Nachfolgend ein Beitrag vom 16.11.2015 von Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 46/2015 Anm. 4. Die Autorin ist Richterin am Bundesfinanzhof:
Leitsatz

Die Verpflichtungen zur Zahlung des geltend gemachten Pflichtteils und des Zugewinnausgleichs an den überlebenden Ehegatten des Erblassers sind auch dann in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar, wenn zum Nachlass ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft gehört, dessen Erwerb nach § 13a ErbStG begünstigt ist.

A. Problemstellung

Der Streitfall betraf zwei Problemkreise. Zum einen war streitig, ob Steuerbegünstigungen rückwirkend entfallen, wenn ein Erbe das steuerbegünstigte Vermögen i.S.v. § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG nach dem Erbfall zur Erfüllung eines Zugewinnausgleichsanspruchs an den überlebenden Ehepartner des Erblassers überträgt. Zum anderen war erstmals zu klären, in welcher Höhe eine Pflichtteilsverbindlichkeit vom Erwerb abziehbar ist, wenn bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs steuerbegünstigtes Vermögen i.S.v. § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG berücksichtigt wurde.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist neben ihrem Bruder (B.) zur Hälfte Miterbin ihres im November 2001 verstorbenen Vaters (V.). Zum Nachlass gehörten u.a. Beteiligungen des V. an einer GmbH und an einer KG. Zur Erfüllung des Anspruchs der Ehefrau (E.) des V. auf Zugewinnausgleich übertrugen ihr die Klägerin und B. durch notariell beurkundete Vereinbarung vom 17.05.2002 Anteile an der GmbH sowie Anteile am Vermögen der KG.
Das Finanzamt setzte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer fest. Dabei nahm es an, dass die Übertragung der Gesellschaftsanteile an der GmbH und der KG auf E. zum anteiligen Wegfall der Steuervergünstigung nach § 13a Abs. 2 ErbStG (in der für 2002 geltenden Fassung) geführt habe. Den auf die Klägerin entfallenden Anteil am Zugewinnausgleichsanspruch der E. berücksichtigte das Finanzamt in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeit. Den von E. geltend gemachten Pflichtteilsanspruch zog es im Hinblick auf die Steuervergünstigung nach § 13a Abs. 2 ErbStG nur zum Teil als Nachlassverbindlichkeit ab. Die Begünstigung des Erwerbs der Beteiligung an der KG nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 ErbStG führte nicht zu einer weiteren Kürzung der abziehbaren Pflichtteilslast.
Das Finanzgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Übertragung der Gesellschaftsanteile an der GmbH und der KG auf E. zum Ausgleich ihres Zugewinnausgleichsanspruchs sei eine Veräußerung i.S.d. § 13a Abs. 5 ErbStG. Die Pflichtteilsschuld sei nur teilweise als Nachlassverbindlichkeit abziehbar.
Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Erbschaftsteuer herabgesetzt. Das Finanzgericht habe zwar zutreffend angenommen, dass die teilweise Übertragung der Anteile an der GmbH und der KG auf E. zum anteiligen rückwirkenden Wegfall der Steuervergünstigung nach § 13a Abs. 2 ErbStG geführt habe. Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts sei aber die Pflichtteilsschuld in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. Den vollen Abzug der Pflichtteilsverbindlichkeit begründete der BFH im Wesentlichen wie folgt:
Schulden und Lasten, die mit den nach § 13a ErbStG befreiten Anteilen an Kapitalgesellschaften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, seien gemäß § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nur mit dem Betrag abzugsfähig, der dem Verhältnis des nach Anwendung des § 13a ErbStG anzusetzenden Werts dieses Vermögens zu dem Wert vor Anwendung des § 13a ErbStG entspreche. Schulden und Lasten könnten nur mit bestimmten zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen oder Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn der Erbe ein Darlehen zu tilgen habe, das der Erblasser zum Kauf eines zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstands (z.B. Grundstück, Beteiligung an einer Personengesellschaft oder Anteil an einer Kapitalgesellschaft) aufgenommen hatte. Fehle es an einem solchen konkreten Zusammenhang einer Nachlassverbindlichkeit mit bestimmten zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen