Nachfolgend ein Beitrag vom 29.1.2018 von Eversloh, jurisPR-SteuerR 4/2018 Anm. 5
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt, der Beratungsleistungen an im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer erbracht hat, die ihm ihre Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt haben, kann die u.a. für diese Fälle vorgeschriebene Abgabe einer Zusammenfassenden Meldung mit den darin geforderten Angaben (u.a. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Mandanten, Gesamtbetrag der Beratungsleistungen an den Mandanten) nicht unter Berufung auf seine Schweigepflicht verweigern.
A. Problemstellung
Wird ein Rechtsanwalt für Unternehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten beratend tätig, stellt sich die Frage, ob er dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) Zusammenfassende Meldungen (ZM) unter Angabe der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) eines jeden Leistungsempfängers übermitteln muss, oder ob er diese Angaben unter Berufung auf die anwaltliche Schweigepflicht verweigern kann.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Klägerin) erbrachte im zweiten Quartal 2010 (Meldezeitraum) u.a. sonstige Leistungen aus anwaltlicher Tätigkeit an Unternehmer (Leistungsempfänger), die im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig waren. Dort waren sie Steuerschuldner der von der Klägerin bezogenen Leistungen nach dem Reverse-Charge-Verfahren. Die Klägerin erteilte daher Rechnungen ohne deutsche Umsatzsteuer, so dass sie die Umsatzsteuer auch nicht abführte. In dem o.a. Meldezeitraum deklarierte sie zwar innergemeinschaftliche sonstige Leistungen gemäß § 18b Satz 1 Nr. 2 UStG, gab aber keine ZM i.S.d. § 18a UStG ab. Das beklagte Finanzamt forderte sie mittels einer „Erinnerung“ – versehen mit einer Rechtsmittelbelehrung – zur Abgabe der ZM auf. Dagegen erhob die Klägerin Sprungklage mit der Begründung, sie sei als Rechtsanwaltsgesellschaft nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO berechtigt, die Weitergabe der geforderten Informationen zu verweigern. Die dagegen erhobenen Sprungklage wies das Finanzgericht als unbegründet ab.
Der BFH hält die erhobene Revision für unbegründet. Seiner Auffassung nach steht die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht (§ 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO) der Verpflichtung der Klägerin zur Abgabe der ZM nicht entgegen. Denn durch die Verwendung und daher Mitteilung der USt-IdNr. hätten die Empfänger der Beratungsleistungen in die Weitergabe der Daten an die Steuerbehörden durch die Klägerin eingewilligt und sie daher konkludent von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden. Darin liege auch kein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV i.V.m. Art. 262 Buchst. c, Art. 264 MwStSystRL, § 18a Abs. 2, 4 und 7 UStG, Art. 22 ff. VO Nr. 1789/2003, da die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu wahren, eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertige.
Zwar stelle die ZM keine Steuererklärung im eigentlichen Sinne dar (u.a. Krauesel in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 18a Rn. 313). Aber im Meldezeitraum seien die für Steuererklärungen geltenden Vorschriften auf die ZM (§ 18a Abs. 8 UStG a.F.; seit Juli 2010: § 18a Abs. 11 UStG) ergänzend anzuwenden. Daher habe das Finanzgericht die „Erinnerung“ des BZSt zu Recht als Verwaltungsakt qualifiziert, da sie die Aufforderung zur Abgabe der ZM enthalte, mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen worden sei und somit der Vorbereitung von Zwangsmaßnahmen gemäß § 328 AO diene.
