Nachfolgend ein Beitrag vom 8.1.2018 von Bartone, jurisPR-SteuerR 1/2018 Anm. 2

Leitsatz

Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Das Finanzamt kann gegen eine abgetretene Forderung der Insolvenzmasse unter den Voraussetzungen des § 406 BGB auch gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklären.

A. Problemstellung

Im Insolvenzverfahren treten für eine wirksame Aufrechnung neben die Vorschriften des § 226 AO i.V.m. den §§ 387 ff. BGB die Regelungen der §§ 94 ff. InsO. Deren Anwendung ist, wie aus dem sachlichen Anwendungsbereich und dem systematischen Regelungszusammenhang folgt, auf die Dauer des Insolvenzverfahrens beschränkt.
Der BFH hat im vorliegenden Fall entschieden, dass das in § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO normierte Aufrechnungsverbot nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr besteht und die Finanzbehörde daher gegen eine Forderung aus der Insolvenzmasse nach Maßgabe der allgemeinen Aufrechnungsvorschriften aufrechnen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH meldete das zuständige Finanzamt USt-Forderungen zur Insolvenztabelle an. Danach setzte es zugunsten der GmbH gemäß § 37 Abs. 5 KStG ein KSt-Guthaben fest. Das Guthaben sollte in zehn Raten an den Insolvenzverwalter zur Insolvenzmasse ausgezahlt werden. Nach Zahlung der ersten Rate trat dieser das restliche KSt-Guthaben an die spätere Klägerin ab. Diese übermittelte dem Finanzamt eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck (vgl. § 46 Abs. 3 Satz 1 AO). Daraufhin wurde der Klägerin eine Rate überwiesen. Bevor es zu weiteren Ratenzahlungen kam, wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 207 Abs. 1 Satz 1, 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) eingestellt.
Gegen das nach den Ratenzahlungen verbliebene, anteilige KSt-Guthaben erklärte das Finanzamt die Aufrechnung mit einer USt-Forderung. In einem Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO) bestätigte das Finanzamt die Aufrechnung und wies den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin zurück. Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg.
Demgegenüber gab der BFH der Revision des Finanzamts statt und wies die Klage ab (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO), da das erstinstanzliche Urteil nach seiner Auffassung Bundesrecht verletzte (§ 118 Abs. 1 FGO). Der BFH erachtete die Aufrechnung als wirksam.
Nach Auffassung des BFH gilt das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur während des Insolvenzverfahrens. Der Senat führt aus, dass nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Insolvenzgläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO ihre Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen könnten (BFH, Urt. v. 04.09.2008 – VII B 239/07 – BFH/NV 2009, 6). Folglich könne ein Gläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen Forderungen des Schuldners erklären, die zwar während des Insolvenzverfahrens begründet, jedoch nicht ermittelt bzw. nicht beigetrieben worden seien und über die der Schuldner nunmehr wieder frei verfügen könne, da sie nicht mehr dem Insolvenzbeschlag (§ 80 Abs. 1 InsO) unterlägen. Gleiches gelte nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 215 InsO.
Die durch § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 406 BGB geschützte Rechtsstellung des durch das Finanzamt vertretenen Fiskus hätte sich indessen verschlechtert, wenn aus einem ohne die Abtretung bestehenden zeitlich (auf die Dauer des Insolvenzerfahrens) begrenzten Aufrechnungsverbot ein im Fall der Abtretung unbefristetes Aufrechnungsverbot würde. Dies hat der BFH abgelehnt. Seiner Auffassung nach lässt sich ein zeitlich unbeschränktes Aufrechnungsverbot im Fall einer Abtretung weder mit den anzuwendenden Vorschriften noch mit dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens rechtfertigen. Wolle der Insolvenzverwalter das Verfahren beenden, aber gleichwohl künftig entstehende Forderungen zur Masse ziehen, könne er gemäß § 203 InsO bzw. § 211 Abs. 3 InsO die Anordnung der Nachtragsverteilung beantragen.
Mache er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, sondern ziehe er die Verwertung der künftigen Forderungen durch Abtretung vor, seien die dahinter stehenden praktischen Erwägungen bzw. Schwierigkeiten bei der Masseverwertung nicht geeignet, die Schuldnerschutzvorschrift des § 406 BGB zu suspendieren. Der Zessionar trage nach § 406 BGB das Risiko einer „Belastung“ der ihm abgetretenen Forderung insoweit, als gegen sie auch mit gegenüber dem Zedenten bestehenden Ansprüchen aufgerechnet werden könne. Mit dem Grundgedanken dieser Schuldnerschutzvorschrift sei es nicht vereinbar, ein Aufrechnungsverbot in der Insolvenz über die Insolvenzbeschlagnahme hinaus im Fall einer Abtretung zur vereinfachten Forderungsverwertung anzuerkennen.

