Finanzbehörde steht es grundsätzlich frei, an welchen Gesamtschuldner sie sich halten will (BFH, Urt. v. 13.05.1987 – II R 189/83 Rn. 13 – BStBl II 1988, 188). Sie kann nach ihrem Ermessen bestimmen, welche von mehreren Gesamtschuldnern sie in Anspruch nehmen möchte. Insoweit hat sie ein Auswahlermessen (BFH, Urt. v. 01.07.2008 – II R 2/07 Rn. 8 und 9 – BStBl II 2008, 897; Ratschow in: Klein, AO, § 44 Rn. 12 und 13).
II. Da es für die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen Steuerhinterziehung allein darauf ankommt, ob es sich objektiv um hinterzogene Beträge handelt und diese Eigenschaft der Steuer als solche anhaftet, trifft sie auch Miterben als Gesamtschuldner, unabhängig von deren Verschulden bzw. Kenntnis.
Da es insoweit zu überraschenden finanziellen Risiken kommen kann, kann die Haftung der Erben (vgl. § 45 Abs. 2 i.V.m. § 1975 BGB) auf den Nachlass durch Anordnung der Nachlassverwaltung (§ 1984 Abs. 1 Satz 3 BGB, vgl. aber § 2013 BGB) oder Eröffnung der Nachlassinsolvenz (§§ 315 ff. InsO) beschränkt werden. Bei mehreren Erben ist § 259 BGB zu beachten (zum Ganzen vgl. Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 45 AO Rn. 31).
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Dies erfordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lassen muss, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Ferner muss der Revisionskläger die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angeben, die nach seiner Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Erforderlich ist damit eine zumindest kurze Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, dass der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes Vorbringen überprüft hat (st. Rspr., z.B. BFH, Beschl. v. 09.03.2016 – I R 79/14 Rn. 12 – BFH/NV 2016, 1039). Der Revisionskläger muss danach im Einzelnen und in Auseinandersetzung mit der Argumentation des Finanzgerichts dartun, welche Ausführungen der Vorinstanz aus welchen Gründen unrichtig sein sollen (z.B. BFH, Beschl. v. 20.08.2012 – I R 3/12 – BFH/NV 2012, 1990; BFH, Urt. v. 07.04.2010 – I R 34/06 Rn. 12 – BFH/NV 2010, 1466 m.w.N.).
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