1. Säumniszuschläge sind grundsätzlich nur zur Hälfte erlassen, wenn eine unbillige Härte anzunehmen ist. Das gilt auch im Falle einer Stundungssituation hinsichtlich der säumigen Steuern.
  2. Ein Steuerpflichtiger, der zur (verzögerten) Tilgung seiner Steuerverbindlichkeiten mangels ausreichender Zahlungsmittel andere Zahlungen einstellen muss, kann trotz erfolgter Steuerzahlungen zahlungsunfähig sein.
  3. Zur Klärung der Frage, ob und ggf. inwieweit Zahlungsunfähigkeit vorlag, ist für jeden Monat, in dem Säumniszuschläge entstanden sind, festzustellen, in welcher Höhe Steuer- und sonstige Verbindlichkeiten fällig waren und in welchem Umfang Zahlungsmittel zur einigermaßen zeitnahen Bedienung der fälligen Verbindlichkeiten verfügbar waren.
  4. Die Erlass- und Stundungssituation unterscheidet sich von der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit dadurch, dass noch keine Gründe für ein Insolvenzverfahren gegeben sind, sondern der Erlass oder die Stundung dem Steuerpflichtigen gerade die Fortführung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ohne etwaige Sanierung im Insolvenzverfahren ermöglichen soll.

Tatbestand:

Streitig ist zuletzt der hälftige Erlass von Säumniszuschlägen auf Umsatzsteuer, die in Höhe von 141.422 Euro im Zeitraum Januar 2009 bis Mai 2015 entstanden sind.

Der Kläger erzielte steuerpflichtige Umsätze durch die gewerbliche Vermietung und Verpachtung des bebauten Grundstücks … in D. an die n. GmbH und die Studio I. GmbH, deren Geschäftsführer er war, sowie an weitere Mieter bzw. Pächter. Auf die festgesetzten Umsatzsteuern und Zinsen zur Umsatzsteuer erfolgten im Wesentlichen nach Rückstandsanzeigen und Mietpfändungen 2009 Tilgungen in Höhe von 274.019,88 Euro, 2010 Tilgungen in Höhe von 26.788,80 Euro, 2011 Tilgungen in Höhe von 161.430,78 Euro, 2012 Tilgungen in Höhe von 25.453,19 Euro, 2013 Tilgungen in Höhe von 76.492,45 Euro, 2014 Tilgungen in Höhe von 129.783,22 Euro und 2015 Tilgungen in Höhe von 78.696,06 Euro.

Bereits unter dem 11.06.2013 hatte der Kläger um die Prüfung eines Teilerlasses der zur Umsatzsteuer festgesetzten Zinsen und entstandenen Säumniszuschlägen gebeten. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage der n. GmbH und der Studio I. GmbH habe er als Geschäftsführer keine Lohnzahlungen erhalten und den Gesellschaften zusätzliche Darlehen über 1,5 Mio. Euro gewähren müssen. Zudem hätten ihn die finanziellen Probleme der Gesellschaften erhebliche Mietausfälle und Mietverzichte abverlangt. Hinzu komme ab 29.10.2012 die Pfändung der Mietzahlungen mit Ausnahme der Nebenkostenvorauszahlungen durch das Finanzamt. Dadurch seien die regelmäßigen Zahlungen an die Hypothekengläubiger ausgeblieben. Er habe deshalb die Familienfarm in K. verkaufen und alle freiwerdenden Mittel zur Konsolidierung der Gesellschaften sowie zur Bedienung seiner persönlichen Verpflichtungen einsetzen müssen. Trotz einiger Entgegenkommen durch Banken und Geschäftspartner hätten die Mittel nur zur Zahlung der Umsatzsteuer, nicht jedoch zur Abdeckung der Säumniszuschläge und Zinsen ausgereicht.