C. Kontext der Entscheidung

I. Aus § 94 InsO folgt ausdrücklich, dass ein im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kraft Gesetzes oder Vertrages begründetes Aufrechnungsrecht durch das Insolvenzverfahren nicht berührt wird. Die zugunsten eines Insolvenzgläubigers bestehende Aufrechnungslage wird also geschützt und durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beeinträchtigt. Andererseits ist eine nachträglich, d.h. nach Insolvenzeröffnung entstandene Aufrechnungslage nicht geschützt, da dies dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger (vgl. § 1 Satz 1 InsO) widerspräche. Dies sicherzustellen, ist Regelungszweck des § 96 InsO.
II. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, der über § 251 Abs. 2 Satz 1 AO auch in der Insolvenz des Steuerpflichtigen gilt, ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Dies galt auch im vorliegenden Fall in Bezug auf den Erstattungsanspruch der GmbH – das KSt-Guthaben gemäß § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG – gegen den das Finanzamt mit seiner Gegenforderung – dem USt-Anspruch für 2006 – aufgerechnet hat.
Der Anspruch auf Erstattung des KSt-Guthabens ist mit der Änderung des KStG durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 07.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) gemäß § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG mit Ablauf des 31.12.2006 und damit nach Insolvenzeröffnung im März 2006 entstanden. Im Verhältnis des Finanzamts zur GmbH galt zunächst während des Insolvenzverfahrens das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO für die in diesem Zeitraum fällig werdenden Auszahlungsbeträge des KSt-Erstattungsanspruchs gemäß § 37 Abs. 5 KStG.
Diese Beschränkung besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nach zutreffender Auffassung des BFH nicht mehr. Denn für die Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der §§ 94 ff. InsO kommt es lediglich darauf an, dass das Insolvenzverfahren beendet wurde, gleich aufgrund welcher Gründe. Denn mit Beendigung des Insolvenzverfahrens erhält der Schuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurück.
III. Den Vorschriften über die Aufrechnung in der Insolvenz kommt demnach grundsätzlich keine Bedeutung über das Insolvenzverfahren hinaus zu. Insbesondere ist ein zeitlich unbefristetes Aufrechnungsverbot abzulehnen. Insbesondere kann dies nicht aus der Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Verwertung der Masse aus § 159 InsO abgeleitet werden. Diese Pflicht begründet keine Privilegierung eines Zessionars gegenüber dem Zedenten bei der Forderungsverwertung, wenn dadurch eine grundlegende schuldnerschützende Vorschrift weiter eingeschränkt wird, als es das Gesetz in § 96 InsO vorsieht.
Die in Teilen der Literatur vertretene Gegenansicht (Windel in: Jaeger, InsO, 2007, § 96 Rn. 10; Brandes/Lohmann in: MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2013, § 96 Rn. 2c; Gottwald/Adolphsen, Insolvenzrechtshandbuch, 5. Aufl. 2015, § 45 Rn. 80f; Grashoff/Kleinmanns, ZInsO 2008, 609, 612; von Craushaar/Holdt, NZI 2011, 350, 353) ist abzulehnen. Die zur Begründung dieser Auffassung herangezogene Entscheidung des RG vom 18.02.1933 (V 380/32 – RGZ 140, 43) führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach den dort zur KO herausgearbeiteten Grundsätzen gälte das Aufrechnungsverbot nicht, wenn dem Schuldner die Verfügungsbefugnis über die Forderung zu ihrer Geltendmachung vom Insolvenzverwalter übertragen worden wäre. Der Fall der Übertragung der Verfügungsbefugnis über die Forderung auf den Insolvenzschuldner unterscheidet sich aber nicht von dem Fall, in dem der Insolvenzschuldner durch Aufhebung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurückerhält (§§ 201 Abs. 1, 215 Abs. 2 InsO), weil in beiden Fällen der Insolvenzbeschlag endet und die Aufrechnung somit zulässig ist.
IV. Der Umstand, dass der Insolvenzverwalter den KSt-Erstattungsanspruch, soweit er noch nicht erfüllt war, an die Klägerin abgetreten hatte, stand der Aufrechnung durch das Finanzamt nicht entgegen. Die Klägerin war als Abtretungsempfängerin (Zessionarin) Gläubigerin des KSt-Erstattungsanspruchs geworden. Eine Aufrechnung hiergegen ist gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 406 BGB zulässig (vgl. BFH, Urt. v. 08.07.2004 – VII R 55/03 – BStBl II 2005, 7). Nach § 406 BGB kann der Schuldner (hier das Finanzamt) eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger (die GmbH, deren Rechte der Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 InsO, § 34 Abs. 3 AO geltend machte) zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger (hier der Abtretungsempfängerin) gegenüber aufrechnen, es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 406 BGB lagen im Streitfall vor. Bei § 406 BGB handelt es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten des Schuldners, die sein Vertrauen in eine gegenüber dem bisherigen Gläubiger bestehende Aufrechnungslage sowie die Aussicht auf eine künftig möglicherweise entstehende Aufrechnungslage schützt; die Rechtsstellung des Schuldners darf sich durch die Abtretung nicht verschlechtern (BFH, Urt. v. 08.07.2004 – VII R 55/03 – BStBl II 2005, 7).

