Nachfolgend ein Beitrag vom 23.4.2018 von Hölken, jurisPR-InsR 8/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Einen vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellten Liquiditätsstatus, der auf den Angaben aus der Buchhaltung des Schuldners beruht, kann der Geschäftsführer nicht mit der pauschalen Behauptung bestreiten, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Er hat vielmehr im Einzelnen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche der in den Liquiditätsstatus eingestellten Verbindlichkeiten trotz entsprechender Verbuchung zu den angegebenen Zeitpunkten nicht fällig und eingefordert gewesen sein sollen.
2. Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz sind auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) einzubeziehen.
A. Problemstellung
In einem Grundsatzurteil hat der IX. Zivilsenat des BGH im Jahre 2005 die Grundsätze zur Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellt (BGH, Urt. v. 24.05.2005 – IX ZR 123/04 – BGHZ 163, 134, 138 ff.). Dabei und in allen darauf folgenden Entscheidungen hatte der Senat aber offengelassen, ob für die Liquiditätsbilanz auch die im Prognosezeitraum erst fällig werdenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Eine höchstrichterliche Klärung dieser in Literatur und Instanzrechtsprechung umstrittenen Frage stand lange Zeit aus. Nun hatte sich der II. Zivilsenat des BGH im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 59 Satz 1 GmbHG mit genau dieser Fragestellung zu beschäftigen.
Daneben konkretisierte der Senat die Beweislastverteilung zwischen Insolvenzverwalter und Organ der Gesellschaft hinsichtlich der Aufnahme von Verbindlichkeiten in die Liquiditätsbilanz.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der klagende Insolvenzverwalter einer GmbH hatte deren Geschäftsführer gemäß § 64 Satz 1 GmbHG auf Ersatz von im Zeitraum vom 01.12.2008 bis zum 08.01.2009 geleisteten Zahlungen in Höhe von knapp 5 Mio. Euro in Anspruch genommen. Der Kläger behauptete, die Schuldnerin sei zu dieser Zeit zahlungsunfähig gewesen.
In den Tatsacheninstanzen blieb die Klage erfolglos. Der Kläger habe nicht hinreichend die von ihm behauptete Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum 01.12.2008 dargetan, weil der Beklagte jedenfalls substantiiert die Richtigkeit der Buchhaltung und damit den darauf beruhenden Liquiditätsstatus bestritten habe. So seien die in der klägerischen Auflistung aufgeführten Rechnungsposten unzureichend mit Rechnungen unterlegt worden, zahlreiche Verbindlichkeiten bereits bezahlt und zahlreiche angebliche Forderungen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden.
Außerdem sei als Aktivum eine täglich kündbare Darlehensforderung gegen eine Schwestergesellschaft zu berücksichtigen.
Genauso wenig habe der Kläger die Voraussetzungen einer Zahlungseinstellung hinreichend dargetan, weil der Beklagte größtenteils die fehlende Fälligkeit der nach der Behauptung des Klägers bis zur Insolvenzeröffnung nicht beglichenen Forderungen dargetan habe.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg.
Der BGH hat entschieden, für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit bedürfe es einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel des Schuldners, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz. Von einer Zahlungsunfähigkeit sei danach regelmäßig auszugehen, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10% oder mehr betrage, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen werde und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten sei. Der Vortrag des Klägers genüge diesen Anforderungen.
Der Kläger habe die nach seiner Behauptung am Stichtag verfügbaren Mittel und die in den folgenden drei Wochen zu verzeichnenden Geldeingänge auf der einen und die am Stichtag fälligen und in den folgenden drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten auf der anderen Seite in einer Liquiditätsbilanz tabellarisch unter Angabe der der elektronischen Buchhaltung der Schuldnerin hierzu entnommenen Daten aufgelistet und Ausdrucke der Buchhaltungskonten vorgelegt.