Bei einer Vorsprache im Finanzamt am 12.06.2013 ergänzte der Kläger, dass aus dem Familienvermögen rd. 10 Mio. Euro, darunter der Erlös aus dem Verkauf aller Immobilien in M., in die Unternehmen der n. Gruppe eingebracht worden seien. Aus dem Verkauf der Farm in K. seien noch 730.000 Euro vorhanden. 500.000 Euro seien bereits verwendet worden.

Unter dem 18.07.2013 reichte der Kläger den ausgefüllten Fragebogen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ein. Danach erzielte er lediglich Miet-/Pachteinnahmen in Höhe von 14.224 Euro, die vom Finanzamt gepfändet seien. Dem stünden als Ausgaben Wohnkosten in Höhe von 1.188 Euro, Versicherungsbeiträge in Höhe von 606 Euro, Bausparkassenbeiträge in Höhe von 14.760 Euro, Einzahlungen auf Sparverträge in Höhe von 3.000 Euro und Darlehenszinsen und -tilgungen in von 26.012,87 Euro gegenüber. An Vermögenswerten gab der Kläger ein Depot bei der Bank im Wert von 26,249,91 Euro, das als Sicherheit an diese abgetreten sei, Forderungen gegenüber der n. Gruppe in Höhe von 5,5 Mio. Euro, 500.000 Aktien an der Sii (Asien) im Wert von ca. einem Euro, 363.237 Aktien an der … AG im Wert von ca. 1,48 Euro und Antiquitäten im Wert von 120.000 Euro an. Als Grundvermögen nannte er das bebaute Grundstück … in D. mit einem geschätzten Verkehrswert von 9 Mio. bei eingetragenen Belastungen in Höhe von 5.475.000 Euro zugunsten der Bank, 210.000 Euro zugunsten des Finanzamts …. und 600.000 Euro zugunsten des T. sowie Restansprüche aus dem Farmverkauf in K. in Höhe von ca. 400.000 Euro. An Verbindlichkeiten führte der Kläger ein Darlehen bei der Bank über noch 200.000 Euro, ein Darlehen des T. in Höhe von 600.000 Euro, ein Darlehen der Bank in Höhe von 2.959.307,52 Euro und ein Darlehen der Bausparkasse der Bank in Höhe von 1.235.503,41 Euro an. Das Darlehen der Bank werde ihm erlassen, wenn er bis Ende September noch 200.000 Euro zahle. Die noch offenen Lohn- und Umsatzsteuerschulden in Höhe von ca. 194.000 Euro werde er ebenfalls bis Ende September 2013 ausgleichen. Zudem besitze das Finanzamt noch die ihm eingeräumte Sicherheitsgrundschuld an dem Grundstück …. in Höhe von 210.000 Euro.

