Nachfolgend ein Beitrag vom 13.3.2017 von Geserich, jurisPR-SteuerR 11/2017 Anm. 3
Leitsätze
1. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass durch die Entfernungspauschale sämtliche gewöhnlichen wie außergewöhnlichen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßige Arbeitsstätte abgegolten werden.
2. Insbesondere ist in dem Umstand, dass der Gesetzgeber Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel von der abzugsbeschränkenden Wirkung der Entfernungspauschale ausgenommen hat, kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu erblicken.
A. Problemstellung
Streitig ist die Verfassungsmäßigkeit der Entfernungspauschale.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung 2010 für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte die tatsächlichen Kosten von 0,44 Euro/km geltend. Das Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Wegekosten hingegen lediglich in Höhe der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG). Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht ab (FG Nürnberg, Urt. v. 29.07.2014 – 7 K 784/13 – EFG 2015, 1184). Die Revision des Klägers hat der BFH zurückgewiesen. Das Finanzgericht habe die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte einfachrechtlich – unstreitig zutreffend – nur nach Maßgabe der Entfernungspauschale zum Werbungskostenabzug zugelassen. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes sei durch die Anwendung der Entfernungspauschale nicht zu beklagen. Der Umstand, dass der Gesetzgeber entsprechende Fahrtkosten bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, auch soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag überschritten, nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG in tatsächlicher Höhe zum Werbungskostenabzug zulasse, verstoße ebenfalls nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
C. Kontext der Entscheidung
I. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG sind Werbungskosten auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 Euro anzusetzen. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG sind durch die Entfernungspauschalen „sämtliche Aufwendungen“ abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte veranlasst sind, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Diese können nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG auch angesetzt werden, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag überschreiten.
II. Die Entscheidung zeigt erneut die Janusköpfigkeit der Entfernungspauschale. Liegen die tatsächlichen Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem Kraftfahrzeug über dem Pauschbetrag, hat sie den Charakter einer Abzugsbeschränkung. Sind die tatsächlichen Fahrtkosten niedriger, wirkt sie als entfernungsabhängige Subvention (BFH, Urt. v. 11.05.2005 – VI R 70/03 – BStBl 2005, 785 m. Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 39/2005 Anm. 3; BFH, Urt. v. 26.03.2009 – VI R 42/07 – BStBl II 2009, 724 m. Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 31/2009 Anm. 4). Dies ist insbesondere bei Fahrgemeinschaften und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Fall. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. Soweit die Regelungen berufliche Mobilitätskosten nur eingeschränkt berücksichtigen, erweisen sie sich für den – auch hier vorliegenden – Grundfall, den immer wiederkehrenden Fahrten zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte, nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (st. Rspr. z.B. BFH, Urt. v. 09.02.2012 – VI R 22/10 – BStBl II 2012, 827 m. Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 27/2012 Anm. 3; BFH, Urt. v. 06.11.2014 – VI R 21/14 – BStBl II 2015, 338; BFH, Urt. v. 20.03.2014 – VI R 29/13 – BStBl II 2014, 849, jeweils m.w.N., zur Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 EStG 2009; Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 33/2014 Anm. 2). Eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleicher Rechte bewirkt die Abzugsbeschränkung folglich nicht. Entsprechendes gilt im Hinblick auf den Umfang der Abgeltungswirkung. Aus dem klaren Wortlaut der Norm ergibt sich, dass gewöhnliche wie außergewöhnliche Kosten unabhängig von ihrer Höhe unter die Abgeltungswirkung fallen. Das Wort „sämtliche“ ist insoweit eindeutig. Auch hat der Gesetzgeber das ihm eingeräumte Regelungsermessen dadurch nicht überschritten (BFH, Urt. v. 20.03.2014 – VI R 29/13 – BStBl II 2014, 849). Reparaturaufwendungen infolge der Falschbetankung eines PKW auf der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind demnach nicht neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten abziehbar (BFH, Urt. v. 20.03.2014 – VI R 29/13 – BStBl II 2014, 849). Entsprechendes gilt nach Auffassung des BFH auch für Unfallkosten. Trotz dieser eindeutigen Gesetzeslage lassen die Finanzbehörden nach wie vor den Abzug von Unfallkosten (Reparaturkosten) neben der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu (H 9.10 LStH; Bergkemper, jurisPR-SteuerR 33/2014 Anm. 2). Wird das Unfallfahrzeug in nicht repariertem Zustand veräußert, bemisst sich der als Werbungskosten abziehbare Betrag nach der Differenz zwischen dem rechnerisch ermittelten fiktiven Buchwert vor dem Unfall und dem Veräußerungserlös (BFH, Urt. v. 21.08.2012 – VIII R 33/09 – BStBl II 2013, 171; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 2/2013 Anm. 3).
