Nachfolgend ein Beitrag vom 24.4.2017 von Wozniak, jurisPR-InsR 8/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers endet die Organschaft.
2. Unabhängig von den Verhältnissen beim Organträger endet die Organschaft jedenfalls mit der Insolvenzeröffnung bei der Organgesellschaft.
3. Die Bestellung eines Sachwalters im Rahmen der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO in den Insolvenzverfahren des bisherigen Organträgers und der bisherigen Organgesellschaft ändert hieran nichts.

A. Problemstellung

Der BFH befasst sich in der vorliegenden Entscheidung mit dem Ende der Organschaft im Zuge der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers bzw. der Organgesellschaft und gibt Hinweise zur Behandlung von Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 270 ff. InsO.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin, eine GmbH, übte im streitgegenständlichen Zeitraum eine unternehmerische Tätigkeit i.S.v. § 2 UStG aus. Die alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer waren die Personen A., B. und C. Die Klägerin war unmittelbar oder über die Tochtergesellschaft D.-GmbH Alleingesellschafter der E.-GmbH, F.-GmbH, G.-GmbH, H.-GmbH, I.-GmbH und J.-GmbH. Mit Ausnahme der J.-GmbH war A. bei allen Gesellschaften alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Geschäftsführer der J.-GmbH waren N., der bei der Klägerin zugleich in leitender Funktion tätig war, und C.
Für den Zeitraum bis zum 01.05.2012 gingen die Klägerin und der Beklagte, das Finanzamt, übereinstimmend davon aus, dass alle sechs Tochtergesellschaften Organgesellschaften der Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG waren. Die Klägerin stellte sodann beim zuständigen Amtsgericht Insolvenzantrag für sich und ihre Tochtergesellschaften und beantragte Eigenverwaltung. Das Amtsgericht bestellte noch am gleichen Tag Herrn P. zum vorläufigen Sachwalter und ordnete an, dass die Klägerin berechtigt sei, unter Aufsicht von P. als vorläufigem Sachwalter ihr Vermögen weiter zu verwalten und darüber zu verfügen. Es wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin und zeitgleich auch das Verfahren über das Vermögen der sechs Tochtergesellschaften eröffnet. In allen Verfahren ordnete das Insolvenzgericht Eigenverwaltung i.S.v. § 270 Abs. 1 InsO an, bestellte wiederum P. jeweils zum Sachwalter und setzte Gläubigerausschüsse ein. In sämtlichen Eröffnungsbeschlüssen ordnete das Gericht außerdem an, dass die Verwaltungs- und Vertretungsbefugnis bei der Schuldnerin verbleibe und schuldbefreiende Leistungen nur an diese zu erfolgen haben.
Die Klägerin sowie deren Tochtergesellschaften gaben gesonderte Umsatzsteuervoranmeldungen für Mai 2012 ab, die das Finanzamt in der Annahme, die Organschaft bestehe fort, zusammenfasste und einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid gegenüber der Klägerin erließ. Einspruch und Klage zum Finanzgericht hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht ging davon aus, dass die Organschaft auch nach Insolvenzeröffnung fortbestanden habe. Im Insolvenzverfahren der Klägerin sei der Umsatzsteueranspruch auch insoweit Masseverbindlichkeit, als er auf die Umsatztätigkeit der Tochtergesellschaften entfalle. Zudem sei der sich aufgrund der Organschaft ergebende Ausgleichsanspruch des Organträgers gegenüber der Organgesellschaften im Insolvenzverfahren der Organgesellschaft Masseforderung. Die Eingliederungsvoraussetzungen lägen unverändert weiter vor. In Bezug auf die finanzielle Eingliederung habe sich aus der Insolvenz der Tochtergesellschaften keine Änderung ergeben. Auch die organisatorische Eingliederung habe aufgrund der personellen Verflechtung über die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften fortbestanden. Schließlich sei die wirtschaftliche Eingliederung weiterhin gegeben.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Nach ihrer Auffassung fehle es sowohl an der organisatorischen wie an der finanziellen Eingliederung. Aus der Bestellung einer Person in mehreren Verfahren zum Sachwalter ergebe sich kein Indiz für gleichgerichtete Interessenlagen bei den Insolvenzschuldnern. Der Sachwalter habe die Trennung einzelner Vermögensbereiche zu beachten. Es gebe keine Konzernleitungsmacht in der Insolvenz. Außerdem dürfe es nicht zu Verteilungseffekten zwischen den Gläubigern unterschiedlicher Konzerngesellschaften kommen. Auch in der Eigenverwaltung habe die Gesellschaftersammlung keinen Einfluss auf die Geschäftsführung mehr.