Mit Bescheid vom 28.10.2013 lehnte der Beklagte den Erlassantrag ab. Hinsichtlich der Säumniszuschläge führte er aus, dass ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen nicht in Betracht komme, da ein Forderungsverzicht nur den weiteren Gläubigern zugute komme. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen sei ebenfalls nicht zu gewähren, da Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung Insolvenzgründe darstellten, ein Insolvenzantrag aber weder durch einen Gläubiger noch durch den Kläger selbst gestellt worden sei. Der Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Am 22.10.2014 legte der Kläger Einspruch ein. Wirtschaftliche Schwierigkeiten der n. AG und ihre Tochterunternehmen hätten direkte Auswirkungen auf seine persönliche wirtschaftliche Lage und Zahlungsfähigkeit gehabt. Dazu legt der Kläger eine selbstschuldnerische Bürgschaft gegenüber der Bank über 2.392.944 Euro vom 16.06.2008 vor; ferner notarielle Schuldanerkenntnisse mit der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gegenüber der Bank über 400.000 Euro und 200.000 Euro vom 21.09.2011; ferner eine Zahlungsaufforderung des Gerichtsvollziehers für die Bank über eine Rate von 20.031 Euro vom 09.04.2013; und schließlich die Bestätigung der Bank über den Erlass persönlicher Restverbindlichkeiten in Höhe von 1.911.765,35 Euro vom 01.04.2014. Des Weiteren legte der Kläger einen Vertrag über die persönliche Übernahme von Darlehen der n. AG in Höhe von 1.300.000 Euro gegenüber K. am 28.12.2011 sowie einen Teilverzicht des K. auf dieses Darlehen in Höhe von 100.000 Euro am 09.12.2013 vor. Ferner legt der Kläger Verträge über persönliche Darlehen vor, die ihm T. am 30.06.2005 in Höhe von 225.000 CAD, am 27.07.2006 in Höhe von 100.000 CAD und am 03.11.2006 in Höhe von 25.000 Euro gewährt hatte, mitsamt einer Teilverzichtserklärung in Höhe von 25 % der Darlehensbeträge vom 25.09.2008. Ferner überreichte der Kläger dem Finanzamt eine Darlehensvereinbarung, wonach ihm seine geschiedene Ehefrau am 25.02.2009 120.000 Euro zur Verfügung gestellt hatte, mit einer Verzichtserklärung der geschiedenen Ehefrau in Höhe von 40.000 Euro vom 28.12.2011. Außerdem legte der Kläger eine Mahnung mit Kündigungsandrohung der Bank Bauspar AG über eine Ansparrate in Höhe von 17.500 Euro und Zinsrückstände in Höhe von 65.423,75 Euro vom 26.11.2012 vor. Schließlich reichte der Kläger einen Antrag auf Eröffnung eines Zwangsversteigerungsverfahrens der L. D. bezüglich des Grundstücks … wegen Grundsteuern und Abgaben für Straßenreinigung und Entwässerung sowie Rettungsdienstentgelte vom 22.02.2012 ein.

Mit Schreiben vom 30.04.2015 ging der Beklagte von einer Zahlungsunfähigkeit des Klägers ab dem Zeitpunkt der Pfändung der Mietzahlungen aus dem Grundstück … am 29.10.2012 aus und bot ihm den Erlass der hälftigen seither entstandenen Säumniszuschläge auf Umsatzsteuer in Höhe von 18.346,79 Euro an. Unter dem 30.04.2015 erklärte sich der Kläger damit nicht einverstanden und hielt seinen Einspruch aufrecht.

Mit Einspruchsentscheidung vom 01.06.2015 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Säumniszuschläge führte das Finanzamt aus, dass mit Blick auf eine sachliche Unbilligkeit nur die persönliche Zahlungsunfähigkeit und nicht die der Gesellschaften, an denen der Kläger beteiligt sei, betrachtet werden müsse. Von einer persönlichen Zahlungsunfähigkeit des Klägers ab 2009 habe nicht ausgegangen werden können. Seither seien regelmäßig Zahlungen auf die steuerlichen Rückstände aus Umsatzsteuer geleistet worden, so dass die Steuern samt Zinsen vollständig getilgt worden seien. Eine vollständige Zahlungseinstellung über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten sei nicht erfolgt. Dabei sei es unerheblich, dass die Zahlungen auf Mietpfändungen beruhten. Da kein Insolvenzantrag gegen den Kläger gestellt worden sei, müsse auch davon ausgegangen werden, dass er die Bank als größten persönlichen Gläubiger regelmäßig bedient habe. Persönliche Billigkeitsgründe seien ebenfalls zu verneinen. Es sei dem Kläger zumutbar gewesen, seine Antiquitäten zu verkaufen. Auch habe der Kläger nicht dargelegt, wovon er seinen Lebensunterhalt bestreite. Die Mieteinnahmen seien vom Finanzamt gepfändet. Wie er seine monatlichen Ausgaben von über 50.000 Euro bestreite, sei fraglich. Der Kläger sei beschränkt steuerpflichtig und in Kanada wohnhaft. Er habe auch Unternehmensbeteiligungen im Ausland. Es sei nicht glaubhaft, dass er keinerlei ausländische Einkünfte erziele und keine weiteren Vermögenswerte im Ausland besitze. Zudem habe die Bank AG und deren Bausparkasse auf ihre Forderungen auch nicht teilweise verzichtet, so dass ein Erlass durch das Finanzamt vor allem diesen Gläubigern zugute käme. Schließlich habe der Kläger durch finanzielle Hilfen zugunsten der n. Gruppe selbst dazu beigetragen, dass er seine privaten Verbindlichkeiten gegenüber dem Fiskus nicht mehr fristgemäß habe begleichen können.