D. Auswirkungen für die Praxis

Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH klargestellt, dass mit Beendigung (Aufhebung, Einstellung) des Insolvenzverfahrens auch das aus § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO folgende Aufrechnungsverbot endet. Diese zeitliche Grenze gilt auch für die übrigen Regelungen der §§ 94 ff. InsO (vgl. Brandes/Lohmann in: MünchKomm InsO, § 94 Rn. 8). Für eine Aufrechnung gelten dann wieder die allgemeinen Vorschriften (§ 226 Abs. 1 AO i.V.m. den §§ 387 ff. BGB). Das gilt z.B. auch dann, wenn der Schuldner Restschuldbefreiung beantragt (§ 287 Abs. 1 InsO) und das Insolvenzgericht vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung angekündigt hatte (§ 291 InsO; vgl. Brandes/Lohmann in: MünchKomm InsO, § 94 Rn. 8), wobei § 294 Abs. 3 InsO ein spezielles Aufrechnungsverbot für die Dauer der Wohlverhaltensperiode (§ 287 Abs. 2 InsO) enthält.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Eine vom Finanzamt erklärte Aufrechnung kann der Steuerpflichtige nicht unmittelbar mit dem Einspruch angreifen, da die Aufrechnungserklärung keinen Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO) darstellt. Vielmehr muss er einen Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO) beantragen, in dem das Finanzamt über den vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Erstattungsanspruch – oder wie im vorliegenden Fall Investitionszulageanspruch – und insbesondere darüber entscheiden muss, ob dieser Anspruch durch Aufrechnung erloschen ist. Hiergegen ist der Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO) und im Falle einer Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 AO) die Anfechtungsklage (§§ 40 Abs. 1 Alt. 1, 100 Abs. 1 und Abs. 2 FGO) gegeben. Das Finanzgericht hat bei der inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Abrechnungsbescheides inzident zu prüfen, ob die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung wirksam war, und den Bescheid ggf. aufzuheben oder zu ändern (§ 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FGO).

Kein Aufrechnungsverbot nach Beendigung des Insolvenzverfahrens
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
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