III. Soweit die Regelungen über die Entfernungspauschale (ausnahmsweise) die tatsächlichen Wegekosten zum Werbungskostenabzug zulassen oder gar als entfernungsabhängige Subvention wirken, ist ebenfalls kein Grundrechtsverstoß zu beklagen. Zum einen ist der Steuergesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen. Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Bürger wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten Verhaltens oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden. Verfolgt der Gesetzgeber erkennbar solche Förderungs- und Lenkungsziele, können sie steuerliche Belastungen oder Entlastungen rechtfertigen, sofern die Regelung gleichheits- und zweckgerecht ausgestaltet ist (BVerfG, Urt. v. 09.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 – BVerfGE 122, 210, m.w.N. – die Versagung der Entfernungspauschale für Familienheimflüge ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 5/2009 Anm. 1; BFH, Urt. v. 26.03.2009 – VI R 42/07 – BStBl II 2009, 724 m. Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 31/2009 Anm. 4). Hiernach ist die Privilegierung öffentlicher Verkehrsmittel in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn diese Regelung ist erkennbar von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen getragen (vgl. BT-Drs. 14/4242, S. 5). Es ist deshalb gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel von der abzugsbegrenzenden Wirkung der Entfernungspauschale ausnimmt. Der Umstand, dass diese Verkehrsmittel insbesondere gegenüber dem motorisierten privaten Individualverkehr in Bezug auf den Primärenergieverbrauch und den Ausstoß von Treibhausgasen umweltfreundlicher sind, rechtfertigt deren Privilegierung (BFH, Urt. v. 26.03.2009 – VI R 42/07 – BStBl II 2009, 724). Zum anderen begründet Art. 3 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG im Falle einer Steuervergünstigung für eine Gruppe keinen Anspruch einer anderen Gruppe auf eine vergleichbare steuerliche Entlastung (BVerfG, Urt. v. 20.04.2004 – 1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00 – BVerfGE 110, 274; BVerfG, Beschl. v. 20.04.2004 – 1 BvR 610/00 – BVerfGK 3, 178; BFH, Urt. v. 15.09.2011 – VI R 6/09 – BStBl II 2012, 144 m. Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 49/2011 Anm. 1).
D. Auswirkungen für die Praxis
Selbst wenn im Streitfall eine gleichheitswidrige Begünstigung der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel vorläge, wäre der allgemeine Gleichheitssatz in der Hand des Klägers ein stumpfes Schwert. Denn die Reichweite von Art. 3 Abs. 1 GG ist begrenzt. Die gleichheitswidrige Privilegierung einer Gruppe stellt sich zwar als Benachteiligung der übrigen Steuerpflichtigen dar (BFH, Beschl. v. 21.10.1994 – VI R 15/94 unter VI. – BStBl II 1995, 142; BFH, Urt. v. 24.02.1999 – X R 171/96 – BStBl II 1999, 450; BFH, Urt. v. 14.11.2001 – X R 32-33/01 – BStBl II 2002, 183; BFH, Urt. v. 11.09.2008 – VI R 13/06 – BStBl II 2008, 928). Dennoch kann durch den Gleichheitssatz kein allgemeines und generelles Abwehrrecht eines jeden Steuerpflichtigen gegenüber solchen Rechtsvorschriften begründet werden, die zu einer gleichheitswidrigen Steuerentlastung führen (BVerfG, Beschl. v. 26.07.2010 – 2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08 – BVerfGK 17, 438; BFH, Beschl. v. 21.09.2006 – VI R 81/04 – BStBl II 2007, 114).
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BFH hat offengelassen, ob es sich bei einem Taxi einfachrechtlich um ein öffentliches Verkehrsmittel i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 EStG handelt (so FG Düsseldorf, Urt. v. 08.04.2014 – 13 K 339/12 E). Allein der Umstand, dass die Beförderung von Personen mit Kfz im Gelegenheitsverkehr etwa einem Taxi nach den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 47 des PBefG i.d.F. v. 08.08.1990 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 PBefG genehmigungspflichtig ist und nach § 8 Abs. 2 PBefG zum öffentlichen Personennahverkehr zählt, zwingt hierzu jedenfalls nicht. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG lässt sich nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift auch dahingehend verstehen, dass lediglich Aufwendungen für regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel (im Linienverkehr, § 42 PBefG) nicht unter die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale fallen sollen. Aber selbst wenn Taxikosten nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG jenseits der Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen wären, sei kein Verfassungsverstoß zu beklagen. Der Gesetzgeber habe sich vielmehr im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis gehalten. Denn er habe die umweltpolitische Zwecksetzung der Regelungen über die Entfernungspauschale insoweit an einem Regelbefund (Fahrten mit regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmitteln) und nicht an einem Ausnahmetatbestand ausgerichtet.