Am 30.06.2015 hat der Kläger Klage erhoben.

Nachdem er mit der Klageschrift zunächst angekündigt hat, den vollständigen Erlass der Säumniszuschläge auf Umsatzsteuer zu beantragen, hat er seine Klage mit Schriftsatz vom 19.10.2015 auf den hälftigen Erlass der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer beschränkt.

Der Beklagte habe ermessensfehlerhaft entschieden, weil er die entscheidungserheblichen Umstände des Sachverhalts nicht zutreffend gewürdigt habe. Die finanzielle Unterstützung der Gesellschaften der n. Gruppe sei für den Kläger von existenziellem Interesse gewesen. Er habe als Vorstand bzw. Geschäftsführer befürchten müssen, persönlich in Haftung genommen, zumindest aber aus Bürgschaften in Anspruch genommen zu werden. Auch habe er selbst Darlehen in Höhe von 5,5 Mio. Euro an die n. Gruppe gewährt. Zudem beziehe er seine Einnahmen in Form von Mieten und Geschäftsführergehältern aus der n. Gruppe.

Soweit das Finanzamt einen Verkauf der Antiquitäten vorschlage, sei dieser erwogen worden. Angebote verschiedener Auktionshäuser hätte allerdings ergeben, dass nur von einem Wert in Höhe von rd. 30.000 Euro auszugehen sei. Da das Finanzamt nur quotal bedient werden könne, hätte dadurch nur ein minimaler Bruchteil der offenen Steuerforderungen getilgt werden können. Bei der nochmaligen Überprüfung der Einkommens- und Vermögensaufstellung habe sich erwiesen, dass dem Kläger nach dem Verkauf der Familienfarm in K. dort noch ein eigengenutztes Grundstück verblieben sei. Das Gebäude sei stark renovierungsbedürftig und müsse vor einer Veräußerung zunächst mit ca. 500.000 Euro renoviert werden. Erst danach sei ein Veräußerungserlös in Höhe von rd. 1 Mio. Euro zu erwarten. Andere Vermögenswerte oder Einkunftsquellen im Ausland seien tatsächlich nicht vorhanden. Zudem habe im Zeitraum der Entstehung der streitbefangenen Säumniszuschläge fortdauernd eine Stundungssituation bestanden. Die Zahlungsschwierigkeiten seien vom Kläger von Anfang an dem Finanzamt und den übrigen Gläubigern gegenüber kommuniziert worden. Sämtliche Gläubiger hätten von der Stellung eines Insolvenzantrages abgesehen und darauf vertraut, dass sich die wirtschaftliche Situation des Klägers in den nächsten Jahren erheblich verbessere. Auch persönliche Erlassgründe seien aufgrund des Bemühens des Klägers um die Erhaltung seiner wirtschaftlichen Existenz gegeben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Erlass von Säumniszuschlägen zur Umsatzsteuer 2003 bis 2015 vom 28.10.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2015 aufzuheben und die Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 141.422 Euro in Höhe der Hälfte, das sind 70.7011 Euro, zu erlassen.