Die Vorlage einer Rechnung sei für die schlüssige Behauptung der Fälligkeit der jeweiligen Forderung i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO nicht erforderlich. Ausreichend sei eine Gläubigerhandlung, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergebe (sog. „ernsthaftes Einfordern“). Dadurch sollten solche Forderungen unberücksichtigt bleiben, die rein tatsächlich – also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung – gestundet seien.
Bei einem Einbuchen der jeweiligen Verbindlichkeit in die Buchhaltung der Schuldnerin sei daher unabhängig von einer Rechnung von einem ernsthaften Einfordern auszugehen.
Angesichts dieses detaillierten Vortrags des Klägers hätte es eines konkreten und substantiierten Bestreitens der von ihm aufgestellten Liquiditätsbilanz durch den Beklagten bedurft.
Der pauschale Einwand, die vom Kläger zugrunde gelegte Buchhaltung der Schuldnerin sei unrichtig, da der Beklagte bzw. seine Mitarbeiter der Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung gemäß den §§ 238, 239 HGB, § 41 GmbHG in der Endphase der werbenden Tätigkeit der Schuldnerin nicht mehr in vollem Umfang nachgekommen seien, genüge nicht.
Der Geschäftsführer müsse im Einzelnen substantiiert darlegen und ggf. beweisen, welche der in der Buchhaltung vorhandenen Buchungen in welcher Hinsicht unrichtig sein sollen.
Der Beklagte hätte daher im Einzelnen vortragen und ggf. beweisen müssen, welche Verbindlichkeiten konkret nicht bestanden haben oder nicht fällig gewesen sein sollen.
Ein ausreichendes Bestreiten liege weder in dem Fehlen einer Rechnung noch in dem pauschalen Einwand, zahlreiche Verbindlichkeiten seien bereits bezahlt und zahlreiche angebliche Forderungen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden.
Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts sei auch entscheidungserheblich.
Nach dem Vortrag des Klägers habe zum Stichtag am 01.12.2008 Zahlungsunfähigkeit vorgelegen, da in die Liquiditätsbilanz nicht nur die am Stichtag bereits fälligen, sondern auch die in den nächsten drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) zu berücksichtigen seien.
Nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH seien in der Liquiditätsbilanz zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. Die fehlende Erwähnung der Passiva II könne zwar dafür sprechen, dass sie nach Auffassung des IX. Zivilsenats nicht zu berücksichtigen seien. Eine klare Aussage in diesem Sinne sei dem indes nicht zu entnehmen.
Höchstrichterlich habe bislang nur der 1. Strafsenat entschieden, die Passiva II seien zu berücksichtigen. Auch der weit überwiegende Teil des Schrifttums spreche sich für eine Einbeziehung aus. Dieser Auffassung folge der Senat.
Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO sei insoweit unergiebig.
Systematisch führe die Einbeziehung der Passiva II zu keinen Abgrenzungsproblemen gegenüber der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO.
Es verbleibe auch bei Berücksichtigung der Passiva II im Rahmen des § 17 InsO ein davon abgrenzbarer Anwendungsbereich des § 18 InsO in der Zeit vor und nach Ablauf des dreiwöchigen Prognosezeitraums.
Auch das in der Gesetzesbegründung zur InsO zum Ausdruck kommende Regelungsziel des Gesetzgebers spreche für eine Einbeziehung der Passiva II.
Ziel des Gesetzgebers war es, mit der InsO eine gegenüber der KO frühzeitigere Verfahrenseröffnung zu erreichen, um damit die Sanierungsmöglichkeiten zu verbessern oder jedenfalls die Insolvenzmasse weitgehend zu erhalten und bessere Verwertungsergebnisse zu erzielen, eine rechtsstaatlich korrekte gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten und die Rechte etwaiger Arbeitnehmer und den Schutz des Rechtsverkehrs zu wahren.
