Nachfolgend ein Beitrag vom 25.5.2016 von Ziemann, jurisPR-ArbR 21/2016 Anm. 6

Leitsätze

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde bedarf zu ihrer Zulässigkeit einer Beschwer des Beschwerdeführers.
2. Die Beschwer des Klägers als Nichtzulassungsbeschwerdeführer ergibt sich aus der Differenz zwischen dem vor dem Berufungsgericht in der Sache gestellten Antrag und der darüber ergangenen Entscheidung.

Orientierungssatz zur Anmerkung

Der Zusatz „brutto“ im Tenor ist keine Einschränkung eines ohne diesen Zusatz gestellten Antrags, sondern verdeutlicht nur, was von Gesetzes wegen gilt.

A. Problemstellung

Arbeitnehmern zustehende Vergütungsansprüche werden in Feststellungs- und Leistungsurteilen von den Gerichten für Arbeitssachen regelmäßig mit dem Zusatz „brutto“ versehen. Ebenso regelmäßig bleibt offen, warum dies gemacht wird. Überzeugende Gründe für solche Tenorierungen sind nicht ersichtlich.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien haben über die Verpflichtung der Beklagten gestritten, dem Kläger eine Ausgleichszahlung dafür zu gewähren, dass er keinen adäquaten neuen Firmenwagen erhalten hatte.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben, jedoch die vom Kläger zur Zahlung und zur Feststellung gestellten Eurobeträge mit dem Zusatz „brutto“ versehen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Im Streitfall hat das BAG die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde verlangt ein Rechtsschutzbedürfnis. Dieses besteht nur, wenn der Nichtzulassungsbeschwerdeführer durch die anzufechtende Entscheidung beschwert ist. Der Kläger ist hier durch die anzufechtende Entscheidung nicht beschwert. Das Landesarbeitsgericht hat den Anträgen des Klägers in vollem Umfang stattgegeben. Der Zusatz „brutto“ ist nach dem BAG keine Einschränkung eines ohne diesen Zusatz gestellten Antrags, sondern verdeutliche nur, was von Gesetzes wegen gilt. Unterliege eine vom Arbeitgeber bezogene Leistung der Steuer und/oder Sozialabgaben, sei der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 EStG Schuldner der Lohnsteuer und müsse im Innenverhältnis zum Arbeitgeber den ihn treffenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags tragen, § 28g SGB IV.
Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn aufgrund einer Nettolohnvereinbarung die gesetzlichen Abgaben und Beiträge nicht zulasten des Arbeitnehmers, sondern insgesamt zulasten des Arbeitgebers gehen sollen. In einem solchen Falle müsse der Arbeitnehmer bei streitiger Zahlungspflicht eine Nettolohnklage erheben. Dabei sei es zur Bestimmtheit des Antrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich, in dem Klageantrag die begehrte Zahlung ausdrücklich als „netto“ zu bezeichnen, anderenfalls es bei der gesetzlichen Verteilung der Steuer- und Beitragslast verbleibe.