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Der Kläger habe weiterhin nicht erklärt, wie er ohne Einnahmen seine monatlichen Kosten von über 50.000 Euro bestreite. Das Finanzamt gehe weiterhin davon aus, dass der Kläger Konten im Ausland habe. Dafür spreche sein Wohnsitz in Kanada und seine ausländischen Unternehmensbeteiligungen sowie das ausländische Grundvermögen. Es sei falsch, dass das Finanzamt beim Kläger eine Stundungssituation gesehen und zugewartet habe. Das Finanzamt habe erstmalig am 28.01.2009 Pfändungen gegen die n. AG und am 04.08.2009 Pfändungen gegen die n. GmbH und die O. GmbH ausgebracht. Insgesamt habe das Finanzamt im Zeitraum 2009 bis 2014 annähernd 40 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen ausgebracht. Am 26.05.2010 sei eine Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt. Ein am 15.02.2011 beantragter Vollstreckungsaufschub sei mit Bescheid vom 16.02.2011 abgelehnt worden. Eine Stundungssituation habe schon deshalb nicht vorgelegen, weil der Steueranspruch trotz einer nicht dauerhaften Zahlungsunfähigkeit gefährdet gewesen sei. Der Kläger habe keine Tilgung der Rückstände innerhalb kurzer Zeit in Aussicht gestellt. Vielmehr hätten noch erhebliche außersteuerliche Rückstände bestanden. Zahlungen seien nur aufgrund drohender bzw. durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts erfolgt.

Gründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache teilweise Erfolg. Der (auch) den zuletzt begehrten hälftigen Erlass der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer ablehnende Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 44 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – analog) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, ohne dass die Sache spruchreif ist; der Kläger hat deshalb Anspruch auf erneute, ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Erlassantrag (§ 101 FGO).

Nach § 227 Halbsatz 1 Abgabenordnung – AO – können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, bei der Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens durch den (Rechts-)Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden. Ist die Einziehung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis nach Lage des einzelnen Falles ganz oder zum Teil unbillig, ist das Erlassermessen (insoweit) auf Null reduziert, so dass ein Erlassanspruch besteht (vgl. Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl. 2014, § 227 Rz. 17 i.V.m. § 163 Rz. 118 m.w.N.). Im Übrigen muss das Finanzamt bei seiner Billigkeitsentscheidung seinen Ermessensspielraum erkennen, darf dessen gesetzliche Grenzen nicht über- oder unterschreiten und muss von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Vorschrift entsprechenden Weise Gebrauch machen (§ 5 AO; vgl. auch § 102 Satz 1 FGO).

I. Im Streitfall war die Einziehung der streitbefangenen hälftigen Säumniszuschläge im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin der Einspruchsentscheidung, nicht feststellbar unbillig.

Unbilligkeit kann aus sachlichen oder persönlichen Gründen gegeben sein. Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Festsetzung einer Steuer an sich zwar dem (ggf. nach Wortlaut, Systematik und Zweck etc. ausgelegten) Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes im konkreten Einzelfall derart zuwider läuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Persönliche Unbilligkeit setzt das kumulative Vorliegen von Erlassbedürftigkeit und -würdigkeit voraus (vgl. Rüsken, a.a.O, § 227 Rz. 17 i.V.m. § 163 Rz. 32 und 84 m.w.N.).

  1. Nach den im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung erkennbaren Tatsachen stehen sachliche Billigkeitsgründe im Streitfall nicht fest.Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist als unbillig anzusehen, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Darum ist ein sachlicher Billigkeitsgrund für den Erlass von Säumniszuschlägen gegeben, wenn Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorgelegen, aber auch dann, wenn in Bezug auf die säumigen Steuerschulden eine (persönliche) Erlass- oder Stundungssituation bestanden hat. Ob diese Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass gegeben waren, ist nicht nur für die Fälligkeitszeitpunkte der Steuerforderungen, sondern für den gesamten Säumniszeitraum zu prüfen, so dass es ggf. zu einem Teilerlass kommen kann (vgl. BFH-Urteil vom 07.05.1993 III R 43/89 m.w.N.). Ausgehend von den Wertungen des Gesetzgebers, wonach Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes dienen, sind Säumniszuschläge grundsätzlich nur zur Hälfte erlassen, wenn eine unbillige Härte anzunehmen ist. Das gilt auch im Falle einer Stundungssituation hinsichtlich der säumigen Steuern, weil bei gewährter Stundung Stundungszinsen entstanden wären. Ein weitergehender Erlass der Säumniszuschläge kommt nur ausnahmsweise in Betracht und wird im Streitfall nicht begehrt.a. Ob und ggf. inwieweit der Kläger im Zeitraum 12/08 bis 05/15 zahlungsunfähig war, lässt sich aufgrund der im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorliegenden Erkenntnisse nicht feststellen.