Diesem Ziel widerspräche die Nichtberücksichtigung der Passiva II. Der Zeitpunkt der Insolvenzreife könne theoretisch sogar auf Dauer verzögert werden, weil der Schuldner mit neu hinzukommenden Mitteln lediglich Altverbindlichkeiten begleichen und damit eine Unterdeckung dauerhaft vor sich herschieben könnte. Dann aber handele es sich nicht mehr um eine lediglich vorübergehende, sondern um eine dauerhafte Zahlungsunfähigkeit, die zeige, dass das Unternehmen unterkapitalisiert und damit mangels ausreichenden Eigenkapitals insolvenzreif sei.
Die Berücksichtigung der Passiva II füge sich zudem stimmig in andere Wertungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Zahlungseinstellung ein.
So setze auch die Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit voraus, dass zwischenzeitlich neu entstandene Verbindlichkeiten beglichen werden müssten. Genauso werde die Existenz einer erheblichen Altforderung oder das Fortbestehen eines Forderungsrückstands bis zur Insolvenzeröffnung im Rahmen der Insolvenzanfechtung nach § 130 InsO als Indiz für eine Zahlungseinstellung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO und damit für die Zahlungsunfähigkeit angesehen. Damit erfolge auch hier indirekt die Berücksichtigung der Passiva II bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit.
Ausgehend davon sei die Schuldnerin nach dem Vortrag des Klägers am 01.12.2008 zahlungsunfähig gewesen.
Für das folgende Verfahren wies der BGH noch darauf hin, dass kurzfristig aktivierbare Forderungen wie die täglich kündbare Darlehensforderung gegen die Schwestergesellschaft bei der Erstellung der Liquiditätsbilanz nur zu berücksichtigen seien, wenn diesbezüglich Zahlungen innerhalb von drei Wochen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten bzw. einzuziehen seien.
C. Kontext der Entscheidung
Der Gesellschaftsrechtssenat des BGH hat in einer sehr ausführlich begründeten Entscheidung unter nahezu vollumfänglicher Berücksichtigung der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten die bisherige Rechtsprechung zu zwei äußerst zentralen Fragen im Rahmen der Organhaftung fortgeführt: zum einen zur Beweislastverteilung zwischen Insolvenzverwalter und Organ und damit auch zu den Anforderungen an den Klägervortrag in Bezug auf die in die Liquiditätsbilanz aufzunehmenden Verbindlichkeiten, zum anderen die Berücksichtigung der sog. Passiva II für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit.
Diese Klärung hat Auswirkungen weit über die Organhaftung nach § 64 Satz 1 GmbHG hinaus.
Schon seit langem war die Behandlung der Passiva II in der Liquiditätsbilanz mangels höchstrichterlicher Klärung streitig. Dass der BGH nun der h.M. gefolgt ist und für Rechtssicherheit gesorgt hat, ist positiv zu bewerten. Schließlich kommt der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu.
Die Zahlungsunfähigkeit ist nicht nur allgemeiner Insolvenzeröffnungsgrund, sondern auch zentrales Tatbestandsmerkmal der insbesondere in § 15a InsO normierten Insolvenzantragspflicht, der Insolvenzanfechtungstatbestände der §§ 129 ff. InsO und der Bankrottstraftatbestände der §§ 283, 283c, 283d StGB. Die Zahlungsunfähigkeit hat darüber hinaus Relevanz für gesellschaftsrechtliche Sachverhalte des Handelsrechts (§ 130a HGB), des Aktienrechts (§§ 92 Abs. 2, 401 AktG) sowie des GmbH-Rechts (§ 64 GmbHG).
In der Praxis ist es zwar meist einfacher, die Zahlungsunfähigkeit über die gesetzliche Vermutung bei Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu beweisen. Gelingt jedoch der Beweis der Zahlungseinstellung nicht, kann immer noch der Beweis der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO erbracht werden.
Bei Fremdanträgen dürfte die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit mangels ausreichender Einblicke in die Buchhaltung des Schuldners kaum gelingen.
