Nachfolgend ein Beitrag vom 3.4.2017 von Nöcker, jurisPR-SteuerR 14/2017 Anm. 5
Leitsätze
1. Auch wenn die mit dem AltEinkG geschaffene Übergangsregelung für die Besteuerung von Leibrenten aus der Basisversorgung (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) grundsätzlich verfassungsgemäß ist, darf es in keinem Fall zu einer verfassungswidrigen doppelten Besteuerung der Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezüge kommen. Die Feststellungslast hierfür liegt beim Steuerpflichtigen.
2. Der Steuerpflichtige kann eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung bereits bei Beginn des Rentenbezugs rügen. Es kann nicht unterstellt werden, dass zu Beginn des Rentenbezugs zunächst nur solche Rentenzahlungen geleistet werden, die sich aus steuerentlasteten Beiträgen speisen.
3. Zu den Rechtsfragen, die sich im Rahmen der Berechnung stellen, ob im konkreten Einzelfall eine doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen gegeben ist.
A. Problemstellung
Soweit Selbstständige eine Sozialversicherungsrente erhalten, unterliegen diese Einnahmen wie beim Arbeitnehmer der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. Dies verletzt, obwohl die einkommensteuerrechtliche Vorbelastung unterschiedlich ist, nach dem Beschluss des BVerfG vom 29.09.2015 (2 BvR 2683/11 – BStBl II 2016, 310) nicht den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Davon unabhängig stellt sich die Frage, wie das auch in dieser Entscheidung des BVerfG enthaltene Verbot der doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen (Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung) und Altersbezügen (Rentenzahlungen) zu prüfen ist. Geklärt ist aufgrund der vorliegenden Entscheidung nun, dass die Feststellungslast für das Vorliegen einer Doppelbesteuerung der Steuerpflichtige trägt, der diese (insbesondere) anhand der Einkommensteuerbescheide, aber durch Vorlage seines Rentenversicherungsverlaufes, substantiiert darlegen kann.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger erzielte seit Dezember 2007 eine Sozialversicherungsrente. Trotz seiner freiberuflichen Tätigkeit ab 1977 war er freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Davor hatte er als Auszubildender und Angestellter Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Das Finanzamt ermittelte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2008 einen steuerfreien Anteil der Rente von 46%. Nach Ansicht des Klägers berücksichtigte dies allerdings nicht, dass er nach Maßgabe seiner mittleren statistischen Lebenserwartung weniger Renten steuerfrei beziehen werde, als er allein in der Zeit als Freiberufler aufgrund des Rentenversicherungsverlaufs an Beiträgen aus seinem zu versteuernden Einkommen gezahlt hätte. Folglich werde das Verbot der Doppelbesteuerung verletzt. Dies könne er auch – so trug er im Revisionsverfahren vor – anhand der noch vorliegenden Einkommensteuerbescheide (seit 1962) darlegen. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht verwies auf die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG und sah sich nicht in der Lage, eine individuelle Ermittlung der früheren steuerlichen Behandlung der Rentenversicherungsbeiträge durchzuführen. Typisierend ging es davon aus, dass auch bei Selbstständigen etwa die Hälfte der Rentenversicherungsbeiträge durch den Vorwegabzug steuerfrei gestellt worden sei. Deshalb sei die behauptete Doppelbesteuerung nicht festzustellen, zumal sich der Kläger erst im zweiten Jahr seines voraussichtlich 17 Jahre dauernden Rentenbezugs befinde.
Der BFH sah die Revision des Klägers als begründet an und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das Finanzgericht habe die auf den Einzelfall bezogenen Feststellungen zum Umfang der steuerlichen Entlastung der Rentenversicherungsbeiträge nicht getroffen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass im Fall des Klägers eine Doppelbesteuerung vorliege.
C. Kontext der Entscheidung
I. Das AltEinkG, das zum 01.01.2005 in Kraft getreten ist, ist verfassungsgemäß. Hierfür sprechen mehrere Beschlüsse des BVerfG vom 29.09.2015 (2 BvR 2683/11 – BStBl II 2016, 310) und vom 30.09.2015 (2 BvR 1066/10 – FR 2016, 78 = HFR 2016, 72; 2 BvR 1961/10 – NJW 2016, 469 = HFR 2016, 77), die sich inhaltlich mit der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG befassen. Daneben behandelten zwei BVerfG-Beschlüsse vom 14.06.2016 (2 BvR 290/10 – BStBl II 2016, 801; 2 BvR 323/10 – DStR 2016, 1731 = HFR 2016, 829; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 43/2016 Anm. 3) die Verfassungsmäßigkeit der steuerlichen Behandlung der Altersvorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Auch insoweit spricht die Nichtannahme für die Verfassungsmäßigkeit. Folglich wird es keinen Erfolg haben, die Neuregelung der Rentenbesteuerung (an sich) als einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu rügen.