    Zahlungsunfähigkeit ist das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen.

    Im Streitfall wurden die streitbefangenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten zwar säumig aber letztlich doch vollständig getilgt. Zurecht geht der Beklagte davon aus, dass für das Vorhandensein von Zahlungsmitteln nicht entscheidend ist, ob diese zu Tilgungszwecken dem Finanzamt unaufgefordert oder erst nach Mahnung bzw. Zwangsvollstreckungsandrohungen oder sogar erst aufgrund einer Pfändung überlassen werden. Sehr wohl aber von Bedeutung ist die Frage, ob das Finanzamt aufgrund eines tatsächlich hergestellten oder vermeintlichen Zahlungsdrucks durch den Steuerpflichtigen gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt bedient wurde. So kann ein Steuerpflichtiger, der zur (verzögerten) Zahlung seiner Steuerverbindlichkeiten mangels ausreichender Zahlungsmittel andere Zahlungen einstellen muss, trotz erfolgter Steuerzahlungen zahlungsunfähig sein. Dass andere Gläubiger, trotzdem unstreitig keine Überschuldung vorlag, endgültig nicht in vollem Umfang bedient wurden, steht im Streitfall aufgrund der vom Kläger nachgewiesenen Erlasse von dritter Seite fest. Diese Erlasse können aufgrund von Zahlungsunfähigkeit aus Sicht der erlassenden Gläubiger zwangsläufig, aber auch aus anderen Gründen gewährt worden sein. Von daher wird zur Klärung der Frage, ob und ggf. inwieweit Zahlungsunfähigkeit vorlag, für jeden Monat, in dem die streitbefangenen Säumniszuschläge entstanden sind, festzustellen sein, in welcher Höhe Umsatzsteuer- und sonstige Verbindlichkeiten fällig waren und in welchem Umfang Zahlungsmittel zur einigermaßen zeitnahen Bedienung der fälligen Verbindlichkeiten verfügbar waren. Dabei reicht es nicht aus, auf die gesetzliche Mitwirkungspflicht des Klägers hinzuweisen; sie muss auch eingefordert werden. Gerade was verfügbare Zahlungsmittel aus ausländischen Einkünften oder ausländischem Vermögen anlangt, ist zu beachten, dass ein Vollbeweis für deren Nichtvorhandensein unmöglich ist. Von daher muss der Beklagte darlegen, welcher Nachweismittel es aus seiner Sicht bedarf, um dem Vortrag des Klägers Glaube zu schenken, dass die Farm in K. erst ab 2013 in Raten verkauft werden konnte, dass das dort noch vorhandene, angeblich sanierungsbedürftige Wohnhaus nicht auch unsaniert mit entsprechendem Preisabschlag veräußerbar war, welchen Tilgungsbeitrag eine Veräußerung der Antiquitäten, von der letztlich abgesehen wurde, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten bedeutet hätte, dass in A. und K. kein (weiteres) Grund- und Geldvermögen vorhanden war und weshalb die Geschäftsanteile an den verschiedenen Gesellschaften der n. Gruppe nicht veräußert werden konnten. Dabei kommt beispielsweise der Nachweis von Zahlungen in Asien bzw. in K. über das inländische Girokonto und die Vorlage eines Mietvertrages über die vom Kläger genutzte Wohnung in Malaysia ebenso in Betracht, wie die Vorlage der Angebote der Auktionshäuser für die Antiquitäten, eine genaue Aufschlüsselung der jeweils fälligen Bank- und Privatdarlehensraten, aber auch detaillierte Auskünfte zur Marktgängigkeit von vorhandenen Geschäftsanteilen und Immobilien. Erst solche weiteren Ermittlungen unter Mitwirkung des Klägers können Aufschluss darüber ergeben, ob und ggf. wann Zahlungsunfähigkeit vorlag.