Da der Insolvenzverwalter hingegen über die gesamten Buchhaltungsunterlagen des Schuldners verfügt, kann der Insolvenzverwalter den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz durchaus führen und so insbesondere Haftungsansprüche gegen Organe des Schuldners und Insolvenzanfechtungsansprüche geltend machen.
Höchstrichterlich bislang nicht genauer geklärt war im Rahmen der Organhaftung nach § 64 Satz 1 GmbHG, welche Anforderungen an den Klägervortrag zur Darlegung des Tatbestandsmerkmals der Zahlungsunfähigkeit anhand einer Liquiditätsbilanz zu stellen sind. Überhöhten Anforderungen an den Klägervortag hat der BGH nun eine klare Absage erteilt.
Für die Aufnahme einer Verbindlichkeit in die Liquiditätsbilanz ist das sog. ernsthafte Einfordern des Gläubigers danach grundsätzlich ausreichend (kritisch zu diesem Merkmal K. Schmidt, EWiR 2018, 179, 180 m.w.N.). Das liegt bereits im Einbuchen der jeweiligen Verbindlichkeit in die Buchhaltung der Schuldnerin, so dass es auf etwaige Rechnungen nicht ankommt.
Eine Rechnung wiederum ist aber grundsätzlich auch ausreichend für ein ernsthaftes Einfordern. Wenn bei nicht mehr ordnungsgemäß durchgeführter Buchhaltung Verbindlichkeiten in die Buchhaltung nicht eingebucht wurden, kann der Insolvenzverwalter die Verbindlichkeiten daher auch anhand von Rechnungen darlegen.
Daraus folgt, dass der Beklagte den Kläger nicht durch das bloße Bestreiten des schlüssigen Klägervorbringens etwa mit der Unrichtigkeit der zugrunde gelegten Buchhaltung zu einer weiteren Substantiierung zwingen kann. Der Beklagte ist daher gezwungen, zum Nachweis der Zahlungsfähigkeit die gesamte Buchhaltung auszuwerten und die jeweiligen Verbindlichkeiten einzeln dem Grund oder der Höhe nach konkret zu bestreiten oder deren fehlende Fälligkeit etwa anhand einer Stundungsabrede oder Ratenzahlungsvereinbarung darzulegen. Diese Konkretisierungslast ist gerade für Geschäftsführer einer GmbH mit umfangreichem Geschäftsbetrieb und entsprechend umfangreicher Buchhaltung eine große Hürde. Stundungsabreden, Ratenzahlungsvereinbarungen etc. sollten vor diesem Hintergrund stets genau dokumentiert werden, um damit die Fälligkeit der jeweils zugrunde liegenden Forderungen ggf. zu widerlegen.
Seine Haftung kann der Geschäftsführer meist nur über einen frühzeitigen Insolvenzantrag begrenzen. Das entspricht insoweit dem mit der InsO verfolgten Ziel einer möglichst frühen Antragstellung.
Von noch größerer Bedeutung ist aber die Klärung der Streitfrage, inwieweit die Passiva II in die Zahlungsbilanz einzubeziehen sind. In zutreffender Weise hat der II. Zivilsenat dargelegt, dass sich die Einbeziehung der Passiva II in das Gesamtgefüge der verschiedenen Insolvenzgründe einfügt und sich nur mit einer Einbeziehung die mit der InsO verfolgten Ziele realisieren lassen.
Insbesondere führt der BGH zutreffend aus, ein Schuldner könne ohne Berücksichtigung der Passiva II durch Begleichung ausschließlich der Altverbindlichkeiten mit den neu hinzukommenden Mitteln womöglich über Monate oder Jahre hinweg stets eine Liquiditätsunterdeckung von mehr als 10% vor sich herschieben (sog. Bugwellentheorie), damit auf Dauer nicht zum Ausgleich einer relevanten Liquiditätslücke in der Lage sein und deshalb ersichtlich am finanzwirtschaftlichen Abgrund operieren (vgl. auch Haneke, NZI 2018, 204, 209).