C. Kontext der Entscheidung

Selbst die wenigen Sätze der im Ergebnis zutreffenden Entscheidung vermögen nicht zu überzeugen. Der Zusatz „brutto“ verdeutlicht nicht, was von Gesetzes wegen gilt, sondern beinhaltet häufig eine unbestimmte Rechtsbelehrung eines vom Rechtsweg hierfür nicht zuständigen Gerichts. Zudem „muss“ der Arbeitnehmer im Innenverhältnis nicht zwingend den ihn treffenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags tragen.
I. Die Verpflichtung zur Zahlung des Arbeitsentgelts stellt in vollem Umfang eine Geldschuld des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer dar. Die Verpflichtung des Arbeitgebers lautet auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrags, des sog. Bruttobetrages. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer das durch den Nennbetrag der Schuld ausgedrückte Quantum an Vermögensmacht zu verschaffen. Die steuerrechtliche und die sozialversicherungsrechtliche Befugnis bzw. Pflicht, Vergütungsbestandteile einzubehalten und abzuführen, ändert nichts daran, dass es sich bei der Arbeitsvergütung um einen in Geld ausgedrückten dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu leistenden Vermögenswert handelt.
Einer vollständigen Auszahlung der Vergütung an den Arbeitnehmer steht regelmäßig entgegen, dass es sich um Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit handelt, die der Einkommensteuer unterliegen (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 EStG). Die Einkommensteuer wird nach § 38 Abs. 1 EStG durch Abzug von der Arbeitsvergütung erhoben (Lohnsteuer). Gleichwohl ist der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Arbeitgeber behält sie für Rechnung des Arbeitnehmers von der Arbeitsvergütung ein (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Abführung an das Finanzamt nach § 41a EStG erfolgt zugunsten des Arbeitnehmers als Vorauszahlung auf dessen zu erwartende Einkommensteuerschuld. Materiell handelt es sich demnach um eine Leistung an den Arbeitnehmer, die nur aus formellen Gründen des Steuerrechts vom Arbeitgeber unmittelbar an das Finanzamt erbracht wird. Als Abzüge kommen weiter Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Betracht. Deren Behandlung folgt gemäß § 51a EStG den genannten Vorschriften. Auch ihr Vermögenswert ist deshalb dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu verschaffen (BAG, Großer Senat, Beschl. v. 07.03.2001 – GS 1/00).
An die nichtselbstständige Arbeit knüpft die Sozialversicherung an (§§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 SGB IV). Arbeitsentgelt sind hier nach § 14 Abs. 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung. Der Arbeitgeber hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) an die Einzugsstelle (§§ 28h, 28i SGB IV) zu zahlen. Er hat nach den §§ 28e Abs. 1 Satz 1, 28g SGB IV gegen den Beschäftigten einen grundsätzlich nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend zu machenden Anspruch auf den Teil, den der Beschäftigte trägt (sog. Arbeitnehmeranteil). Danach schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch den Betrag des Arbeitnehmeranteils. Anderenfalls könnte er nicht seinen Anspruch gerade durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend machen.
Für das arbeitsrechtliche Verhältnis zwischen dem beitragszahlenden Arbeitgeber und dem einzelnen pflichtversicherten Arbeitnehmer gibt die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 28g SGB IV – insoweit privatrechtsgestaltend – dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer das (auflösend bedingte) Recht zum Entgeltabzug (BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98; zurückhaltend der Große Senat des BAG, Beschl. v. 07.03.2001 – GS 1/00, der – unter Ablehnung eines Aufrechnungsrechts – von einer „Regelung eigener Art“ spricht). Das bedeutet: Der Arbeitgeber darf – kraft öffentlichen Rechts – dem sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Lohn- oder Gehaltsanspruch des Arbeitnehmers den – arbeitsrechtlichen – Einwand entgegenhalten, dieser sei in Höhe des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des zu zahlenden (vollen) Pflichtbeitrags durch die Zahlung des Arbeitgebers an den Sozialversicherungsträger als Leistung an Erfüllungs statt erloschen (§§ 364 Abs. 1, 362 Abs. 2 BGB); insoweit ist dann Lohn/Gehalt vom Arbeitnehmer nicht mehr zu beanspruchen und vom Arbeitgeber nicht mehr zu zahlen. Der Arbeitgeber hat die Rechtsmacht (nicht: die Rechtspflicht) zum Entgeltabzug (BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98; BGH, Urt. v. 16.05.2000 – VI ZR 90/99). Der einzelne Arbeitnehmer erfährt eine konkrete Belastung seines Vermögens oder seiner vermögenswerten Rechte nur dann, wenn und soweit der Arbeitgeber diesen Erfüllungseinwand wirklich im Einzelfall erhebt. Anderenfalls erhält der Arbeitnehmer seinen vollen nach Arbeitsvertrag geschuldeten Lohn (BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98; BAG, Großer Senat, Beschl. v. 07.03.2001 – GS 1/00). Nach § 28g SGB IV hat der Arbeitgeber gegen den Beschäftigten einen „Anspruch“ auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Sozialversicherungsbeitrags. Diesen „Anspruch“ darf er aber „nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend“ machen; der Abzug hat (Zug um Zug) von der zeitgleich anfallenden Entgeltzahlung, andernfalls nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen zu erfolgen, danach nur, wenn er ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist (oder wenn der Beschäftigte seine Auskunfts- oder Vorlagepflichten nach § 28o SGB IV verletzt hat). Er darf diese Last nur im Einzelfall, nur durch rechtzeitige Erhebung des Erfüllungseinwandes und nur anteilig auf den Arbeitnehmer abwälzen (muss dies aber nicht – vgl. BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98).