Das Finanzamt trat dem entgegen. Die insolvenzrechtliche Grundsatzentscheidung zum Einzelverfahren verlange keine Beendigung der Organschaft. Bei der Eigenverwaltung stehe die Unternehmenssanierung, nicht die Verwertung des Unternehmens im Vordergrund.
Dieser Auffassung hat sich der BFH nicht angeschlossen; er hält die Revision der Klägerin für begründet und hat der Klage stattgegeben.
Der BFH sieht die Organschaft als beendet an. Umsatzsteuerrechtlich begründe die Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Zusammenfassung der Unternehmen mehrerer Personen zu einem Unternehmen. Es fehle insofern an der selbstständigen Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sei. Die Wirkungen der Organschaft seien auf Innenleistungen zwischen den im Erhebungsgebiet gelegenen Unternehmensteilen beschränkt; diese Unternehmensteile seien als ein Unternehmen zu behandeln. Aufgrund dieser Zusammenlegung sei der Organträger als ein Steuerschuldner für alle Leistungen, die die Unternehmensteile des Organkreises gegenüber Dritten erbringen, steuerpflichtig. Leistungsbeziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft seien demgegenüber als Innenumsätze nicht steuerbar und begründeten kein Recht zum Vorsteuerabzug. Die vom Organkreis geschuldete Steuer sei einheitlich in einem gegenüber dem Organträger zu erlassenen Steuerbescheid festzusetzen.
Demgegenüber fasse das Insolvenzrecht anders als das Umsatzsteuerrecht mit dem organschaftlichen Verfahren mehrere Personen nicht zusammen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO könne das Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen oder juristischen Person eröffnet werden. Dies gelte gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch für Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit. Das Insolvenzrecht enthalte gerade keine Regelungen, die im Falle einer Konzerninsolvenz ein einheitliches Insolvenzverfahren für mehrere Konzerngesellschaften ermöglichten; daher scheide die Bildung einer einheitlichen Haftungsmasse, bestehend aus mehreren rechtlich selbstständigen Konzerngesellschaften, aus, da ansonsten der unterschiedliche Umfang der Gläubigerrechte missachtet würde. Die Insolvenz eines herrschenden Unternehmens erstrecke sich daher nach geltendem Recht nur auf dessen Vermögen, nicht dagegen auf das Vermögen der Tochtergesellschaften. Aus diesem Grund müsse die Organschaft mit der Insolvenzeröffnung beim Organträger entfallen. Der Senat habe bereits für die nach der Konkursordnung bestehende Rechtslage entschieden, dass eine Organschaft mit dem Konkurs des Organträgers ende.
Da die Umsatzsteuer für die Umsatztätigkeit der Organgesellschaften nicht zur Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse im Verfahren der Organträger-Gesellschaft gehöre, könne auch die Umsatztätigkeit keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in den Insolvenzverfahren des Organträgers darstellen. Die Auffassung des Finanzamts, dass bei der Eigenverwaltung die Unternehmenssanierung, nicht aber die Verwertung des Unternehmens im Vordergrund stehe, berücksichtige nicht, dass die Ziele des Insolvenzfahrens nicht den Umfang der dem Insolvenzverfahren unterliegenden Haftungsmasse ändern.
Nur soweit durch die Insolvenzmasse Umsatzsteueransprüche begründet würden, liege nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Masseverbindlichkeit vor. Daher sei auch die Anordnung der Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren des Organträgers ohne Bedeutung, da sie nichts an der insolvenzrechtlichen Verfahrenstrennung ändere. Unabhängig von den Verhältnissen beim Organträger ende die Organschaft jedenfalls mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft, da zu diesem Zeitpunkt die finanzielle Eingliederung entfalle. Die Organschaft setze nach § 2 Nr. 2 UStG eine Eingliederung in finanzieller Hinsicht voraus. Der Organträger müsse finanziell in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen könne. Die finanzielle Eingliederung sei kein Selbstzweck, sondern stelle sicher, dass eine Person nur dann Organträger einer juristischen Person sein kann, wenn sie die gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsrechte gegenüber der Geschäftsführung und den Aufsichtsorganen der juristischen Person ausüben könne. Diese Eingliederung entfalle im Insolvenzverfahren der Organgesellschaft. Bestelle das Insolvenzgericht im Verfahren einen Insolvenzverwalter, folge dies bereits daraus, dass das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergehe.