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil schafft ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit, im Bereich des § 64 Satz 1 GmbHG insbesondere für Berater von Geschäftsführern. Vor diesem Urteil mussten Berater von Geschäftsführern in Krisensituationen darauf hinweisen, dass die Berücksichtigung der Passiva II noch nicht vom BGH geklärt wurde und daher unklar ist, inwieweit diese für die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind. Geschäftsführer mussten danach in Krisensituationen darauf vorbereitet sein, dass die Zahlungsunfähigkeit nicht erst dann eintritt, wenn die Liquiditätslücke der gegenwärtigen fälligen Verbindlichkeiten 10% oder mehr beträgt, sondern auch dann, wenn die Passiva II zu einer Liquiditätslücke in dieser Höhe geführt haben. In dem Zeitraum zwischen dem Überschreiten der 10%-Marke unter Berücksichtigung der Passiva II und dem Überschreiten der Marke ohne Berücksichtigung der Passiva II konnten Geschäftsführer daher nicht mit Sicherheit abschätzen, ob sie für in diesem Zeitraum von der Gesellschaft geleistete Zahlungen nach § 64 Satz 1 GmbHG haften.
Hinsichtlich der Beweislastverteilung zwischen Insolvenzverwalter und Organ der Schuldnerin führt das Urteil zu einer weiteren Verlagerung zulasten des Organs. Für den Insolvenzverwalter bedeutet es eine deutliche Erleichterung, die in der Buchhaltung eingebuchten Verbindlichkeiten nicht zusätzlich durch Rechnungen belegen zu müssen. Die Durchsetzung von Haftungsansprüchen wird genauso durch die Einbeziehung der Passiva II in die Liquiditätsbilanz erleichtert. Schließlich kann der Insolvenzverwalter dadurch die Zahlungsfähigkeit erheblich einfacher darlegen. Das gleiche gilt für die Zahlungsunfähigkeit als objektives Tatbestandsmerkmal der Insolvenzanfechtungstatbestände der §§ 129 ff. InsO.
Das Urteil hat aber auch Auswirkungen auf das Zulassungsverfahren von Insolvenzanträgen.
Im Hinblick auf Eigenanträge des Schuldners müssen diese durch die Einbeziehung der Passiva II in vielen Situationen nun früher als vorher gestellt werden. Im Hinblick auf Gläubigeranträge sollten die Auswirkungen dagegen geringer sein. Mangels Kenntnis der Buchhaltungsunterlagen können Gläubiger einen Insolvenzgrund zumeist nur über die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit bei Zahlungseinstellung glaubhaft machen. Darauf hat die Einbeziehung der Passiva II aber keinen Einfluss.
Das Urteil führt zu der Frage, ob in der Liquiditätsbilanz in einer einstufigen Prüfung die Aktiva I und Aktiva II den Passiva I und Passiva II gegenübergestellt werden, oder in einer zweistufigen Prüfung zunächst nur die Aktiva I den Passiva I gegenübergestellt werden und nur bei einer Unterdeckung von mindestens 10% die Aktiva II und die Passiva II in die Betrachtung mit einbezogen werden (vgl. dazu Haneke, NZI 2018, 204, 210 m.w.N.).
Beabsichtigt einer der anderen Zivilsenate oder der Strafsenate des BGH in einer künftigen Entscheidung, die Passiva II nicht in die Liquiditätsbilanz einzubeziehen, bedarf es nun einer Anfrage oder Vorlage nach § 132 Abs. 2 und 3 GVG. Es ist davon auszugehen, dass der Insolvenzrechtssenat dieser Rechtsprechung folgen wird. So vertreten bereits mehrere Richter des IX. Zivilsenats in wissenschaftlicher Literatur die Ansicht, die Passiva II seien in den Liquiditätsstatus einzubeziehen (vgl. dazu Müller, BB 2018, 467 m.w.N.). Für die Praxis dürfte die Streitfrage der Einbeziehung der Passiva II damit geklärt sein.
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