C. Kontext der Entscheidung
Der BFH zeigt das System der ZM auf: Der Unternehmer (§ 2 Abs. 2 Satz 1 UStG) ist gemäß § 18a Abs. 1 Satz 2 UStG a.F. (seit 01.07.2010: § 18a Abs. 2 Satz 1 UStG) verpflichtet, dem BZSt bis zum zehnten Tag (seit 01.07.2010: 25. Tag) nach Ablauf jedes Kalendervierteljahres (Meldezeitraum) eine ZM nach amtlichem Muster per Datenfernübertragung zu übermitteln, in der er nach in § 18a Abs. 4 (seit 01.07.2010: § 18a Abs. 7) Satz 1 Nr. 3 UStG a.F. normierte Angaben zu den steuerpflichtigen sonstigen Leistungen i.S.d. § 3a Abs. 2 UStG, für die der in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Leistungsempfänger die Steuer dort schuldet, zu machen hat. Das betrifft
• die Angabe der USt-IdNr. eines jeden Leistungsempfängers, die ihm in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilt worden ist, und unter der die steuerpflichtigen Leistungen an ihn erbracht worden sind (Buchst. a),
• für jeden Leistungsempfänger die Angabe der Summe der Bemessungsgrundlagen der an ihn erbrachten steuerpflichtigen sonstigen Leistungen (Buchst. b) und
• (seit 01.07.2010) den Hinweis auf das Vorliegen einer im übrigen Gemeinschaftsgebiet ausgeführten Leistung i.S.d. § 3a Abs. 2 UStG, für die der in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Leistungsempfänger die Steuer dort schuldet (Buchst. c).
D. Auswirkungen für die Praxis
Rechtsanwälte befinden sich also in einschlägigen Fällen wegen der o.a. konkludenten Einwilligung der Mandanten in die Datenweitergabe an die Finanzbehörden in keiner Interessenkollision, die sie berechtigen würde, sich bezüglich der Mandantendaten auf die Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO i.V.m. § 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO, § 2 Abs. 1 BORA zu berufen. Sie sind vielmehr zur Abgabe der ZM mit den vorgeschriebenen Angaben verpflichtet. Das dient auch der im Rahmen des Mehrwertsteuerinformationsaustauschsystems (MIAS) erforderlichen Überprüfung betreffend die Identität des Leistungsempfängers sowie betreffend den Umfang der Leistung und damit der gleichmäßigen Erhebung der Mehrwertsteuer in den Mitgliedstaaten und der Erhebung der Mehrwertsteuer-Eigenmittel der EU (vgl. Art. 325 AEUV; EuGH, Urt. v. 08.09.2015 – C-105/14 Rn. 38 – UR 2016, 367 „Taricco u.a.“) sowie dem Gemeinwohlinteresse Deutschlands aufgrund des Grundsatzes der Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV).
Im Hinblick auf die „Erinnerung“ des BStZ als Verwaltungsakt ist zu berücksichtigen, dass die abstrakte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen oder zur Beifügung bestimmter Unterlagen per se nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzbar ist. Vielmehr bedarf sie der Konkretisierung und Individualisierung durch einen Verwaltungsakt; erst dieser bildet dann die Grundlage für den Einsatz von Zwangsmitteln (zur Pflicht zur Abgabe der Anlage EÜR und zur Unterscheidung zwischen Verwaltungsakt und bloßer Vorbereitungshandlung vgl. BFH, Urt. v. 16.11.2011 – X R 18/09 Rn. 18 – BStBl II 2012, 129; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 8/2012 Anm. 3).
Verweigert der Leistungsempfänger die Mitteilung der USt-IdNr. für einen bestimmten Umsatz, kann der leistende Unternehmer gemäß Art. 19 UAbs. 2 MwStVO unterstellen, dass die Leistung für die Privatsphäre des Leistungsempfängers bezogen worden ist. Dann kann er gemäß § 3a Abs. 1 UStG die Leistung (nachträglich) der deutschen Umsatzsteuer unterwerfen, was in entsprechender Höhe die Erhöhung der ihm zustehenden Vergütung zur Folge hat (BFH, Urt. v. 23.02.2017 – V R 16/16, V R 24/16 – BStBl II 2017, 760; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 24/2017 Anm. 5; EuGH, Urt. v. 26.04.2017 – C-564/15 Rn. 49 – MwStR 2017, 413 = UR 2017, 438 „Farkas“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 32/2017 Anm. 5; Treiber, DStR 2017, 2615).