Gleiches gelte, wenn das Insolvenzgericht Eigenverwaltung anordne, da auch dann die finanzielle Eingliederung ende. Zwar sei der Schuldner und damit die Organgesellschaft gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die für die Organschaft erforderliche Eingliederung mit Durchgriffsmöglichkeit entfalle aber gleichwohl. Denn sei der Schuldner – wie hier die Tochtergesellschaften der Klägerin – eine juristische Person, so hätten der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe gemäß § 276a Abs. 1 InsO keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners mehr. Zudem sei die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimme (§ 276 Satz 2 InsO).
Diese Vorschriften entziehen der für die Organschaft erforderlichen finanziellen Eingliederung die Grundlage. Denn die Überwachungsorgane hätten bei der Eigenverwaltung keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung als im Falle der Fremdverwaltung durch den Insolvenzverwalter. Auf die Frage, ob ein Ausgleichsanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft in der Insolvenz der Organgesellschaft Masseverbindlichkeit sei, komme es damit nicht mehr an.

C. Kontext der Entscheidung

Der BFH klärt mit der vorliegenden Entscheidung eine seit längerem immer wieder umstrittene Frage in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung. Gegenstand der Entscheidung ist die Einordnung des Eigenverwaltungsverfahrens bei umsatzsteuerlichen Organschaften. Während die Ausgangsfragen im regulären Insolvenzverfahren weitestgehend schon durch die frühere Rechtsprechung des BFH zum Insolvenz- bzw. Konkursrecht als geklärt gelten können (Ende der Organschaft jedenfalls mit Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft bzw. des Organträgers), war die Einordnung im Eigenverwaltungsverfahren bislang wiederholt streitig.
Hintergrund dieser streitigen Situation ist der Umstand, dass die Eigenverwaltung es dem Schuldner weiter ermöglicht, die Insolvenzmasse zu verwalten und hierüber zu verfügen. Hieraus wurde in der Finanzverwaltung der Schluss gezogen, dass es dann auch beim Fortbestand der Organschaft bleibe. Dieser Auffassung hat der BFH nunmehr eine Absage erteilt. Er begründet dies mit der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Vermögensmassen zwischen Organträger und Organgesellschaft. Zudem macht der BFH die Norm des § 276a InsO argumentativ fruchtbar. Danach greifen die regulären gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten der zivilrechtlichen Eigentümer des Unternehmens, etwa zur Abberufung der Geschäftsführung im Insolvenzplanverfahren nicht. Hieraus leitet der BFH in überzeugender Weise die Argumentation ab, dass sodann auch keine finanzielle Eingliederung mehr bestehe, da die Einflussnahmemöglichkeiten auf das Unternehmen bzw. die Geschäftsführung wie im regulären Insolvenzverfahren nicht mehr bei den Eigentümern, sondern einem Dritten (hier beim eigenverwaltenden Schuldner unter Aufsicht des Sachwalters) liege. Diese Argumentation ist juristisch überzeugend und verdient uneingeschränkte Zustimmung.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BFH skizziert selbst in seiner Entscheidung, dass es im deutschen Recht bislang an einem Konzerninsolvenzrecht fehlt und insofern auch Regelungen über den Erhalt der finanziellen Eingliederung regelmäßig an der jeweiligen Trennung der Vermögensmassen im Insolvenzverfahren scheiterten. Selbst die Personenidentität des Insolvenzverwalters ließe diese haftungsmäßige Trennung der verschiedenen Vermögensmassen nicht entfallen. Auch die Eigenverwaltung ändere hieran nichts. Zwischen den Zeilen mag man den Wunsch nach einer konzerninsolvenzrechtlichen Aufarbeitung der Thematik, sowohl in insolvenzrechtlicher als auch in steuerrechtlicher Hinsicht erkennen. Es bleibt abzuwarten, ob die gegenwärtig laufenden Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren über die Schaffung eines Konzerninsolvenzrechts hier eine Änderung der aktuellen Situation mit sich bringen.