Die pflichtversicherten Arbeitnehmer hingegen sind weder verpflichtet noch berechtigt, die jeweiligen Pflichtbeiträge an den Sozialversicherungsträger – oder etwa an den Arbeitgeber – zu zahlen. Die Einzugsstelle der Sozialversicherung darf sie vom versicherten Arbeitnehmer weder fordern noch als Erfüllung der Beitragsschuld annehmen. Hiervon darf nicht einmal durch Vertrag (zum rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachteil des Versicherten) abgewichen werden (§ 32 SGB I). Die öffentlich-rechtliche Beitragslast bleibt wirtschaftlich abschließend beim Arbeitgeber.
II. Die Klage auf Arbeitsvergütung ist zu richten auf die Zahlung der vereinbarten Vergütung, damit auf den Bruttobetrag. Bei der Zwangsvollstreckung aus einem solchen Urteil ist der gesamte Betrag einschließlich der einkommensteuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vergütungsbestandteile beizutreiben.
Die Klagen auf Zahlung von Arbeitsvergütung können auf Brutto- oder auch auf Nettobeträge gerichtet sein, nicht jedoch in zulässiger Weise auf Beträge mit dem Zusatz „brutto“ oder „netto“. Zivil- und Zivilprozessrecht und damit auch das Zwangsvollstreckungsrecht kennen keine Beträge „brutto“ oder „netto“, sondern nur die schlichte Geldschuld. Nun werden von den Arbeitsgerichten üblicherweise Beträge mit den Zusätzen „brutto“ oder „netto“ ausgeurteilt, ohne dass recht klar wird, was dadurch bewirkt werden soll. Solche Urteile verwischen die Grenze zwischen Leistungs- und Feststellungsurteilen und sind zudem in ihrer feststellenden Aussage unbestimmt. Ein auf Erfüllung einer Geldschuld zielendes Leistungsurteil hat die Pflicht zur Zahlung eines nach Höhe und Währung konkret bezeichneten Geldbetrages auszusprechen. Dem gerichtlichen Leistungsbefehl sind keine Begriffe wie „brutto“ oder „netto“ beizufügen, weil diese nicht den Inhalt und Umfang der Wertverschaffungsschuld, wie er allein in der Zwangsvollstreckung zu beachten ist, kennzeichnen, sondern in feststellender Weise – häufig ungeprüfte – Aussagen zur steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Geldschuld treffen. Die Gerichte für Arbeitssachen können gar nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte festlegen, ob ein Betrag abgabenpflichtig ist oder nicht (BAG, Urt. v. 26.05.1998 – 3 AZR 171/97; BAG, Urt. v. 26.05.1998 – 3 AZR 96/97). Mehr als problematisch ist auch die Frage der Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte für entsprechende „Feststellungen“. Zudem liefe die lapidare Feststellung, der geschuldete Betrag sei „brutto“ bzw. „netto“ zu verstehen, auf die regelmäßig unzulässige Feststellung einer Rechtsfrage hinaus. Die Klärung steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Fragen zur Behandlung des tenorierten Vergütungsanspruchs kommt der Erstattung eines Rechtsgutachtens gleich, wozu die Gerichte nicht befugt sind.
Für den Gerichtsvollzieher sind Begriffe wie „brutto“ oder „netto“ ohne Bedeutung. Er hat schlicht vom Arbeitgeber den im Tenor bestimmt bezeichneten Betrag vom Arbeitgeber einzuziehen. Nach § 775 ZPO hat er die Zwangsvollstreckung einzustellen oder zu beschränken, wenn ihm eine gesetzlich näher bezeichnete Urkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der Arbeitnehmer nach (!) Erlass des Urteils befriedigt ist. Die Befriedigung kann durch Abführung der Lohnsteuer und der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung – unter Berücksichtigung der Einbehaltungsverbote nach § 28g Satz 2 SGB IV und § 41c EStG – erfolgen. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung geschieht jedoch nur vorläufig. Bestreitet der Arbeitnehmer die (vollständige) Befriedigung, ist die Zwangsvollstreckung fortzusetzen. Der Arbeitgeber muss dann seine Rechte im Wege der Vollstreckungsgegenklage unter Beachtung von § 767 Abs. 2 ZPO geltend machen. Daher hat der Dritte Senat des BAG – von der Instanzrechtsprechung und auch von den anderen Senaten des BAG und sogar später vom selben Senat unbeachtet – darauf erkannt, dass im Tenor regelmäßig nicht darauf zu erkennen sei, ob es sich um eine Brutto- oder Nettoforderung handelt. Im Urteilsausspruch sei lediglich klarzustellen, worum es sich bei dem ausgeurteilten Betrag handelt (Arbeitsvergütung, Auslösung, usw.). Der Zusatz „netto“ oder „brutto“ sei wegzulassen (BAG, Urt. v. 26.05.1998 – 3 AZR 171/97; BAG, Urt. v. 26.05.1998 – 3 AZR 96/97).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Streitfall zeigt, zu welchen – vermeidbaren – Missverständnissen der Sonderweg der Gerichte für Arbeitssachen bei der Tenorierung von Vergütungsansprüchen der Arbeitnehmer führen kann. Unbefriedigend ist zudem, dass Erkenntnisse des Großen Senats und des Dritten Senats des BAG nicht die gebührende Beachtung finden.