II. Jedoch kann im konkreten Einzelfall eine Verfassungswidrigkeit vorliegen, weil gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verstoßen wird. Denn schon in seinem grundlegenden Urteil vom 06.03.2002 (2 BvL 17/99 – BVerfGE 105, 73) hat das BVerfG ausgeführt:
„In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“ Der BFH hat dieses Verbot einer Doppelbesteuerung im Einzelfall in ständiger Rechtsprechung wiederholt (vgl. nur BFH, Urt. v. 06.04.2016 – X R 2/15 – BStBl II 2016, 733, unter II.4; Anm. Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 43/2016 Anm. 2). Auch das BVerfG hat etwa in seinem Beschluss vom 29.09.2015 (2 BvR 2683/11 – BStBl II 2016, 310, unter Rn. 33 und Rn. 46) dieses strikte Verbot einer Doppelbesteuerung im Einzelfall erneut bestätigt. Wie dieses Verbot der Doppelbesteuerung konkret zu fassen ist, hat das BVerfG nicht aufgezeigt.
III. Insoweit hat der BFH bislang wenig Konkretes dargelegt. Klar ist, dass das Nominalwertprinzip gilt (so schon BFH, Urt. v. 26.11.2008 – X R 15/07 – BStBl II 2009, 710, unter II.2.c.aa; auch BVerfG, Beschl. v. 29.09.2015 – 2 BvR 2683/11 – BStBl II 2016, 310 Rn. 51 ff.). Die gerichtliche Überprüfung des Verbots der doppelten Besteuerung ist „auf den Beginn des Rentenbezugs“ vorzunehmen (so schon BFH, Urt. v. 09.12.2009 – X R 28/07 – BStBl II 2010, 348 Rn. 97). Soweit die Steuerfreiheit der Altersvorsorgebeiträge zu betrachten ist, sind auch die steuerfreien Arbeitgeberbeiträge nach § 3 Nr. 62 EStG zu berücksichtigen (BFH, Urt. v. 26.11.2008 – X R 15/07 – BStBl II 2009, 710). Der einheitliche Höchstbetrag nach § 10 Abs. 3 EStG a.F. (für die Zeit bis VZ 2004) ist anhand der Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung aufzuspalten (vgl. BFH, Urt. v. 23.10.2013 – X R 11/12 – BFH/NV 2014, 328 Rn. 23 m.w.N.).
IV. Ansonsten zeigt der BFH die noch ungeklärten Probleme auf: Neben der Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung etwaiger Hinterbliebener sind die Berücksichtigung der Werbungskosten-Pauschale (§ 9a Satz 1 Nr. 3 EStG) und des Grundfreibetrags zu bedenken. Gleiches gilt für die vom Rentner zu zahlenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie die steuerfrei bleibenden Zuschüsse der Rentenversicherungsträger zu diesen Beiträgen. Darüber hinaus haben die Finanzgerichte über die Berücksichtigung der gezahlten Beiträge zu Lebens-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen sowie zu privaten Krankenversicherungen über dem Versorgungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung zu entscheiden. Die Zuordnung des Vorwegabzugs bei Zusammenveranlagung ist ebenso zu beachten wie die Frage, ob kalkulatorische Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, die nicht dem Erwerb der Altersrente dienen, auszusondern sind. Schließlich können Jahre der Nullfestsetzung ebenso wie eine Bagatellgrenze eine Rolle spielen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung wirft für die Praxis eine Reihe von Fragen auf, da der BFH sich nicht in der Lage sah, im Rahmen eines obiter dictum über die Art und Weise der Berechnung der Doppelbesteuerung (vorab) zu entscheiden. Entscheidend wird sein, wie typisierend diese Berechnung erfolgen soll bzw. kann (vgl. weiterführend auch Schuster, BetrAV 2016, 475, 477 ff. mit ersten Überlegungen). Rechtsprechung und Literatur werden sich umfangreich mit den vom BFH aufgezeigten Problembereichen beschäftigen müssen, es sei denn, der Gesetzgeber stellt (etwa durch eine entsprechende Öffnungsklausel) sicher, dass in jedem Fall diese Doppelbesteuerung vermieden wird.