oder Vermögen, so werde ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit allen zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände und Vermögen nicht allein dadurch begründet, dass der Erbe zur Erfüllung der Verbindlichkeit verpflichtet sei. Die Pflicht des Erben zur Erfüllung eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs stehe nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den einzelnen erworbenen Vermögensgegenständen. Die Bemessung des Pflichtteils nach dem Wert des Nachlasses (§§ 2311 ff. BGB) begründe keinen wirtschaftlichen, sondern allenfalls einen rechtlichen Zusammenhang der Pflichtteilslast mit den zum Nachlass gehörenden aktiven Vermögensgegenständen oder Vermögen. Der Pflichtteilsanspruch sei nicht gegenständlich konkretisiert in Bezug auf das Betriebsvermögen oder einzelne betriebliche Wirtschaftsgüter.
C. Kontext der Entscheidung
Mit der Entscheidung zum vollen Abzug der Pflichtteilsverbindlichkeit setzt der BFH die Rechtsprechung fort, dass mit dem in § 10 Abs. 6 ErbStG verwendeten Merkmal des wirtschaftlichen Zusammenhangs dasselbe gemeint ist wie in § 103 Abs. 1 BewG (vgl. BFH, Urt. v. 06.07.2005 – II R 34/03 – BStBl II 2005, 797). Ein wirtschaftlicher Zusammenhang von Schulden mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des Betriebsvermögens i.S.d. § 103 Abs. 1 BewG wird angenommen, wenn die Entstehung der Schuld ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen beruht, die das Betriebsvermögen betreffen. Dieser Zusammenhang ist insbesondere dann zu bejahen, wenn die Schuld zum Erwerb, zur Sicherung oder zur Erhaltung des jeweiligen Vermögens eingegangen worden ist. Dagegen reicht es nicht aus, wenn lediglich ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Schuld und dem begünstigten Vermögen besteht.
Der rückwirkende Wegfall der Steuerbegünstigungen beruht auf § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 4 Satz 1 ErbStG. Nach diesen Vorschriften fallen der Freibetrag oder Freibetragsanteil und der verminderte Wertansatz mit Wirkung für die Vergangenheit u.a. weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb einen Anteil an einer Gesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG oder den Anteil an einer Kapitalgesellschaft i.S.d. § 13a Abs. 4 ErbStG veräußert. Unter Veräußerung ist jede entgeltliche Übertragung des begünstigt erworbenen Anteils zu verstehen. Die Steuervergünstigungen fallen unabhängig davon weg, aus welchen Gründen der Anteil veräußert wird und ob die Veräußerung freiwillig oder unfreiwillig erfolgt, und somit auch dann, wenn der Erwerber den Anteil zur Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen oder sonstigen Nachlassverbindlichkeiten auf den Gläubiger überträgt (BFH, Urt. v. 26.02.2014 – II R 36/12 – BStBl II 2014, 581, m. Anm. Loose, jurisPR-SteuerR 24/2014 Anm. 5). Zu den Nachlassverbindlichkeiten in diesem Sinne zählt auch ein Zugewinnausgleichsanspruch des überlebenden Ehegatten.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BFH zum vollen Abzug von Pflichtteilsverbindlichkeiten wirkt sich für die Steuerpflichtigen sehr vorteilhaft aus. Erwerben sie steuerbefreites Vermögen, wird dieses Vermögen beim steuerpflichtigen Erwerb nicht angesetzt. Verbleibt ohne Ansatz des steuerbefreiten Vermögens ein steuerpflichtiger Erwerb, ist dieser um die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsansprüchen zu mindern. Gleiches gilt für Verbindlichkeiten, die auf einem geltend gemachten Zugewinnausgleich beruhen. Da diese Ansprüche nach zivilrechtlichen Bestimmungen zu berechnen sind, also unter Berücksichtigung des steuerbefreiten Vermögens, kommt es im Grunde zu einer Doppelbegünstigung. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Anpassung des ErbStG an die Rechtsprechung des BVerfG zum Anlass nimmt, auch den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 6 ErbStG neu zu regeln. Hinsichtlich des fiktiven Zugewinnausgleichs nach § 5 Abs. 1 ErbStG hat der Bundesrat (vgl. BR-Drs. 353/1/15, S. 5 ff.) bereits eine Änderung zur Vermeidung der dort enthaltenen Doppelbegünstigung vorgeschlagen; diese Doppelbegünstigung steht ebenfalls im Zusammenhang mit dem Erwerb von steuerbefreitem Vermögen.