Nachfolgend ein Beitrag vom 17.5.2016 von Nöcker, jurisPR-SteuerR 20/2016 Anm. 1

Leitsatz

Die Regelung über die beschränkte Abziehbarkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG i.d.F. des BürgEntlG KV) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

A. Problemstellung

Jüngst ist mitgeteilt worden, dass zu der Frage der Rechtmäßigkeit der Neuregelung des beschränkten Abzugs der sonstigen Vorsorgeaufwendungen nach dem BürgEntlG KV unter dem Az. 2 BvR 2445/15 Verfassungsbeschwerde erhoben worden ist. Dieser Verfassungsbeschwerde liegt das vorliegende Revisionsverfahren beim BFH zugrunde, welches sich mit der gleichen Fragestellung befassen musste.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Kläger machten im Streitjahr 2010 neben ihren Arbeitnehmerbeiträgen für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung sonstige Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG, nämlich Beiträge für eine Risikoversicherung, eine Unfallversicherung und drei Kapitalversicherungen (alle vor dem 01.01.2015 abgeschlossen), geltend. Da der gemeinsame Höchstbetrag der Kläger nach § 10 Abs. 4 Satz 3 EStG bereits aufgrund der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung überschritten war, berücksichtigte das Finanzamt diese sonstigen Vorsorgeaufwendungen nicht. Einspruch und Klageverfahren bleiben erfolglos. Die Kläger machten im Rahmen der Revision die Verfassungswidrigkeit dieser Nichtberücksichtigung geltend.
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Auch er sah er die Neuregelung durch BürgEntlG KV als verfassungsgemäß an und sah deswegen davon ab, im Rahmen der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Abzugsbeschränkung einzuholen. Dabei verweist der BFH auf sein Urteil vom 18.11.2009 (X R 6/08 – BStBl II 2010, 282, dort unter B.II.3; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 9/2010 Anm. 2), wonach die bis zu dieser Neuregelung geltende beschränkte Abzugsfähigkeit als nicht verfassungswidrig angesehen worden sei. Lediglich die gesetzlichen Kranken- und Pflegepflichtversicherungsbeiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG in der seit dem Streitjahr geltenden Fassung seien nunmehr als unbeschränkte Sonderausgaben abziehbar. Die sonstigen Vorsorgeaufwendungen im Sinne des (neuen) § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG seien auch weiterhin vom Gesetzgeber nicht steuerlich freizustellen. Denn nur die Versicherungen, die den Schutz des Lebensstandards in Höhe des Existenzminimums gewährleisteten, seien aufgrund des subjektiven Nettoprinzips steuerfrei zu belassen. Unerheblich seien die faktische oder rechtliche Zwangsläufigkeit der Beiträge wie auch die Notwendigkeit einzelner Aufwendungen im Rahmen der Daseinsvorsorge. Die Art und Weise der Umstellung des Sonderausgabenabzugs von Beträgen zu Kapitalversicherungen sei Folge der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Eine Pflicht zur Gewährung des unbeschränkten Abzugs von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und zum Krankengeld bestehe nicht. Gleiches gelte für den Abzug von Beiträgen zu Risiko- und Unfallversicherungen. Auch sei die Höhe der Höchstbeträge verfassungsgemäß und insbesondere das Gebot der Folgerichtigkeit gewahrt worden. Denn wenn der Gesetzgeber schon nicht verpflichtet sei, die sonstigen Vorsorgeaufwendungen zum Abzug zuzulassen, dann könne er sie erst recht auch beschränkt zum Abzug zulassen – mit der Folge eines faktischen Nichtabzugs in den meisten Fällen.

C. Kontext der Entscheidung

Sollte das BVerfG die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung annehmen, wird es zur Reichweite der Zwangsläufigkeit von Beiträgen und deren steuerlichen Freistellung aufgrund des subjektiven Nettoprinzips Stellung nehmen können. Bislang erscheint dies verfassungsrechtlich geklärt: Entscheidend ist und bleibt das Sozialhilfeniveau als Referenzgröße. Nur mit Blick hierauf sind die Krankenversicherungsbeiträge, allerdings in Höhe der sog. Basisabsicherung, und die Pflegepflichtversicherung steuerfrei zu stellen (so BVerfG, Beschl. v. 13.02.2008 – 2 BvL 1/06 – BVerfGE 120, 125, unter D.II.3; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 17/2008 Anm. 1). Das Sozialversicherungsniveau übersteigt dieses Sozialhilfeniveau und ist bislang nicht für die Definition des subjektiven Nettoprinzips relevant. Folglich ist es auch nicht entscheidend, ob Versicherungsbeiträge existentielle Lebensrisiken absichern. Auch deshalb vermag jedenfalls der X. Senat des BFH keine Pflicht zur Gewährung des unbeschränkten Abzugs von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und zum Krankengeld erkennen. Dies hatte er bereits – zum alten Recht – in seinem Urteil vom 18.11.2009 (X R 6/08, unter B.II.3.b.cc) zum Ausdruck gebracht. Allerdings schien diese Ansicht angesichts der sonstigen Aussagen des X. Senats zur Verfassungsmäßigkeit der Rentenbesteuerung aus dem Blick geraten zu sein. Deshalb hat er sie ausdrücklich und wörtlich unter Rn. 24 wiederholt und auf seine ständige Rechtsprechung insoweit verwiesen (etwa BFH, Urt. v. 23.01.2013 – X R 32/08 – BStBl II 2013, 423, unter B.II.3, m.w.N.; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 25/2013 Anm. 1).
Erstmalig geht er in dieser Entscheidung auf die Frage ein, ob auch die Übergangsregelung für die Alt-Kapitalversicherungen (Vertragsabschluss bis VZ 2004) verfassungsrechtlich unbedenklich erscheint. Aufgrund der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit ist dies nach seiner Ansicht der Fall – zumal der Steuerpflichtige die Möglichkeit der Günstigerprüfung nach § 10 Abs. 4a EStG hat.

D. Auswirkungen für die Praxis

Aufgrund der Verfassungsbeschwerde kann die Besteuerung der sonstigen Vorsorgeaufwendungen weiterhin offen gehalten werden – aus Sicht des BFH ist sie aber, dies sollte dem Mandanten gesagt werden, verfassungsgemäß.