    b. Weitere Ermittlungen zur Zahlungsunfähigkeit des Klägers im Zeitraum des Entstehens der streitbefangenen Säumniszuschläge sind auch nicht deshalb entbehrlich, weil damals aufgrund der im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung bekannten Tatsachen das Vorliegen einer Erlass- oder Stundungssituation bezüglich der Umsatzsteuerschulden festgestanden hätte. Insoweit bestehen ähnliche Unsicherheiten wie hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit des Klägers, weil – wie dargelegt – weder der genaue Bestand an fälligen Verbindlichkeiten noch der der verfügbaren Zahlungsmittel Monat für Monat feststellbar ist.

    Die Erlass- und Stundungssituation unterscheidet sich von der hier unstreitig nicht vorliegenden Überschuldung und der streitigen Zahlungsunfähigkeit dadurch, dass noch keine Gründe für ein Insolvenzverfahren gegeben sind, sondern der Erlass oder die Stundung dem Steuerpflichtigen gerade die Fortführung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ohne etwaige Sanierung im Insolvenzverfahren ermöglichen soll. Das wäre dann der Fall, wenn die oben skizzierten ausstehenden Ermittlungen unter Mitwirkung des Klägers zu dem Ergebnis führten, dass zwar kein dauernder Mangel an Zahlungsmittel der Berichtigung der in den nächsten drei bis sechs Monaten fälligen wesentlichen Verbindlichkeiten entgegenstand, aber die Einziehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zum Fälligkeitszeitpunkt eine vorübergehende erhebliche Härte für den Kläger bedeutet hätte oder die Einziehung dauerhaft zwar nicht unter dem Gesichtspunkt einer Zahlungsunfähigkeit, aber als Hindernis für eine künftige wirtschaftliche Gesundung unbillig gewesen wäre. Es sei aber bereits jetzt darauf hingewiesen, dass letzteres unwahrscheinlich erscheint, weil ein Erlass der fälligen Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus Billigkeitsgesichtspunkten dem Kläger und nicht vorrangig einem anderen Gläubiger, etwa der grundbuchrechtlich erstrangig gesicherten und zu keinen Kompromissen bereiten Bank, zugute kommen müsste. Zu prüfen wird daher nach Ausermittlung des Sachverhaltes unter Mitwirkung des Klägers im Falle der (ggf. teilweisen) Verneinung einer Zahlungsunfähigkeit im Zeitraum des Entstehens der streitbefangenen Säumniszuschläge vornehmlich das Vorliegen von Stundungsgründen bezüglich der Umsatzsteuerverbindlichkeiten sein. Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung im Rahmen der Prüfung einer Stundungssituation pauschal auf eine Gefährdung der Umsatzsteueransprüche hinweist, erscheint dies namentlich in Bezug auf die Sicherheiten des Finanzamts an dem Grundstück …. und den Geschäftsanteilen zumindest bislang unsubstantiiert.

  2. Der begehrte hälftige Erlass der Säumniszuschläge aus persönlichen Billigkeitsgründen kommt im Streitfall nicht in Betracht. Auch insoweit gilt: Weil namentlich die Bank und deren Bausparkasse aufgrund der erstrangigen dinglichen Sicherung ihrer Darlehen und des abgetretenen Depots bzw. Bausparvertrages nicht bereit waren, sich an der Sanierung des Klägers durch Forderungsverzichte zu beteiligen, wäre ein Erlass des Finanzamts vorrangig nicht dem Kläger, sondern diesen Gläubigern zugute gekommen.

II. Ist mithin mit Blick auf die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung feststehenden Tatsachen die sachliche Unbilligkeit der Einziehung der hälftigen Säumniszuschläge auf Umsatzsteuer weder festzustellen noch auszuschließen, bedarf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung i.S.v. § 227 Halbsatz 1 AO die dargelegten weiteren Ermittlungen von Amtswegen unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflicht des Klägers.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 und Abs. 2 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 Sätze 1 und 2 und § 709 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO –.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben sind.

(Quelle: DATEV)